Süddeutsche Zeitung

Landwirtschaft:Bauernverband will weniger Ackerflächen stilllegen

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Die deutschen Landwirte spüren den Ukraine-Krieg, weil Tierfutter und Düngemittel teurer werden. Nun fordern sie möglichst viele Entlastungen, doch Agrarminister Özdemir zieht nicht bei allen mit.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Nein, ein Ende ist nicht in Sicht, sagt Udo Hemmerling. Hemmerling ist Vize-Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, dieser Tage befasst er sich vor allem mit dem Krieg in der Ukraine und dessen Folgewirkungen in Deutschland. "Wir gehen davon aus, dass die kritische Situation weit in das Jahr 2023 geht." Die kritische Situation: Das sind ausbleibende Getreidelieferungen der Ukraine, seit russische Truppen dort Häfen blockieren. Hohe Preise für Düngemittel, weil deren energieintensive Produktion direkt an Energiepreisen hängt. Teure Pflanzenschutzmittel, weil ein Teil der russischen Lieferungen ausfällt. Weltweit steigende Kosten für Tierfutter. Und dann noch die Angst vor einem Gasembargo, das letztlich auch Molkereien und Bäckereien treffen könnte. Es ist ein Horrorszenario, das dem Bauernverband da schwant.

Beispiel Gas: Sollte durch ein Embargo oder einen Lieferstopp tatsächlich eine Mangellage eintreten, in der Gas für die Wirtschaft rationiert wird, könnte das auch landwirtschaftliche Betriebe hart treffen. Etwa solche, die Küken oder Ferkel aufziehen und mit Gas die notwendige Wärme erzeugen. Oder aber für jene Sonderkulturen, die auf beheizte Gewächshäuser angewiesen sind. Für letztere könnte es tatsächlich eng werden: Denn in einem Papier, das die Abwägungen der Bundesnetzagentur im Falle eines Engpasses skizziert, ist die "besondere Aufmerksamkeit" der Behörde nur für den Tierschutz vorgesehen. Schon verlangt die Landwirtschaft eine Einstufung als "systemrelevant", um der Kürzung zu entgehen. Doch das wünschen sich derzeit viele Branchen.

Weniger Stilllegung bei Ackerflächen

Jenseits vom Gas soll eine Mischung aus Entlastungen, Hilfen und abgeschwächten Auflagen die kritische Situation dämpfen, verlangt der Bauernverband. So sollten Landwirte einstweilen nicht vier Prozent der Ackerflächen für den Naturschutz stilllegen müssen, um weiter in den Genuss der EU-Agrarsubventionen zu kommen. Seit Wochen stemmt sich Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) gegen diese Forderung, mit Verweis auf Klima-und Artenkrise, die nicht wegen des Krieges in der Ukraine pausierten. Doch die Bauern lassen nicht locker. Auch die geltenden Höchstgrenzen für die Düngung in nitratbelasteten Gebieten würden sie für "gewässerschonend wirtschaftende Betriebe" gerne aufheben. Sie stoßen damit aber bisher auf taube Ohren. Eine andere Forderung des Verbands dagegen trägt Özdemir mit: Eine Verschiebung der Vorgaben zum Fruchtwechsel. Damit könnten die Landwirte auf Flächen Weizen anbauen, auf denen eigentlich ein Fruchtwechsel anstünde. Die EU muss dem aber noch zustimmen.

Auch zinsfreie Kredite schweben den Landwirten vor - nämlich für den Kauf der teuren Betriebsmittel, also Dünger, Pflanzenschutz oder Diesel. Das würde zumindest die Zeit überbrücken, bis die Ernte eingefahren ist: Dann winken dank hoher Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse auch satte Erlöse. Das ist die andere Seite der Krise - denn derzeit lässt sich mit Getreide oder auch Milch gutes Geld verdienen. "Wehklagen sehe ich jetzt nicht", räumt auch Hemmerling ein. Wohl aber höhere Verbraucherpreise: Hier könnten schon im Sommer oder Herbst Steigerungen um zehn Prozent und mehr auftreten, prognostiziert der Verband. Höhere Preise seien vor allem für Entwicklungsländer eine Gefahr. Sie gelte es durch höhere Produktion in Europa zu entlasten.

Just am Montag allerdings wird auch eine kurze Studie der Umweltstiftung WWF publik, sie wirft noch ein etwas anderes Licht auf die Landwirtschaft. Unter dem Strich nämlich importiere die EU mehr Kalorien als sie exportiere, etwa in Form von Futter. Und auch die Hälfte der europäischen Getreideproduktion lande im Futtertrog. "Die EU muss anders produzieren und konsumieren", sagt WWF-Ernährungsexpertin Tanja Dräger. Mit kleineren Tierbeständen etwa blieben automatisch mehr Ackerfrüchte für die Welternährung.

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