Bei uns in Tokio:Es lebe der Lebkuchen

Japans Nationalsüßigkeit heißt Anko, eine seltsam trockene Rote-Bohnen-Paste. Gegen Heißhunger auf Gummibärchen und Schokolade kann sie freilich wenig ausrichten.

Von Thomas Hahn

Muttern hat Lebkuchen geschickt. Das war wichtig, denn gerade in der Vorweihnachtszeit wird der Unterschied zwischen europäischem und japanischem Süßigkeiten-Verständnis deutlich. Weihnachten ist in Tokio ohnehin eher eine Schaufensterdekoration. Japans Nationalreligion Shinto kennt das Fest nicht, die Wirtschaft dagegen schon. So kommt es, dass die Einkaufszentren voll sind mit Weihnachtswerbung, ohne dass man genau versteht, worauf diese hinauslaufen soll. Der 24. Dezember ist in Japan nicht so wichtig. Die Leute beschenken sich auch nicht wie die Wilden. Und Lebkuchen gibt es nicht.

In dem Lebkuchen-Paket befanden sich noch andere Delikatessen des deutschen Süßwarenhandels. Alle waren wichtig. Nach einem Leben im Kinderschokoladen- und Gummibären-Überfluss kommt man eben nicht so leicht los von seinen Ernährungssünden. Und Japan kann nicht jeden Heißhunger stillen. Die westliche Welt hat ihre Kultur des schlechten Essens zwar durchaus erfolgreich im Inselstaat verbreitet. Aber bei den Süßigkeiten sind Lücken geblieben.

Wenn eine alte Toffifee-Sucht aufbricht oder ein grimmiges Hanuta-Verlangen um sich greift, muss man das aushalten. Oder sich mit japanischem Naschwerk behelfen. Aber so einfach ist das nicht. Die Nationalsüßigkeit ist Anko, Rote-Bohnen-Paste. Sie wird aus der Adzukibohne gekocht und ist in allen möglichen Süßwaren. Anko schmeckt seltsam trocken, gar nicht richtig süß, wenn man es mit der klaren, kalorienschweren Süße von Nougat oder Karamell vergleicht. Man könnte meinen, Anko sei Teil eines raffinierten Staatsplans, die Menschen mit scheußlichen Süßigkeiten zu einer besseren Ernährung zu erziehen. Aber den Menschen schmeckt Anko wirklich - angeblich nicht nur Japanern.

Vielleicht sind die Geschmacksnerven einzelner Ausländer durch den jahrelangen Verzehr von Milka-Noisette und Haribo-Fröschen derart beeinträchtigt, dass sie die Tiefe des Anko-Geschmacks nicht mehr erfassen. Die Süßigkeiten-Erziehung scheint in Japan anspruchsvoller zu sein. Also fügt man sich, so gut es geht. Etwa bei diesem Interview im Buddha-Tempel. Es gab Matcha, Japans herben Lieblingstee, sowie Klebreismehl-Gebäck mit Anko-Füllung. Der Priester bestand darauf, dass beides in seinem Beisein verzehrt wird.

Es ist auszuhalten. Wem nur ab und zu ein Duplo fehlt, der hat in Wirklichkeit kein Problem. Außerdem ist die Grundversorgung ja gewährleistet. Muttern hat schon das nächste Paket angekündigt. Es sollen Vanillekipferl drin sein.

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