Süddeutsche Zeitung

Bei uns in ... Schanghai:Ersatzdroge Aktie

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Die Krankheit hat einen Namen: Aktiensucht. Im Internet gibt es schon die ersten Beratungsangebote. Und ein Land leidet besonders unter dieser Sucht - China.

Janis Vougioukas

Längst hat die Entwicklung an den chinesischen Börsen Dimensionen erreicht, die sich mit Rechenmodellen und rationalen ökonomischen Analysen nicht mehr erklären lassen. Als in den USA die Kreditblase platzte, brachen auf der ganzen Welt die Aktienkurse ein. In China: keine Reaktion.

Die Anleger bleiben unbeeindruckt, wenn Politiker und Wirtschaftsplaner vor einem Crash warnen. Die Zentralbank erhöht die Leitzinsen, die Börse scheint das gar nicht zu bemerken. Tatsächlich hat der Schanghaier Leitindex seit Mitte Oktober deutlich verloren. Doch Chinas Anleger glauben an die schnelle Erholung.

Medizinisch ist die neue Krankheit Aktiensucht eng verwandt mit der Spielsucht. Selbst der Vizechef der Schanghaier Börse hat einmal die "Kasino-Mentalität" vieler Investoren kritisiert.

Er ahnte damals wohl kaum, dass er nicht einmal übertrieben hatte. Chinesen lieben Glücksspiele. Doch in der Volksrepublik sind Kasinos und Wettbüros verboten. So wurde der Aktienmarkt zur Ersatzdroge. Viele Hobbybörsianer sind Stammkunden bei Pfandleihern und Kredithaien.

Eine Studie der Citigroup kam zu dem Ergebnis, dass chinesische Anleger ihre Wertpapiere im Schnitt nach 62 Tagen wieder abstoßen. Im Rest Asiens liegt der Wert bei 249 Tagen.

Viele verbringen ihre gesamte freie Zeit in den Brokerhäusern, die es inzwischen fast in jeder Straße gibt. Dort sitzen sie, rauchen, trinken Tee, die Handelscomputer stehen aufgereiht da wie Einarmige Banditen.

Tatsächlich ist die Spielsucht in China eine besonders ansteckende Krankheit. Eine psychiatrische Studie der University of Queensland kam 2004 zu dem Ergebnis, dass Chinesen ein um 50 Prozent erhöhtes Risiko haben, an Spielsucht zu erkranken. Vielleicht, weil Buddhismus und Taoismus das Glücksspiel nie verboten. Zocken ist so tief in der Kultur verankert, dass auch das Verbot der Kommunistischen Partei daran nichts ändern konnte.

Es gibt einen Ort in China, an dem das Glücksspiel erlaubt ist: Macao, den winzigen Landzipfel an der südchinesischen Küste. Chinas großer Börsenboom begann vor zwei Jahren. Das war auch die Zeit, als die ehemalige portugiesische Kolonie zum größten Glücksspielzentrum der Welt wurde, noch vor Las Vegas. Eine Börse gibt es in Macao nicht - wo Glücksspiel legal ist, scheint das niemand zu vermissen.

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SZ vom 04.01.2008/sho/woja
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