Bausparvertrag:Deutsche Bausparkassen kämpfen ums Überleben

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Früher nutzten viele Verbraucher die Bausparverträge, um einen Immobilienkredit aufzunehmen. Das tun heute immer weniger. (Foto: dpa)
  • Die niedrigen Zinsen bedrohen das Geschäftsmodell der Bausparkassen. Bankenexperten stellen der Branche eine düstere Prognose aus.
  • Das Hauptproblem: Bausparer sparen lieber weiter, statt einen Kredit in Anspruch zu nehmen. Ihre Verträge werfen meist deutlich mehr Zinsen ab als Sparbücher.

Von Stefan Mayr, Wüstenrot/Schwäbisch Hall

Christoph Seeger begrüßt seine Gäste mit einer Warnung. "Vorsicht, Kopf einziehen!" Damals, als der Schriftsteller, Laienprediger und Weltverbesserer Georg Kropp hier im schwäbischen Dörfchen Wüstenrot die erste Bausparkasse Deutschlands aufbaute, waren die Menschen noch kleiner als heute. Überhaupt ist in dieser kleinen Doppelhaushälfte mit den knallgrünen Fensterläden die Zeit stehen geblieben. Im Wohnzimmer steht die schwarze Schreibmaschine mit dem goldenen Schriftzug Continental, an ihr tippte Kropp anno 1924 seine ersten Bausparverträge aufs Papier. Heute betreibt die Wüstenrot AG in dem Häuschen ihr Bausparmuseum, der Museumsleiter Seeger zeigt auf ein altes Emaille-Werbeschild an der Wand: "Baukredit für nur vier Prozent." Tja, damals war die Welt der "Bausparkässler", wie Seeger sagt, noch in Ordnung. Heute sind die Zinsen im Keller, und alle 20 deutschen Bausparkassen stecken in der Krise.

"Wie soll das nur weitergehen in diesem Zinsumfeld?", fragt Seeger, der bei Wüstenrot auch Betriebsratschef und Aufsichtsrat ist. "Wir betreiben nun mal ein Margengeschäft und wenn die Marge nicht stimmt, dann geht man pleite." Seit Jahren hält die Europäische Zentralbank die Zinsen tief, das kommt verschuldeten Ländern entgegen, gefährdet aber Banken und auch Bausparkassen. "Die Situation ist insgesamt besorgniserregend", sagt Hans-Peter Burghof, Inhaber des Lehrstuhls für Bankwirtschaft an der Universität Hohenheim. Für den Fall, dass sich am Zinstief nicht bald etwas ändert, hat er eine düstere Prognose: "Das Konzept Bausparen geht verloren."

Das Hauptproblem: Weil die Zinsen so niedrig sind, sparen die Kunden nur noch ihre Guthaben an. Aber die Darlehensverträge rufen sie nicht ab, weil sie bei jeder Bank viel günstigere Kredite bekommen. Was gut für die Kunden ist, gefährdet die Bausparkassen: Sie müssen hohe Guthaben-Zinsen auszahlen, wissen aber nicht, wie sie dieses Geld auftreiben sollen. Denn auf der anderen Seite kommen keine Einnahmen durch vergebene Darlehen herein. Kurz: Sie müssen mehr Zinsen auszahlen, als sie eintreiben. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Um diesem Dilemma zu entkommen, haben sie hochverzinste Altverträge gekündigt. Das betraf alle Kunden, deren Vertrag seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif war - aber nicht abgerufen wurde.

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Nach langem Hin und Her und vielen kritischen Schlagzeilen gab der Bundesgerichtshof Ende Februar den Bausparkassen recht. Die Aufregung war groß, die Verbraucherschützer sprangen im Dreieck. Christoph Seeger kann all das nicht nachvollziehen: "Das heißt doch Bau-Sparvertrag - und nicht Hochzins-Vertrag", ruft er und fuchtelt mit beiden Händen. "Im Bausparkollektiv können wir keine Heuschrecken brauchen."

In der Branche löste das BGH-Urteil großes Aufatmen aus. Aber die Lage bleibt angespannt, vor allem in den kleinen Bausparkassen. Experten sagen sogar ein Sterben der kleinen Institute voraus. Viele von ihnen suchen schon seit Langem einen Käufer, heißt es, doch angesichts des angespannten Marktes winken alle ab.

Eines dieser kleinen Institute ist die Aachener Bausparkasse. Sie sendet mehr oder weniger deutlich Notsignale: "Für uns ist die Grenze zur Unzumutbarkeit erreicht." Deshalb bittet sie nun schon Kunden, deren Darlehen seit weniger als zehn Jahren zuteilungsreif ist, in neue Tarife. Dabei bezeichnet sie das Zinstief als "Wegfall der Geschäftsgrundlage" - und als Grund für ein außerordentliches Kündigungsrecht. Das gab es bisher noch nicht. Bleiben die Aachener ein Einzelfall oder sind sie die Vorboten eines Trends? Fakt ist: Dass eine Bausparkasse mit solchen Mitteln ums Überleben kämpfen muss, war vor zehn Jahren noch undenkbar.

