Bei uns in Hamburg:Die hanseatische Siez-Krise

Nord-Süd-Gefälle beim Duzen: Eine Studie macht den Lernspaß von Kindern am Duzen fest. Nirgends werden Lehrer mehr gesiezt als in Hamburg. Großer Trost: Siez-Kinder beherrschen die Rechtschreibung schneller.

Von Angelika Slavik

Städte, besonders die großartigen, werden ja gerne mal als Namensgeber für alles Mögliche herangezogen. Nicht immer wissen die Städte diese Ehre auch zu schätzen: Die Wiener zum Beispiel nennen das Wiener Würstchen ja lieber "Frankfurter" - offenbar wollen sie in Österreichs Hauptstadt einfach nicht schuld sein an diesem kulinarischen, ähm, Klassiker.

Auch nach Hamburg sind viele aufregende Dinge benannt. Der Burger etwa soll auf den traditionellen Hamburger Imbiss namens "Rundstück warm" zurückgehen, die "Hamburger Schule" als Strömung in der Popmusik der Neunziger hat der Welt immerhin Tocotronic beschert. Und dann ist da noch: das Hamburger Sie. Das Hamburger Sie ist so etwas wie die Raststation für alle jene, die am Weg zum Duzen auf halber Strecke eingebrochen sind. Man siezt also weiterhin, spricht sich aber mit dem Vornamen an wie der Chef die Sekretärin in den Fünfzigerjahren: "Ingrid, kommen Sie bitte zum Diktat!"

Das Gegenstück zum Hamburger Sie ist das Münchner Du, gerne gebraucht bei Anlässen von existenzieller Bedeutung ("Lieber Herr Ministerpräsident, wir bitten dich jetzt, das Buffet zu eröffnen!") - und auch wenn sich die Städte nicht wehren können, kann man nicht abstreiten, dass in beiden Fällen ihr Charakter mit diesen Reverenzen durchaus treffend abgebildet ist.

Nun aber zeichnet sich im Norden eine schwere Siez-Krise ab. Eine Studie, die die Hamburger Zeit aufgetan hat, beschäftigt sich mit der Frage, ob Kinder in der vierten Klasse ihre Lehrer duzen oder siezen. Das Nord-Ost-Gefälle ist beeindruckend: Während in Hamburg, Bremen und Niedersachsen zwischen 70 und 90 Prozent der Kinder zum Siezen verdammt sind, liegt der Wert in Bayern und Baden-Württemberg nur bei etwa 40 Prozent. Das an sich müsste das Hamburger Selbstverständnis freilich noch nicht erschüttern - man mag es eben korrekt hier oben! Wäre da nicht diese sonstige Erkenntnis der Studienautoren: Wenn Kinder ihre Lehrer duzen dürfen, haben sie viel mehr Spaß am Lernen und gehen lieber in die Schule. Pah! Was soll man da jetzt machen? Im Unterricht zu Münchner Mundart übergehen? Oder bayerische Gemütlichkeit als Pflichtfach in Hamburg einführen?

Immerhin, ein Trost bleibt im Norden: Wer früher siezen muss, beherrscht schneller die korrekte Rechtschreibung, sagen die Forscher. Himmel, das ist doch wenigstens ein Lichtblick. Darauf ein Wiener Würstchen!

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: