BDI-Chef Hans-Peter Keitel:Der Präsident lässt bitten

Nächtelanges Rotwein- und Zigarrenschwadronieren im Kanzleramt gab es plötzlich nicht mehr: In der Ära Merkel waren die Zeiten, da der BDI der unbestrittene Sprecher der deutschen Wirtschaft war, vorbei. Bis Hans-Peter Keitel kam. Er hat in dem Verband kräftig aufgeräumt. Eine dritte Amtszeit wäre daher keine Überraschung.

Marc Beise

Es gab schon unangenehmere Reisen nach Berlin für die zwölf Herren, die sich an diesem Sonntag Abend im "Haus der Deutschen Wirtschaft" in der Hauptstadt zu einem Gespräch treffen, das es offiziell gar nicht gibt. Tags drauf, am Montag, tagt dort wie viermal im Jahr das Gremium der Vizepräsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), aber das wichtigste Thema steht dann nicht mehr auf der Tagesordnung.

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Ein kluger Redner, ein Organisator - und diskret: Der frühere Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel punktete damit auch bei der Kanzlerin.

(Foto: dapd)

Das besprechen die Vize am Vorabend, bei einem guten Essen, versteht sich: Der BDI braucht einen neuen Präsidenten. Die zweite reguläre Amtszeit des amtierenden Chefs, Hans-Peter Keitel, läuft zum Jahreswechsel aus, eine Entscheidung für die Zukunft soll bis September 2012 fallen.

Das könnte ein Anlass sein für Sorgen im Verband, der bei Personalfragen zuletzt nicht immer ein glückliches Händchen hatte. Manche Berufung wurde zur Zitterpartie. Diesmal aber werden die zwölf BDI-Vize-Chefs, allesamt erfolgreiche Unternehmer und Konzernmanager, ihre Entscheidung darüber, wer diesen wichtigsten deutschen Wirtschaftsverband in Zukunft führen wird, ganz entspannt vorbereiten.

"Wichtigster" Verband: Das ist ein großes Wort für die einst so stolze Interessenvertretung. Im zeitlichen Gleichklang mit dem Beginn der Ära Merkel war der BDI ziemlich auf den Hund gekommen. Was nicht nur, aber ein bisschen auch an der Kanzlerin lag und deren Verhältnis zu Wirtschaftsvertretern.

Angela Merkel hält anders als einige Vorgänger nicht viel von angestrengt starken Männern aus der Welt der Unternehmen. Sie hält Kontakt, wo das sein muss, sie lässt sich beraten, wenn Probleme zu lösen sind, aber sie macht sich nicht gemein. Schon gar nicht braucht sie Kuschelrunden zur Steigerung des eigenen Selbstbewusstseins. Nächtelanges Rotwein- und Zigarrenschwadronieren im Kanzleramt gibt es nicht mehr, und nicht nur deshalb, weil die Hausherrin nur mäßig trinkt und nicht raucht.

Angela Merkel wiederum konnte sich diese Attitüde auch deshalb leisten, weil der BDI ohnehin nur noch ein Schatten seiner selbst war. Die Zeiten, da der Verband der unbestrittene Sprecher der deutschen Wirtschaft war, sind lange vorbei. Die hauptamtlichen Geschäftsführer regieren nicht mehr in Ministerien hinein, wie das früher manchmal der Fall war. Nicht jeder Präsident, häufig ehrenamtlich tätige Mittelständler, schaffte den Sprung auf die unübersichtliche Berliner Bühne; meist waren die Herren entweder zu schrill oder zu leise.

Der Verband war so nebensächlich geworden, dass es sich 2006 ein damals noch junger CDU-Karrierist namens Norbert Röttgen leisten konnte, einen schriftlichen Vertrag als Hauptgeschäftsführer, also als hauptamtlicher Chef der Organisation, noch vor Amtsantritt wieder aufzukündigen. Diesen leichthändigen Umgang mit einem Lobbyisten-Job, der einmal zu den ganz wichtigen im land zählte, brachte den Verband in die Schlagzeilen und in die Bredouille.

In der Not stellte man einen netten, aber schwachen Ex-Minister aus Bayern ein, der gerade frei war. Der versuchte das Haus wie ein Ministerium zu führen, was nicht funktionieren konnte bei einem Gebilde, das von 38 eigenständigen Wirtschaftsverbänden getragen wird und sich im Wettbewerb mit anderen Spitzenverbänden befindet, der Arbeitgebervereinigung BDA beispielsweise und dem Industrie- und-Handelskammer-Dachverband DIHK. So setzte sich, während die anderen bestens funktionierten, das Siechtum des BDI fort.

Bis Hans-Peter Keitel kam.

