Einmal im Jahr, meist Mitte Oktober, treffen sich die Deutschen in Peking und praktizieren Demokratie. Auch ein paar Österreicher und Schweizer dürfen dann mitmachen. Es gibt echte Wahlzettel, eine Wahlurne und sogar ein bisschen Wahlkampf, in einem Land, in dem sonst die Kommunistische Partei herrscht und der Volkskongress die Gesetze mit Mehrheiten abnickt, die zu schön sind, um wahr zu sein.
Bei den Wahlen der Deutschen geht es um den Vorstand des Vereins der deutschen Botschaftsschule. Mehr als 500 Schüler, ein Jahresbudget von fast 16 Millionen Euro, und dennoch wird die Schule wie ein Kegelverein geführt. Der fünfköpfige Vereinsvorstand kümmert sich um die Liegenschaften, das Personal und den angeschlossenen Kindergarten, er legt die Gebühren fest und verhandelt mit den Behörden. Wer im Vorstand sitzt, hat also viel Einfluss, so viel, dass auf einmal auch die großen Unternehmen mitmischen: "Es ist wichtig, dass Sie mit Ihrer Stimme sowohl die Interessen Ihrer Kinder aber auch die Interessen unseres Unternehmens vertreten, und so dafür sorgen, dass die künftige Schulpolitik in einer ausgewogenen und fairen Weise gestaltet wird und nicht durch Minderheiten dominiert wird", heißt es in einer E-Mail, die Volkswagen vor ein paar Tagen an alle Mitarbeiter verschicken ließ, die Kinder auf der Schule haben. Eine Wahlempfehlung lieferte Volkswagen gleich mit: "Daher werden wir uns dieses Jahr auch mit einem Kandidaten aus unseren Reihen" bewerben. Ein Konzern macht Politik.
Entsprechend gut gefüllt war die Schulaula am Mittwochabend. Hunderte Eltern saßen dicht an dicht, kaum jemand, der eine Maske trug. Die letzte Corona-Neuansteckung in Peking liegt inzwischen mehr als zwei Monate zurück. Sechs Bewerber stellten sich vor. Als der "Kandidat aus unseren Reihen" ans Pult trat, erzählte er, dass 20 Prozent der Schüler Kinder von VW seien. Dann die Wahl: allgemein, unmittelbar, frei, gleich und natürlich geheim - mitten in China. Als alle Stimmen ausgezählt waren, stand fest: Volkswagen ist nicht der Volkskongress. Der Kandidat bekam die wenigsten Stimmen und zog als einziger Bewerber nicht in den Vorstand ein. Lediglich zum Kassenprüfer wurde der Mann gewählt. Volkswagen darf künftig also die Abrechnungen gegenzeichnen.