Bei uns in Tokio:Alles eine Frage der Interpretation

Der japanische Premier hat ein Talent dafür, seine miserable Wirtschaftspolitik gut zu verkaufen.

Von Christoph Neidhart

Er schaue nicht auf Shinzo Abes Politik, sondern auf den "Spin", also darauf, wie Japans Premier diese verkaufe, sagt der Politologe Steven Reed von der Chuo Uni. Bewundernd spricht er von Abes Geschick, sein Wirtschaftsprogramm "Abenomics" als Erfolg darzustellen. Dabei halten es zwei Drittel der Japaner für gescheitert. Die Männer spüren das schon am Taschengeld. In Japan werden die Löhne verheirateter Männer direkt an ihre Frauen überwiesen. Diese gewähren den Männern dann Taschengeld. Nach der Statistik der Shinsei Bank haben Japans Männer seit 1982 nie so wenig Taschengeld erhalten wie 2015, etwa 300 Euro pro Monat. Und dieses Jahr wohl noch weniger.

Wie Abe Tatsachen verdreht, zeigte sich nach dem G-7-Gipfel, als er dem heimischen Publikum erzählte, die Staats- und Regierungschefs hätten sich geeinigt, Abenomics nun weltweit anzuwenden. Er behauptet auch, Wirtschaftsnobelpreisträger wie Paul Krugman oder Joseph Stiglitz unterstützten seine Politik.

Dabei gibt Koichi Hamada, der "Vater der Abenomics", ein emeritierter Professor von Yale und sicher kein Nobelpreisträger, offen zu, Abenomics sei eine Ponzi-Pyramide. So nennt man den Trick, mit dem Geld von immer neu dazu gewonnenen Anlegern den bisherigen Teilnehmern Zinsen auszuzahlen. Bis die Pyramide einstürzt, da die Zahl der möglichen Anleger begrenzt ist. Hamada meint, im Gegensatz zum Privatsektor, wo solche Pyramiden zwangsläufig einbrechen und strafverfolgt werden, können Staaten sich den Trick leisten. Ihre Anleger seien die Steuerzahler, und die könne der Staat unbegrenzt melken.

Nachdem Abe im März Joseph Stiglitz hatte einfliegen lassen, damit er ihn berate, berichtete Japans Presse, Abenomics genieße Stiglitz' volle Unterstützung. Auch die neuerliche Verschiebung der Mehrwertsteuererhöhung. Inzwischen wurde Stiglitz' Powerpoint-Präsentation veröffentlicht. Zur Mehrwertsteuer hat er sich nicht geäußert, dafür die radikale Geldpolitik der Notenbank kritisiert. Noch nie habe ein Land mit Geldpolitik eine Rezession überwunden. Außerdem forderte der Nobelpreisträger eine Umweltsteuer, die die Energie-Revolution beschleunigen sollte. Takamitsu Sawa, der Rektor der Shiga-Universität, unterstellt dem Kabinettsbüro, es habe Passagen für die japanische Presse absichtlich falsch übersetzt. Das erlaubte dem Kabinett, Stiglitz' Kritik in eine Unterstützung Abes zu verdrehen.

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