Bei uns in Tokio:Aal und Ochs

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Tradition wird in Japan groß geschrieben, und so gibt es auch bestimmte Speiserituale, die seit Jahrhunderten streng befolgt werden. An bestimmten Tagen etwa muss Aal gegessen werden. Nur leider werden jetzt die Aal-Bestände knapp.

Von Christoph Neidhart

Wer am Tag des Ochsen Aal isst, der übersteht die Sommerhitze besser, so lautet eine alte japanische Volksweisheit. Der Tag des Ochsen fiel dieses Jahr auf den vergangenen Samstag; und mit ihm legte sich eine lähmend schwüle Hitze über Tokio. Trotz Preisen, die so hoch sind wie noch nie, lieferten die Versandhändler seit Tagen große Mengen Aal aus. In vielen Supermärkten war er am Nachmittag ausverkauft. Vor bekannten Aal-Restaurants bildeten sich bereits am Vormittag Schlangen.

Die Japaner grillen ihren Aal aufgespalten und entgrätet auf kleinen Spießchen. Sie würzen ihn mit einer eingedickten, gesüßten Sojasoße und servieren ihn auf Reis. So aß schon der Schriftsteller Ikku Jippensha im 18. Jahrhundert im Sommer Aal. Der butterige Fisch zergeht auf der Zunge, seine Süße verführt auch simple Gaumen. Mit den Viechern, die in Günter Grass' "Blechtrommel" am Strand von Sopot aus einem Pferdekopf kriechen und den fetten schweren Gerichten, die daraus zubereitet werden, hat diese leichte Sommermahlzeit nichts gemein.

Aber der japanische Aal, der im Winter als Glasaal, also als Jungtier, gefangen und dann in Wassertanks gemästet wird, ist vom Aussterben bedroht. Bis in die 1960er-Jahre wurden in Japan jährlich 200 Tonnen Glasaale gefangen, in den 1970ern noch 50 Tonnen; jetzt nur noch 3,7 Tonnen. Dafür kauft Japan die Glasaale von Taiwan und China auf, die es dann als japanische Aale mästet. Viel Glasaal wird auch gewildert und nach Japan geschmuggelt.

Ausländer werden in Japan oft gefragt, ob es in ihrem Land auch Jahreszeiten gebe. Gemeint ist besonders die jahreszeitliche Küche. Dabei werden saisonale Gerichte längst auch im übrigen Jahr serviert. Aber am Tag des Ochsen ist Aal fast Pflicht (und am Neujahrstag Erdbeeren).

Der Aal sei bedroht, warnte Landwirtschaftsminister Ken Saito voriges Jahr. Aber die Japaner sind radikale Konsumenten. Wenn es Brauch ist, am Tag des Ochsen Aal zu essen, dann hält sie nichts zurück. Nicht einmal die hohen Aal-Preise, die sich in den vergangenen 15 Jahren verdreifacht haben, aber mit einem Großhandelspreis von 60 Euro pro Kilo noch viel zu niedrig sind, wie Fischerei-Experten klagen. Generell sei Fisch, wenn man ein Überleben der Bestände sichern wolle, zu billig.

Japan konsumiert 70 Prozent des weltweiten Aal- und 50 Prozent des globalen Thunfischfangs. Und obwohl das bedrohte Tierarten sind, will die Regierung die japanische Küche mit diesen Spezialitäten weltweit populärer machen, um die Exporte anzukurbeln.

© SZ vom 02.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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