Bei uns in Peking:Tage der Angst

Einen Tag vor dem großen Neujahrsfest hat die chinesische Regierung die Stadt Wuhan abgeriegelt, aus der das Coronavirus stammt. Familienmitglieder und Freunde sind isoliert. Und allmählich kommt auch in der Hauptstadt Panik auf.

Von Christoph Giesen

Es ist Frühlingsfest, der höchste Feiertag in China, so wichtig wie Weihnachten und Ostern zusammen und vielleicht noch der Nikolaustag dazu. Eine volle Woche steht das Land normalerweise still. In Fabriken wird nicht gearbeitet, Büros haben geschlossen, Restaurants machen dicht. Wirklich jeder ist zu Hause bei der Familie, um gemeinsam das neue Jahr zu begrüßen. Das Jahr der Ratte beginnt an diesem Samstag.

Die eigene Ehefrau aber ist betrübt. Sie stammt aus Wuhan. Bis vor ein paar Wochen musste sie in Deutschland eine imaginäre Karte in die Luft malen: "Hier ist Peking, dort liegt Shanghai und hier drüben in der Mitte Chinas Wuhan." Damit ist es wohl vorbei. Die ganze Welt kennt jetzt Wuhan, jene Stadt aus der das Coronavirus stammt, jene Elf-Millionen-Metropole, die die Behörden am Donnerstag, einen Tag vor dem chinesischen Silvesterabend, von der Außenwelt abgeschnitten haben: keine Flüge mehr, Schnellzüge fahren durch, U-Bahnen und Busse haben den Verkehr eingestellt. "Fluhan", nennen Witzbolde die Stadt im Internet inzwischen.

Die Realität ist nicht witzig: Familienmitglieder und Freunde sind isoliert auf unbestimmte Zeit, Schlangen vor den Krankenhäusern, Schlangen vor den Supermärkten. Und wer aus Wuhan stammt und in Peking lebt, steht plötzlich unter Beobachtung: Taxifahrer zucken zusammen, wenn sie den markanten Dialekt hören. In Hotels bekommt man nur sehr schwer ein Zimmer, wenn im Pass als Geburtsort Wuhan vermerkt ist. Wie im Zeitraffer ist die Panik über Peking gekommen. Anfang der Woche äußerte sich Staats-und Parteichef Xi Jinping besorgt - spricht er, muss es ernst sein. Danach jeden Tag neue Zahlen: Inzwischen sind es Hunderte, die sich angesteckt haben, auch in den Nachbarländern die ersten Infizierten.

Ein guter Indikator für die Unsicherheit sind die Atemschutzmasken. Bis vor ein paar Tagen noch trug man diese nur, wenn wieder einmal Smog die Stadt heimsuchte. Aber bei blauem Himmel einen Mundschutz? Vielleicht, wenn man ein schwaches Immunsystem hat oder ein übervorsichtiger japanischer Tourist ist, der sich erkältet hat und nun sehr rücksichtsvoll sein möchte. Aber ein echter Pekinger? Niemals. Heute fällt man auf, wenn man keine Maske trägt. Peking ist vermummt, das große Fest droht zu Tagen der Angst zu werden.

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