Bauernproteste:Der Fehler liegt im System

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Der Umwelt- und Klimaschutz wird in der Landwirtschaft zum Gesellschaftsstreit. (Foto: REUTERS)

Deutsche Landwirte sollen immer mehr und immer billig produzieren. Das verträgt sich nicht mit Umwelt- und Klimaschutz. Die Wende im Agrarsektor kann nur mit einem radikalen Politikwechsel gelingen.

Kommentar von Markus Balser, Berlin

Was viele Bauern von strengeren Umwelt- und Tierschutzauflagen halten? Am Dienstag rollte die Antwort mit lautem Getöse in Deutschlands Zentren: Bauernfunktionäre machten gegen strengere Umwelt- und Tierschutzauflagen für die Landwirtschaft in 17 Städten mobil und legten mit Traktorkonvois den Verkehr lahm. Die Parallele zur Bewegung "Extinction Rebellion" war gewollt - nur unter umgekehrten Vorzeichen. Die Botschaft: Die Bundesregierung geht mit neuen Auflagen - etwa beim Schutz der Gewässer - viel zu weit.

Der Umwelt- und Klimaschutz wird in der Landwirtschaft zum Gesellschaftsstreit. Und die Kontrahenten stehen sich in einer regelrechten Kampfzone gegenüber. Hier die Landwirte, die sich zu Unrecht am Pranger fühlen. Da Umwelt- und Klimaschützer, die immer offensiver auftreten. Der Streit gewinnt an Schärfe, weil die Lücke zwischen gesellschaftlichem Anspruch und der Realität immer weiter auseinander klafft. Denn unübersehbar stößt die konventionelle Landwirtschaft an die Grenzen. Kühe geben heute dreimal so viel Milch wie 1950, Hühner legen doppelt so viele Eier, auf Feldern wächst dreimal so viel Weizen.

Doch der Preis ist hoch. Die Landwirtschaft stößt zu viele Klimagase aus, Gifte auf den Äckern gefährden die Artenvielfalt. Und weil die Massentierhaltung in einigen Regionen gewaltige Ausmaße erreicht hat, bringen Landwirte zu viel Gülle auf die Felder. Brüssel droht Deutschland mit Strafen, weil die Wasserqualität leidet. Geradestehen müssten dafür nicht die Landwirte, sondern alle Bürger. Zu Recht will die Regierung diesen Missstand mit neuen Auflagen abstellen.

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Doch klar ist auch: Der Fehler liegt im System. Auflagen allein lösen das Problem nicht. Denn kein Landwirt schädigt die Umwelt gerne. Es gibt sogar viele, die mehr für die Umwelt tun wollen. Doch konventionelle Bauern haben es dabei schwer. Mit artgerechter Nutztierhaltung könnte der Antibiotika-Einsatz sinken, mit bestimmten Fruchtfolgen auf den Feldern der Einsatz von Dünger oder Giften. Doch viele Bauern können sich schon kleine Veränderungen kaum leisten. Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz kosten. Die Billigpreise für Lebensmittel im Supermarkt aber lassen kaum Spielraum. Konventionelle Landwirte müssen heute auf Masse statt Klasse setzen, um im gnadenlosen Preiskampf selbst zu überleben.

Die Politik hätte ein große Chance, das System zu ändern: Auf EU-Ebene wird derzeit über die Neuverteilung der wichtigen EU-Agrarsubventionen von 2021 an gestritten. Bisher gilt: Je mehr Flächen und Vieh, desto üppiger die Zahlungen. Der schonende Einsatz von Pestiziden, Düngemitteln und Antibiotika wird kaum belohnt. An diesem Systemfehler aber will auch die Bundesregierung festhalten.

Dabei kann die Wende im Agrarsektor nur mit einem radikalen Politikwechsel gelingen. Die Bundesregierung muss strengere Standards und deren strikte Einhaltung erzwingen - auch gegen den Willen der Agrarlobby. Letztlich wird es vor allem darum gehen, umwelt- und klimaschonende Landwirtschaft und tiergerechte Haltung für Bauern ökonomisch attraktiv zu machen. Dafür könnten auch Verbraucher schon heute mehr tun. Wer immer zur Billigmilch oder zum Billigfleisch greift, festigt das System.

Und zuletzt sind auch die Bauern in der Pflicht umzudenken. Von den Protesten bleibt das Bild einer Branche, die an Besitzständen festhalten will und sich gegen eine grundlegende umweltschonende Reform sträubt. Dabei ist mehr Tier- und Umweltschutz nicht nur möglich. Beides ist zwingend nötig. Ein Weiter-so gefährdet die Produktionsgrundlagen einer ganzen Industrie. Nichts ist für Landwirte wichtiger als eine intakte Natur.

© SZ vom 23.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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