BBC-Interview als Internet-Hit:Wie ein zynischer Trader zum Gesicht des Kapitalismus wurde

"Goldman Sachs regiert die Welt": Mit einem kontroversen BBC-Interview wird der Wertpapierhändler Alessio Rastani über Nacht zur Berühmtheit. Doch ist der Brite, der in dreieinhalb Minuten die Wirtschaftskrise erklärt, überhaupt ein Trader? Die Geschichte eines Mannes, der mit seinem Zynismus zum Gesicht der Krise wird.

Johannes Kuhn

Die Schuldenkrise hat ein Gesicht, endlich, mag man meinen. Es ist jung, gutaussehend, smart und gehört dem britischen Aktienhändler Alessio Rastani. Ein Interview mit der britischen BBC hat den 34-Jährigen über Nacht weltbekannt gemacht.

Nur knapp dreieinhalb Minuten war Rastani auf Sendung, doch die genügten, um das Video und die Zitate zum Internet-Gesprächsthema zu machen.

Der Euro-Rettungsplan? "Wird nicht funktionieren, die großen Investoren glauben nicht daran. Sie wissen, dass der Aktienmarkt am Ende ist." Was Investoren wieder Vertrauen bringen würde? "Wir sind Trader, wir interessieren uns nicht wirklich dafür, wie sie die Wirtschaft reparieren und die Situation lösen. Unsere Aufgabe ist, Geld damit zu verdienen."

Und außerdem: "Ich habe von diesem Moment seit drei Jahren geträumt. Ich gehe jede Nacht zu Bett und träume von einer Rezession. (...) Mit dem richtigen Plan kann man eine Menge Geld verdienen."

"Goldman Sachs ist das Rettungspaket egal"

Am Ende gibt er den Zuschauern noch einen Rat: "Seid vorbereitet, betet nicht, dass die Regierungen das hinkriegen. Nicht die Regierungen beherrschen die Welt, Goldman Sachs regiert die Welt. Und Goldman Sachs ist dieses Rettungspaket völlig egal." Die Menschen sollten lernen, vom Niedergang der Weltwirtschaft zu profitieren und ihr Vermögen zu schützen - denn die Ersparnisse von Millionen Menschen, so prophezeit Rastani, würden innerhalb der nächsten Monate verschwinden.

Die Reaktion auf Rastanis Äußerungen sind äußerst gespalten: Auf seiner Facebook-Seite wird er von einen als Ekelpaket und Abschaum bezeichnet, andere Internet-Nutzer gratulieren ihm zu seiner Ehrlichkeit und feiern ihn als Helden, der das wahre Gesicht des Kapitalismus entblößt hat.

Selbst der renommierte BBC-Wirtschaftsredakteur Robert Peston schwärmt vor seinen mehr als 80.000 Followern bei Twitter über das Video: "Das muss man sich ansehen, will man verstehen, wie die Euro-Krise und die Märkte funktionieren."

"Ich rede gerne"

Weil Rastanis Auftritt so überhaupt nicht den gängigen Standards der Branche entspricht, die spätestens seit der Krise 2008 jede Art von Zynismus und Weltherrschaftsanspruch zu vermeiden versucht, wird auch seine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt.

In einem Interview versuchte das Wirtschaftsmagazin Forbes, Rastanis Fachwissen auf die Probe zu stellen und rückte ihn am Ende in die Nähe der kapitalismuskritischen Aktivistengruppe "Yes Men". Die schickte schon öfter Mitglieder als falsche Vertreter der Welthandelsorganisation WTO und Konzernen wie Halliburton oder Exxon Mobil auf öffentliche Veranstaltungen, wo diese die Rhetorik und Geisteshaltung globalisierter Unternehmen und Organisationen ad absurdum führten.

Auch die BBC fiel schon einmal auf die Yes Men herein, als ihr ein Mitglied der Gruppe als falscher Sprecher des Chemiekonzerns Dow Chemical ein Interview gab. Der Sender veröffentlichte deshalb schnell eine Pressemitteilung, dass es an der Identität Rastanis überhaupt keine Zweifel gebe. Auch die Yes Men haben inzwischen erklärt, der Trader sei keiner von ihnen.

Die Wahrheit dürfte weit banaler sein: Die britische Zeitung Telegraph hat einige Informationen über Rastani zusammengetragen. Der selbsternannte "unabhängige Trader" hat offenbar noch nie für ein nennenswertes Unternehmen gehandelt und ist auch nicht bei der Londoner Financial Services Authority als Händler registriert.

Das Reihenhaus im Süden Londons, in dem er wohnt und nach eigenen Angaben auch an seinem Computerarbeitsplatz sich ins Handelssystem einloggt, gehört seiner Freundin. Seine Firma, die offenbar Reden organisiert, ist mit 10.000 Pfund verschuldet.

"Der Wertpapierhandel ist eher ein Hobby"

Die BBC gibt an, Rastani sei bereits in der Woche zuvor Gast in der Call-In-Show "World Have Your Say" gewesen. Er bloggt auch unter "leadingtrader", was ihn für die Redaktion interessant gemacht haben könnte. "Ich bin ein Aufmerksamkeitssucher", gab Rastani dem Telegraph in gewohnter Offenheit zu Protokoll, "der Wertpapierhandel ist eher ein Hobby, kein Geschäft. Ich bin ein Redner. Ich rede viel. Ich liebe es, öffentlich aufzutreten." Öffentlichkeit hat der 34-Jährige nun genug - nur 24 Stunden nach seiner plötzlichen Bekanntheit hat er schon fast ein halbes Dutzend Interviews gegeben.

Ein erfolgreicher Trader mag Rastani nicht sein - Kollegen wie der anonym bloggende Wall-Street-Trader "Kid Dynamite" geben ihm bei seiner Marktanalyse allerdings Recht.

Und auch von den Yes Men erhält der Mann, der die aktuelle Krise in dreieinhalb Minuten erklärte, Unterstützung. "Wer im großen Bankgeschäft wettet denn nicht gegen die Interessen der Armen und erhält dafür auch noch eine dicke Belohnung - wenn nicht durch den Markt, dann über gigantische Bailouts durch den Steuerzahler?" fragen sie auf ihrer Homepage. "Rastanis Methode ist schon seit Jahren absoluter Mainstream; wir müssen ihm dafür danken, dass er ihr ein menschliches Gesicht gegeben hat."

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