Bauverband über mehr Transparenz bei Großprojekten:"Die ganze Welt lacht über uns"

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Bei Großprojekten wie der Hamburger Elbphilharmonie wird getäuscht und vertuscht. Der Bauverband fordert jetzt neue Gesetze. (Foto: dapd)

Stuttgart 21, Berliner Flughafen, Elbphilharmonie: Drei Großbaustellen, drei Desaster. Die rasant steigenden Kosten bei Prestigeprojekten sind kein Zufall, sondern System, meint der Verband der Deutschen Bauindustrie. Die Politik täuscht über die tatsächlichen Kosten, um Diskussionen zu vermeiden. Wie es besser geht, zeigt ein Blick nach London.

Von Max Hägler, Stuttgart

Nach jedem Spatenstich ist es ein Drama. Die Elbphilharmonie: 77 Millionen Euro sollte sie kosten - neuer Preis: 575 Millionen Euro. Der Berliner Flughafen: Veranschlagt auf 2,5 Milliarden Euro - mittlerweile ist man bei wohl vier Milliarden. Der Bahnhof Stuttgart 21: Erzählt hatten der damalige CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel und die Bahn etwas von 4,9 Milliarden Mark - jetzt liegen die Schätzungen bei sechs Milliarden Euro.

Die Bürger protestieren, weil bei steuerfinanzierten Großprojekten weder Preis noch Zeitplan eingehalten werden. Doch nun melden sich selbst Baufachleute zu Wort und fordern einen radikalen Systemwechsel und Gesetzesänderungen. "Die ganze Welt lacht schon über uns", warnt Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Deutschen Bauindustrie.

Seinen Schätzungen zufolge sind in Deutschland etwa 70 Großprojekte mit einem Auftragsvolumen von 48 Milliarden Euro blockiert. Vor allem weil derart schlecht geplant wird - intransparent, nachlässig und am Bürger vorbei. "Wir sind faktisch nicht mehr in der Lage, Großprojekte zu stemmen", klagt Verbandsmann Knipper im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

Der Weckruf hat Gewicht. Denn eigentlich hat die Täuschung beim Bau durch die öffentliche Hand System. "Jeder Insider wusste, dass bei Stuttgart 21 ein politischer Preis genannt wurde", sagt Knipper. Jetzt spricht der Baulobbyist aus, was bislang vor allem die Rechnungshöfe kritisieren: "Die Politik neigt leider dazu, die Baukosten aus Angst vor unendlichen Diskussionen nicht ehrlich auszuweisen."

"Es ist eine Art Spiel"

Das Spiel geht so: Ein Ministerpräsident wünscht sich einen Prestigebau, etwa einen Bahnhof, einen Konzertsaal oder einen Transrapid. Es wird ein Eröffnungstermin vorgegeben und einige Beamte konzipieren grob den Auftrag. Er wird ausgeschrieben und der mit dem günstigsten Angebot gewinnt. Doch eigentlich ist noch gar nicht recht klar, was im Detail zu leisten ist, mit welcher Technik etwa ein Tunnel gebaut werden soll oder wie dick der Beton sein muss. Die Folge: Es tauchen oft Probleme auf. Und die Baufirmen wollen die extra abrechnen. Wenn so etwas aus Versehen zu Beginn bekannt wird, ziehen die Politiker mitunter die Reißleine wie beim Transrapid - oder es beginnt ein Streit über die Kosten zwischen den Projektträgern wie bei Stuttgart 21.

"Es ist eine Art Spiel. Allen Beteiligten ist klar, dass sich in Deutschland heute ein Projekt nur rechnet, wenn wir am Ende viele dieser sogenannten Nachträge abrechnen", beschreibt ein Manager eines großen deutschen Baukonzerns das System.

Es landet also am Ende viel Geld auf dem Konto der Baufirmen. Aber zum Preis von Streit, Stillstand, Unplanbarkeit und Bürgerprotesten, sagt Knipper und nennt das Beispiel Stuttgart: "Das unprofessionelle Vorgehen der Bahn hat allen geschadet. Es verunsichert und erschwert alle folgenden großen Projekte." Immerhin, die Bahn habe dazugelernt, meint der Baufachmann: Mit den neuen Zahlen habe sich Stuttgart 21 "der Realität angenähert".

Aber das soll sich so nicht wiederholen. Und deswegen fordert der Bauverband ein Umdenken: Großprojekte wie Stuttgart 21 oder die Elbphilharmonie müssten in einem Miteinander von Bürgen, Unternehmen und Politik geplant und gebaut werden. Voraussetzung sei jedoch völlige Transparenz - das Gegenteil des heutigen Prinzips beim öffentlichen Bauen.

Vorbild Olympia 2012

Knipper wie auch andere entnervte Beteiligte verweisen dabei auf London: Vor Olympia 2012 hatte die Olympic Delivery Authority einen ganz detaillierten Plan ausgearbeitet. 14.000 Einzelposten umfasste das Projekt. "Das war Fleißarbeit, die sich bezahlt gemacht hat", sagt Olympia-Gesamtkoordinator Klaus Grewe, ein Deutscher, der auch beim Gotthard-Tunnel und dem Berliner Hauptbahnhof mitgeplant hat.

Zu dem Projektbudget von 6,3 Milliarden Pfund (etwa 7,7 Milliarden Euro) errechneten Grewe und die Baufirmen Risiken in Höhe von 2,8 Milliarden Pfund. Diese Gesamtzahl - und nicht die 6,3 Milliarden Pfund - wurde der Politik und den Menschen kommuniziert und jeden Monat aufs Neue überprüft. Alles war im Detail im Internet abrufbar, neun von zehn Londonern waren einverstanden mit dem Vorhaben. Das dann pünktlich fertig wurde - und mehrere hundert Millionen Pfund billiger wurde als geplant.

So wie in London, so müsste das auch in Deutschland laufen, sagt Knipper. Es brauche ein Qualifikationsverfahren, das die Bonität und die technische Kompetenz der Unternehmen prüft. Dann sollte der Auftraggeber vier, fünf Unternehmen aussuchen und gemeinsam mit deren Ingenieuren das genaue Bausoll bestimmen, in das die Erfahrung aller einfließt. Einer übernimmt dann die Umsetzung, die anderen werden für ihre Beratungsleistung entschädigt.

Und all die Zahlen und Risiken müssten auf den Tisch, so dass eine "ehrliche Entscheidung" möglich sei. "Im jetzigen Rechtssystem ist das aber nicht machbar", sagt Jurist Knipper. "Wir müssen deshalb die Ausschreibungsverfahren ändern, die heute nur auf das billigste Angebot setzen und nicht auf das wirtschaftlichste." Die Bürger wollen das wohl - die Frage ist, ob auch die Politiker.

© SZ vom 17.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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