Baustellen-Sicherheit:Wettrüsten am Baugerüst

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Baugerüste müssen ab einer Höhe von fünf Metern mit Treppen statt mit einfachen Leitern ausgestattet werden. Das macht das Bauen teurer. (Foto: Rolf Poss/imago images)

Vollkasko-Mentalität oder Vernunft? Auf größeren Baustellen dürfen keine Leitern mehr verwendet werden. Das macht das Bauen teurer.

Von Gerhard Matzig, München

In der Bibel reicht die Jakobsleiter von der Erde bis zum Himmel, weshalb sie auch Himmelsleiter genannt wird. Im Buch "Genesis" erblickt Jakob im Traum die symbolische Verbindung zu Gott, die es natürlich auch in die Kunstgeschichte geschafft hat. Auf den Werken von Domenico Fetti oder Johann König sieht man Engel als ätherische Wesen auf einer Leiter. Die Engel sind trittfest, wie es scheint.

Daher sind sie zusammen mit dem Einfamilienhaus ausgenommen von einer Novelle der "Technischen Regeln für die Betriebssicherheit" (TRBS), die derzeit deutsche Baustellen verändert. Was dort nämlich zusehends auffällt, ist etwas, was immer öfter fehlt. Gemeint ist die typische Bauleiter, wie man sie von simplen Gerüsten kennt. Leitern verbinden auf einfachste Weise unterschiedlich hohe Ebenen miteinander. Im schönsten Bürokratendeutsch darf eine Leiter als "hochgelegener Arbeitsplatz" nur noch bis zu einer Höhe von fünf Metern verwendet werden.

Diese Regel gilt bereits seit 2018, setzt sich aber, wie Manfred Fröhlich erklärt, erst nach und nach durch. Fröhlich arbeitet als Bauleiter für das Gerüstbau-Unternehmen Strixner in der Nähe von München: "Bei uns wird die Regel angewendet - Arbeitssicherheit geht vor." Aber klar, teurer werden die Baustellen dadurch schon, "auch wenn sich das in Grenzen hält".

Bis zu 10 000 Unfälle im Jahr

Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) sagt dazu: "Mit Ausnahme von Einfamilienhäusern hat der Zugang zu einem Gerüst ab einer Aufstiegshöhe von mehr als fünf Metern über eine Treppe, einen Aufzug oder eine Transportbühne zu erfolgen." Auf Baustellen in Deutschland sind daher immer mehr Treppenkonstruktionen zu bemerken - und immer weniger Leitern mit Sprossen. Aus Sprossen werden Stufen, die Gerüste werden komplizierter, das Bauen wird teurer. Sind denn nun alle verrückt geworden?

Das fragt man Susanne Diehr von der BG Bau, allerdings etwas höflicher formuliert. Sie antwortet: "Leitern sind die Hauptursache für hohe Unfallzahlen in der Baubranche." Abstürze von Leitern und Gerüsten machen mehr als die Hälfte aller Unfälle in der Bauwirtschaft aus. Konkret geht es um "jährlich bis zu 10 000 Unfälle", das wären 27 pro Tag. Für die "Entschädigungsleistungen von 300 Millionen Euro" fällig sind. So gesehen sind Treppen nicht nur teurer - sondern letztlich billiger als Leitern.

Trotzdem fragt man sich mit Blick auf die Baugeschichte, wie jemals ambitionierte Architekturen und staunenswerte Städte entstehen konnten. Die Antwort ist ernüchternd: Beim Bau von St. Petersburg, entstanden im frühen 18. Jahrhundert in einer sumpfigen Landschaft an der Mündung der Newa, wurden Leibeigene fast planmäßig in den Tod geschickt. Historiker glauben, dass mehrere Hunderttausend von ihnen auf unmenschlich organisierten Baustellen gestorben sind. St. Petersburg, sagt man seither, wurde auf Skeletten errichtet. "Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten", heißt es dagegen im Gedicht "Stufen" von Hermann Hesse. So poetisch sind prosaische Baustellen eher selten. Auch Engel trifft man dort kaum. Aber es ist nicht verkehrt, die Baustellen, denen es an Fachkräften mangelt, so sicher wie möglich zu machen.

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