Groß, schlank, als früherer Hochtief-Chef in der weltweiten Bauindustrie gestählt. Ein Repräsentierer, ein kluger Redner, ein Organisator. Ein Mann nicht nur für die Bühne, sondern auch für dahinter. Dahinter, das heißt zunächst: im Gespräch mit der Politik. Nie würde Keitel aus seinen Runden mit der Kanzlerin berichten, die solche Indiskretionen hasst. Klar aber ist, dass es diese Gespräche gibt, wann immer es sein muss. Keitel, heißt es im Kanzleramt, hat Zugang.

Wichtiger für den Verband war zunächst die Erfahrung nach innen. Keitel holte sich ein neues Team für die Hauptgeschäftsführung zusammen, Profis aus Politik und Wirtschaft, die geräuschlos arbeiten und dem Chef die große Bühne überlassen. Die dieser auch gerne ausfüllt. Keitel redet gut und viel und grundsätzlich. Seht her, soll das heißen, hier kennt einer die Welt und erklärt sie euch.

Die nächste Amtszeit ist eine besondere

Nicht jeder Mitgliedsverband sieht das gerne. "Herr Keitel hat seine Seilschaften im BDI gut platziert", heißt es dann schon mal, und das stimmt ja auch. Immerhin funktioniert das Haus seitdem wieder. Der BDI wird gehört, er hat wieder Einfluss und, vor allem, wieder Würde. Vor allem hat Keitel, was in der Öffentlichkeit kaum beachtet wird, mit eiserner Hand die Finanzen saniert. Rund 20 Millionen hat der BDI im Jahr aus Mitgliedsbeiträgen zur Verfügung, um 140 Mitarbeiter zu beschäftigen und Interessen zu vertreten.

Der BDI ist notorisch knapp bei Kasse, in der Krise 2009 wurde der Zufluss aus den Mitgliedsverbänden spärlicher. Keitel besann sich des BDI-Fördervereins, in dem die Konzerne Mitglied sind. Bei seinen ehemaligen Dax-Chefkollegen, von denen einige zwischenzeitlich gar mit einem Austritt aus dem BDI geliebäugelt hatten, putzte er Klinken - mit Erfolg. Das Spendenaufkommen aus dem Förderverein verdoppelte sich binnen 18 Monaten von drei auf sechs Millionen Euro. Der BDI hat heute so viel Geld wie nie zuvor.

Vorbei sind die Zeit, da man sehnsüchtig auf die vollen Kassen der Arbeitgebervereinigung blickte und in der Not sogar über eine Fusion mit der BDA nachdachte. Heute ist man wieder so stark, dass man den anderen die kalte Schulter zeigen kann. Als BDA-Hauptgeschäftsführer Rüdiger Göhner vor einigen Monaten die Idee einer Fusion der Verbände wieder zur Sprache brachte, winkte der BDI dankend ab: kein Interesse.

Reformator Keitel ist bald vier Jahre im Amt, zwei Perioden à zwei Jahre, das ist üblich. Der Ingenieur wird im August 65 Jahre alt, er ist fit, liebt die Berge und die Musik und hat noch einiges vor im Leben. Sagt er. Und hat bisher sehr präzise nicht zu erkennen gegeben, ob er beim BDI weitermachen mag. Möglich wäre das, denn eine dritte Amtszeit ist ausnahmsweise und mit Zweidrittelmehrheit möglich. Mehrfach schon hat Keitel gesagt, im Fall der Fälle müsse er seine Frau fragen, mehr war nicht zu erfahren.

Also reden die Vizepräsidenten nun über einen Nachfolger. Er könnte aus ihren Reihen stammen, das hätte Tradition. Vor allem zwei Kandidaten werden genannt: Arndt Kirchhoff aus Attendorn, Ulrich Grillo aus Duisburg, beides veritable Familienunternehmer. Der eine ist ein vielfach für den BDI aktiver und erfahrener Mittelständler, der andere koordiniert gerade mit großem Erfolg die für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Rohstofffragen. Aber vielleicht muss man sich mit den beiden in diesem Zusammenhang noch nicht beschäftigen.

Denn die nächste Amtszeit des Präsidenten ist eine besondere. Es kommt die Bundestagswahl mit ihrer Ungewissheit; Angela Merkel als Langzeitkanzlerin ist ja keine Selbstläuferin mehr. Es gibt Unternehmer, die schon die Piraten in der Regierung sehen oder eine rot-rot-grüne Koalition; es wäre ihnen der wahre Horror. Zugleich steht, reden wir nicht drum herum, der Euro auf der Kippe. So weltläufig sind die Mittelständler, dass sie wissen, dass die gemeinsame Währung, die ihren Geschäften dient, angezählt ist. Drüben in Amerika wettet kaum noch jemand einen Cent auf den Euro.

In der Krise aber, das weiß ein Unternehmer, wechselt man die Pferde nicht ohne Not. Also könnte es gut sein, dass am Ende der alte Präsident der neue sein wird. Vorausgesetzt, Frau Keitel sagt ja. Vorausgesetzt aber vor allem, dass die Herren, die sich am Sonntag Abend in Berlin treffen, ihren Keitel recht nett bitten, doch weiterzumachen.

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