Einst galten die Bausparkassen als Hort der Sicherheit für alle Anleger, die sich den Traum vom Eigenheim erfüllen wollten. Fast 30 Millionen Bausparverträge gibt es heute in Deutschland. Statistisch macht also fast jeder zweite Erwachsene mit. Ihre Bausparsumme: 876 Milliarden Euro. Von Wüstenrot breitete sich die Idee über die gesamte Wirtschaftswunder-Republik aus. An jedem Quartalsende kam der "Wüstenrot-Tag", das war so sicher wie Ostern und Weihnachten. Und der Fuchs aus Schwäbisch Hall lehnte sich entspannt an vier rote Steine und lauschte dem Jingle: "Auf diese Steine können sie bauen."

Doch diese Steine wackeln, wie Professor Burghof betont: "Wir brauchen wieder mehr Marktwirtschaft", fordert er, "wir müssen weg von der massiven Manipulation der Zinsen durch die Zentralbank . " Andernfalls sieht er schwarz für das Baugeld-Beschaffungs-Konzept, das oft als spießig abgetan wird, aber in allen Bevölkerungsschichten beliebt ist. Museumsdirektor Seeger zeigt auf Schriftstücke an der Wand. Es sind Verträge und Briefe prominenter Bausparer. Arbeitgeberpräsident Schleyer, Fußballstar Rummenigge, TV-Moderator Gottschalk. "Es wäre schade um diese besondere Form der Immobilienfinanzierung, die ja einen volkswirtschaftlichen Wert hat", sagt Professor Burghof.

Die großen Bausparkassen seien zwar nicht in Gefahr, betont er. Aber sie seien gezwungen, ihre Geschäftsmodelle umzustellen. "Am Ende sind sie keine Bausparkassen mehr, sondern ganz normale Immobilienfinanzierer." Heißt es für Sparer ohne Eigenkapital also bald: Auf diese Steine können Sie pfeifen? "Nein", sagt Reinhard Klein, Vorstandschef der Schwäbisch Hall AG. "Wohnriester ist die beste Riester-Möglichkeit." Noch nie habe es sich "so gelohnt wie jetzt, sich die niedrigen Darlehenszinsen staatlich gefördert für die Zukunft zu sichern". Auch Wüstenrot-Boss Bernd Hertweck rühmt Bausparen als "unverändert modern" - gerade "in Zeiten boomender Immobilienmärkte".

Die Orte Schwäbisch Hall und Wüstenrot liegen nur eine halbe Autostunde voneinander entfernt. Schwaben ist nicht nur der Ursprung der Bauspar-Welt, sondern auch immer noch deren Hochburg; Schwäbisch Hall und Wüstenrot sind die zwei Marktführer. Auch die Nummer vier der Rangliste (hinter der Postbank-Tochter BHW) kommt aus Baden-Württemberg: die Landesbausparkasse Südwest aus Stuttgart.

SZ-Grafik; Quelle: Bundesbank (Foto: SZ-Grafik; Quelle: Bundesbank)

Noch machen sie Gewinne. Aber diese brachen 2015 laut der Fachzeitschrift Immobilien & Finanzierung ein - bei den privaten Instituten um 30 Prozent, bei den Landesbausparkassen fast um 50 Prozent. Entsprechend herrscht selbst in den Zentralen der großen schwäbischen Häuser Unruhe: Personal wird abgebaut, Sparprogramme werden durchgezogen, neue Tarife ausprobiert. Und klare Worte gesprochen. "Die Zeit ist reif für Fusionen. Wer das leugnet, verkennt die Realität", sagt Peter Schneider, der Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg. Für ihn ist es ein Unding, dass noch acht Landesbausparkassen nebeneinander werkeln, während die Volks- und Raiffeisenbanken ihr Geschäft in einem Institut gebündelt haben, Schwäbisch Hall AG.

Schneider preschte 2016 voran, er fusionierte die LBS Baden-Württemberg mit der LBS Rheinland-Pfalz. Mittelfristig kann er sich einen weiteren Zusammenschluss vorstellen. Am liebsten wäre ihm eine "starke Südschiene" mit der LBS Bayern. Schneider: "Der Markt wird sich so entwickeln." Das gilt sogar unabhängig vom Zinsniveau. Denn falls die Zinsen wieder steigen sollten, sieht Wissenschaftler Burghof große Belastungen auf die Bausparkassen zurollen. Weil sie dann für die Refinanzierung wieder mehr Geld ausgeben müssen als hereinkommt. Burghof: "Je schneller die Zinsen steigen, desto gefährlicher ist das." Schwäbisch Hall und Wüstenrot haben damit kein Problem, beteuern die Chefs. Und die kleinen Häuser? Noch nie ging es in der vermeintlich langweiligsten Ecke der Finanzwelt so spannend zu wie zurzeit.

Georg Kropp, der Urvater des Bausparens, liegt unterdessen friedlich in seinem Ehrengrab in Wüstenrot. Auf einer Steinplatte steht sein Leitspruch: "Wille Sparen Gottvertrauen / werden Vaterhäuser bauen." An die EZB dachte der Mann damals noch nicht.

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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