Natürlich kann man sein Geld einfach so zum Fenster rauswerfen. Aber das Besondere bei diesen Menschen ist ja gerade, dass sie 1 000 Euro im Monat bekommen, einfach so, und damit etwas Sinnvolles anstellen wollen. Christoph zum Beispiel arbeitete bisher in einem Callcenter; jetzt kann er machen, was er will, und das ist: eine Erzieherausbildung. Tillmann will einen "schönen Film drehen", Tina ein "soziales Projekt unterstützen" und Sonja "mehr Bio- und Regionalprodukte kaufen".
Sie alle haben sich auf der Website der Crowdfunding-Initiative "Mein Grundeinkommen" versammelt, manche haben bereits Geld bekommen, andere hoffen noch darauf. Regelmäßig wird dort ausgelost, wer ein Jahr lang 1000 Euro im Monat erhält. Ins Leben gerufen hat das ein umtriebiger junger Mann in Eigenregie, finanziert wird es von Freiwilligen. Mehr als 55 000 Menschen haben für diese gute Sache schon gespendet und so 81 Menschen ermöglicht, ein Jahr Dinge zu tun, die ihnen und womöglich auch anderen guttun.
Eine kleine Revolution, die große Fragen aufwirft: Wäre es nicht eine feine Sache, wenn alle 1000 Euro bekämen? Könnten dann nicht alle Menschen das machen, was ihnen gefällt?
Nun ist es eine Sache, bei einer Initiative wie dieser für ein Jahr sich selbst auszuprobieren. Eine andere Sache wäre es, wenn alle Menschen in Deutschland jeden Monat 1000 Euro bekämen. Egal ob sie eine alleinerziehende Mutter sind oder Sonja heißen oder Martin Winterkorn. Das wollen die Anhänger des sogenannten "bedingungslosen Grundeinkommens". Die Idee elektrisiert derzeit wieder die Gesellschaft, wohlgemerkt noch nicht die Parteien. Und sie heißt: Man würde alle Menschen gleichbehandeln und sich eine Menge Verwaltungsarbeit sparen. Das Problem ist nur: Die Menschen sind nicht alle gleich.
Der Ex-VW-Chef Winterkorn zum Beispiel, er soll von seinem früheren Arbeitgeber 3000 Euro Betriebsrente am Tag überwiesen bekommen. An dem Tag, an dem in Deutschland ein bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt würde, bekäme auch der Pensionär Winterkorn 1000 Euro im Monat. Nicht, dass er das Geld bräuchte. Aber bedingungslos ist bedingungslos.
"Die Frage ist doch, was machen wir nun mit all den Menschen, die nicht mehr qualifiziert genug sind?"
Auch Timotheus Höttges würde über 1000 Euro im Monat wahrscheinlich nur müde lächeln. Als Chef der Deutschen Telekom braucht der 54-Jährige kein Grundeinkommen. An einem verschneiten Sonntag im Januar war der Topmanager in braunen Winterschuhen und kariertem Hemd bei einer Internet-Konferenz in München auf der Bühne. Casual, eher wie ein Abgesandter aus Kalifornien als wie der Vorstand eines Dax-Konzerns, saß er da und machte sich Sorgen um die Gesellschaft. "Leute können heute nicht mehr wie früher 50 Jahre lang in einem Unternehmen bleiben", sagte er. "Die Frage ist doch, was machen wir nun mit all den Menschen, die nicht mehr qualifiziert genug sind?"
Die Antwort lautet: Wir geben ihnen ein Grundeinkommen. Damit sie sich, so Höttges, "keine Sorgen über den nächsten Tag machen müssen". Und er wolle nicht, dass diese Menschen "Bittsteller sein müssen".
Die Zuhörer - die meisten von ihnen arbeiten in der IT-Industrie - klatschen Beifall. Es ist ein Heimspiel für den Mann von der Telekom, die Leute wissen Bescheid: Die Arbeitswelt dreht sich gerade so schnell, dass keiner weiß, ob er nicht morgen schon der nächste ist, der aus dem Karussell fliegt. Und deshalb ist das Grundeinkommen zum Modewort geworden, zu einer Art Wunderwaffe, die gegen die großen Sorgen helfen soll, welche die westlichen Gesellschaften plagen: Automatisierung, Ungleichheit, Prekarisierung - und, natürlich, Digitalisierung.
Das Zentrum der neuen Grundeinkommensdebatte liegt nicht zufällig im Silicon Valley. Diejenigen, die gerade die Welt digitalisieren - die Googles, Apples, die Ubers und die Teslas - wissen ja, dass sie nicht nur Taxi-Apps und autonome Autos produzieren, sondern ganz nebenbei auch noch die Arbeitswelt auf den Kopf stellen, indem sie einen Teil der Arbeit nach und nach abschaffen. Die Frage ist nicht ob, sondern nur: Wie viel? Ein Viertel? Ein Drittel? Die Hälfte?
Für kaum eine gesellschaftspolitische Idee können sich so viele Menschen begeistern
Der Multimilliardär Elon Musk, Elektroautopionier und Raketenunternehmer, sagt: "Die Chance ist recht hoch, dass wir irgendwann, wegen der Automatisierung, ein allgemeines Grundeinkommen oder so etwas ähnliches haben werden." Gleiches Geld für alle, das wurde nicht im Silicon Valley erfunden und auch nicht von Telekom-Chef Höttges. Viele der heutigen Befürworter berufen sich auf einen englischen Staatsmann und Humanisten, der schon im Jahre 1516 sehr klare Vorstellungen davon hatte, wie eine ideale Gesellschaft auszusehen hatte: Thomas Morus. Alle Menschen gleich, strebsam - und immer auf der Suche nach Bildung und Gerechtigkeit. Die zunächst auf Latein erschienene Schrift hatte den Titel "Utopia", und damit war klar, worum es ging: eine Sozialutopie.
Heute gibt es wahrscheinlich kaum eine gesellschaftspolitische Idee, für die sich so viele grundverschiedene Menschen begeistern können wie für die des Grundeinkommens. Der Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm gehörte dazu und der Soziologe Ralf Dahrendorf. Der Baptistenpastor und Bürgerrechtler Martin Luther King, aber auch der wirtschaftsliberale Marktverehrer Milton Friedman, dem eine negative Einkommensteuer vorschwebte für jene, die kein ausreichendes Einkommen haben. Der aber ansonsten fand, dass die Freiheit da in Gefahr ist, wo sich der Staat um seine Leute kümmert. Und bei den Parteien finden sich Befürworter von der CDU bis zur Linkspartei.
Der große Humanist Fromm und der Wirtschaftsliberale Friedman, Linke und Konservative vereint - ein Phänomen. Nur: Was hat es zu bedeuten?