Kaum ein sozialpolitisches Thema stößt bei Menschen, die viel im Internet unterwegs sind, auf so großes Interesse wie die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen. Und in der Tat wirkt die Idee ja auf den ersten Blick bestechend: Wenn Millionen Menschen ihren Job verlieren, weil hochintelligente Maschinen ihre Arbeit übernehmen, dann müssen sie aufgefangen werden - und zwar am besten mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Bedingungslos deshalb, weil es jeder bekommen soll, unabhängig davon, ob er Geld verdient oder nicht; wer arbeitet, muss also keine Angst mehr vor dem Absturz haben, und wer seinen Job verliert, hat auch dann noch genug zum Leben.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, findet diese Idee nicht ganz so bestechend. Und dies hat keineswegs damit zu tun, dass die Kirche nicht mehr den Armen und Bedürftigen helfen wollte, ganz im Gegenteil. Sondern es hat mit dem Menschenbild zu tun, auf dem die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens fußt.
Kardinal Marx beruft sich auf die katholische Soziallehre
Kardinal Marx hat es auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin so formuliert: "Wer meint, man könne eine Gesellschaft aufbauen, indem man einen großen Teil mit dem Grundeinkommen versorgt und ansonsten Unterhaltungsindustrie auf sie loslässt, liegt meiner Ansicht nach falsch. Denn die Arbeit ist nicht irgendetwas, sondern die Arbeit gehört auch zur Grundkonstitution des Menschseins." Wenn man Millionen Menschen einfach mit Geld und digitalen Gadgets ruhig stellt, wäre aus Sicht von Marx "das Ende der Demokratie" nahe.
SZ-Wirtschaftsgipfel:Kardinal Marx: Grundeinkommen ist "das Ende der Demokratie"
Das Grundeinkommen sei die falsche Antwort auf die Digitalisierung, sagt der Münchner Erzbischof.
Der Kardinal beruft sich dabei auf die katholische Soziallehre, wonach der Mensch sich nicht nur über den Glauben an Gott definiert, sondern auch über seine Arbeit, mit der er sich in die Gesellschaft einbringt. Papst Johannes II. hat das schon 1981 in seiner Enzyklika "Laborem exercens" ausgeführt. Arbeit, schrieb er damals, sei aktive Teilhabe am Schöpfungswerk Gottes. Es sei wichtig, dies dem Menschen auch dann zu ermöglichen, wenn immer mehr Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzt werden.
Die Anhänger des Grundeinkommens dagegen sehen in erster Linie die Schlagzeilen, die da lauten: "Kardinal Marx: Grundeinkommen gefährdet Demokratie." Sie können nicht nachvollziehen, dass der wichtigste Vertreter der katholischen Kirche in Deutschland sich gegen diese aus ihrer Sicht doch so überzeugende neue Sozialleistung ausspricht.
Schon frühere Technologiesprünge vernichteten Jobs - und erschufen neue
Tatsächlich geht es Marx aber nicht so sehr um das Instrument Grundeinkommen, sondern um die Haltung, die hinter der Forderung danach steht. Es ist dies eine höchst defensive Haltung, sie unterstellt, dass die Arbeit mehr oder weniger verschwinden wird und dies unausweichlich ist. Sie unterstellt, dass schlaue Roboter die allermeisten Jobs zunichte machen und stattdessen nichts Neues entsteht - eine Angst, die schon während der ersten industriellen Revolution umging, als die Dampfmaschine aufkam und große Fabriken entstanden.
Viele Handwerker verloren deshalb ihren kleinen Erwerbsbetrieb; aber es entstanden auch viele neue Berufe und Stellen anderswo. Ähnlich verhielt es sich bei allen späteren Technologie-Sprüngen: Das Auto machte den Kutscher überflüssig, aber es brachte andere, höher qualifizierte Berufe hervor, vom Mechatroniker bis zum Automobilingenieur. Das Flugzeug verdrängte die Ozeanliner mit ihren Besatzungen, aber es entstanden neue Jobs für Piloten oder Flugzeugingenieure. Selbst der Computer und das Smartphone, die Vorstufen hochintelligenter Maschinen, brachten unzählige neue Berufsbilder hervor: vom IT-Administrator über den Web-Designer bis zum App-Entwickler. Warum sollte das künftig anders sein?
Natürlich fällt es schwer, sich dies heute vorzustellen. Denn wir kennen die Berufe, die jetzt bedroht sind, aber wir wissen noch nicht, was morgen entstehen wird. Und natürlich wird auch längst nicht jeder, der seinen Arbeitsplatz an einen Roboter verliert, schon bald anderswo eine neue Stelle finden, aber denen bietet der Staat schon heute vielfältige Hilfe an - vielleicht nicht im Silicon Valley mit seinem Turbokapitalismus, wohl aber in der sozialen Marktwirtschaft deutscher Prägung. Man muss diskutieren, ob diese Hilfen wirklich ausreichen - und ob der Staat genug tut, diejenigen neu zu qualifizieren, deren Job überflüssig wird. Hier gibt es großen Handlungsbedarf, gerade in der Aus- und Weiterbildung. Aber das Leitbild sollte sein, möglichst viele Menschen zurück in Arbeit zu bringen. Und nicht, ihnen zu signalisieren: Ihr werdet eh nicht mehr gebraucht!