Bei uns in Rom:Flucht in die Qualität

Diese Plastikschälchen mit den abgezählten Kirschen im Supermarkt will man gar nicht zur Kenntnis nehmen. Die Mini-Portionen sind eine Zumutung. Schuld ist das Wetter. Auch Butter ist knapp. Die Preise steigen. Es ist die Flucht in die Qualität.

Von Ulrike Sauer

Am liebsten möchte man ja weggucken. Diese Plastikschälchen mit den abgezählten Kirschen im Supermarkt gar nicht zur Kenntnis nehmen. Klar, auch in Italien geht der Trend zum Single-Haushalt. Aber diese Mini-Portionen sind eine Zumutung. Una tira l'altra, sagt man hier treffend über Kirschen. Wer eine isst, kann dann nicht mehr aufhören. Was aber, wenn der Kilopreis auf 8 Euro hochschießt?

Schuld ist das Wetter. In Vignola bei Modena, einem der beiden wichtigsten Anbaugebiete Italiens, stürzten die Temperaturen bei einem Frosteinbruch im April auf minus 4 Grad ab. Rund um Bari im Süden, wo jede dritte italienische Kirsche gepflückt wird, wütete im Mai ein Tropensturm. So öffnete sich die Preisschere. Die Kirschbauern erzielen für ein Kilo der Sorte Bigarreux nur noch 1,50 Euro. Die Läden bieten das Kilo für 8 Euro an.

Damit nicht genug. Auch Butter ist momentan knapp. Im Mai stieg der Erzeugerpreis an der Butterbörse in Lodi um 90 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Die Backwarenindustrie klagt über Lieferengpässe. Das liegt nicht am Klimawandel. Sondern an der Palmöl-Phobie. Vor einem Jahr traten die Hersteller bei uns die Flucht aus dem billigen Tropenfett an. Inzwischen gibt's Kekse und Snacks nur noch mit der Aufschrift "Ohne Palmöl". Das geächtete Fett ersetzt die Industrie jetzt auch durch Butter. Was sich unwillkürlich in höheren Preisen niederschlägt. Außerdem heizt ein neues Gesetz die Nachfrage nach heimischer Milch an. Seit Ende April ist in Italien bei allen Molkereiprodukten eine Herkunftsbezeichnung auf der Verpackung vorgeschrieben. Und die Italiener achten immer penibler darauf, was sie zu sich nehmen. Joghurt löffeln, der aus Milch hergestellt wurde, die in Tanklastern oder als Pulver über die Alpen gekarrt wird, behagt ihnen immer weniger.

An den Bondmärkten nennt man dieses Verhalten Flight to quality . Die Flucht in die Qualität sorgt etwa dafür, dass Wolfgang Schäuble seine Bundesschatzbriefe aus der Hand gerissen werden. Bei den minderwertigen Staatsanleihen aus Rom greift EZB-Präsident Mario Draghi zu. Umgekehrt verhält es sich bei der Butter. Der Flight to quality treibt die Preisspirale an, weil Palmöl hier out und italienische Milch sehr gefragt sind. Addiert man die Anstiege bei Kirschen und Butter, erhält man den berüchtigten Kirschtorten-Effekt.

Gut möglich, dass Draghi die Gefahr neulich bei seinem Heimatbesuch erkannt hat. Von dem Römer ist ja bekannt, dass er früher samstags beim Metzger im Nobelviertel Parioli selbst in der Schlange stand, um seine bistecca zu kaufen. Den süßen Inflationsschub in Italien kann er bei der Verteidigung seiner lockeren Geldpolitik gar nicht gebrauchen.

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