BDI-Schelte für Schwarz-Gelb:Enttäuschte Liebe

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BDI-Präsident Keitel geißelt mit scharfen Worten die erste Bilanz der schwarz-gelben Bundesregierung. Die Kritik müsste vor allem für Guido Westerwelle ein Alarmsignal sein.

Claus Hulverscheidt

Wohl kaum ein Gemütszustand kann eine vermeintlich intakte Beziehung so nachhaltig zerstören wie das Gefühl enttäuschter Liebe. Wer sich von einem ehemals vertrauten und geschätzten Menschen über längere Zeit missachtet oder gar abgelehnt fühlt, zahlt diesen "Verrat" oft doppelt und dreifach heim. Aus enger Verbundenheit wird dann leicht eine ebenso abgrundtiefe Abneigung.

Ganz so schlimm ist es um das Verhältnis der deutschen Wirtschaft zur konservativ-liberalen Bundesregierung natürlich nicht bestellt, und doch legen die jüngsten Aussagen von BDI-Chef Hans-Peter Keitel schonungslos offen, wie tief die Enttäuschung vieler Unternehmer und Manager über die ersten vier Regierungsmonate ihrer vermeintlichen Lieblingskoalition mittlerweile sitzt.

Ginge es um die Details einer Steuer- oder Gesundheitsreform, könnten Angela Merkel und Guido Westerwelle die Vorwürfe als das übliche Genörgel einer großen Lobby-Organisation abtun. Aber es geht Keitel nicht um Details, es geht ihm um das große Ganze, das Grundsätzliche. Er wirft der Regierung Orientierungslosigkeit vor, einen Mangel an Glaubwürdigkeit, ja, schlimmer noch, an Ernsthaftigkeit. Wer den Menschen Keitel, diesen eher feinsinnigen denn grobschlächtigen, eher intellektuellen denn populistischen Top-Manager schon einmal im persönlichen Gespräch erlebt hat, der ahnt, dass seine Kritik fundamentaler kaum sein könnte.

Vor allem Westerwelle sollte die Aussagen als echtes Alarmsignal begreifen. Zwei Erkenntnisse aus Keitels Wortmeldung sind für ihn hochproblematisch: Erstens darf der Versuch des FDP-Vorsitzenden, die Kernwählerschaft seiner Partei mit Hilfe polemisierender Aussagen über Hartz-IV-Empfänger an sich zu binden, endgültig als gescheitert angesehen werden. Zumindest Teile dieser Kernwählerschaft fühlen sich nämlich durch "die Flucht in die populistische Ecke", wie Keitel es nennt, nicht etwa eingebunden, sondern wenden sich im Gegenteil beinahe angewidert ab.

Viele Unternehmer dürften sich zweitens in ihrer grundsätzlichen Skepsis gegenüber Westerwelle bestätigt sehen. Der Ruch mangelnder Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit haftet dem FDP-Vorsitzenden an, seit er vor 16 Jahren in Bonn die große politische Bühne betrat. Insofern ist das Bild von der enttäuschten Liebe ein klein wenig schief: Es gilt für das Verhältnis der Wirtschaft zur schwarz-gelben Koalition, nicht aber für die Beziehung zu Westerwelle. Hier gab es nie Liebe.

Die Bedeutung von Keitels Aussagen liegt aber auch darin, dass sein Verband - anders als Westerwelles Partei - offensichtlich aus der Wirtschaftskrise gelernt hat: Statt für Steuersenkungen plädiert die Industrie jetzt nur noch für einen aufkommensneutralen Umbau des Steuersystems. Nicht einmal einen höheren Spitzensteuersatz schließt Keitel kategorisch aus - eine bemerkenswerte Position. Wohl selten war die Distanz zwischen dem BDI und der FDP größer.

© SZ vom 03.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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