Landwirtschaft:Die Politik hat die Bauern im Stich gelassen

Bauernprotest in Bayern

Viele Bäuerinnen und Bauern fühlen sich von der Bundesregierung allein gelassen.

(Foto: Nicolas Armer/dpa)

Viele Landwirte kämpfen an mehreren Fronten gleichzeitig - und über allem schwebt die Existenzangst. Das spielt der AfD in die Hände. Die Bundesregierung muss endlich entschlossen handeln.

Kommentar von Silvia Liebrich

Landwirte, die mit ihren Traktoren Straßen blockieren, solche Bilder kannte man bislang eher aus Frankreich. Ähnliche Szenen haben sich nun auch in Deutschland abgespielt. Vielen Bauern reicht es, und sie wollen sich nicht mehr zurückhalten. Denn sie kämpfen an vielen Fronten gleichzeitig: Preisdruck im Lebensmittelhandel, strengere Auflagen zum Schutz von Wasser, Böden, Tieren und Artenvielfalt, die Folgen des Klimawandels - all das schürt Existenzängste.

Diese Ängste haben die etablierten Parteien in Deutschland lange Zeit nicht ernst genommen. Sie haben die Bauern im Stich gelassen, angefangen bei CDU/CSU, SPD, FDP über die Grünen bis hin zur FDP. Und auch der Deutsche Bauernverband hat seinen Anteil daran. Es sollte also niemand erstaunen, dass nun ausgerechnet die AfD versucht, sich als Retter des Bauernstands aufzuspielen. Ein Blick nach Frankreich hätte genügt, um das vorherzusehen.

Bei den Politikern im Nachbarland sind die Bauern von jeher gefürchtet. Gülle vor Rathäuser kippen, Schweinehälfte am Supermarkt ablegen oder Straßenblockaden errichten, das gehört zu ihrem Repertoire. Auch sie fühlen sich von der Politik missachtet und wenden sich dem rechten Lager zu. Der Anteil der Bauern, die mit dem Rassemblement National, dem früheren Front National, sympathisieren, stieg in wenigen Jahren deutlich an.

Auch bei der Agrarreform können die Landwirte nicht auf Hilfe aus Brüssel zählen

Auch der Zeitpunkt der Bauernproteste in Deutschland kommt nicht überraschend. Auf EU-Ebene steht die nächste Agrarreform an. Doch es zeichnet sich ab, dass sie auf Hilfe aus Brüssel nicht zählen können. Statt etwa Erzeuger dabei zu unterstützen, umweltfreundlicher und nachhaltiger zu wirtschaften, soll dort möglichst alles beim Alten bleiben, so will es auch die Bundesregierung.

Dies bedeutet, dass Subventionen weiterhin vor allem nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, ohne große Auflagen. Ein System, von dem in erster Linie Großbetriebe mit viel Land profitieren, sowie Agrarkonzerne und Finanzinvestoren. Das Höfesterben wird also weitergehen. Auf der Strecke bleiben diejenigen, die das ländliche Leben im positiven Sinn prägen und erhalten: kleine und mittelgroße Familienbetriebe. Geben sie auf, ist das ein Verlust, der alle etwas angeht.

Diese traurige Entwicklung haben maßgeblich CDU und CSU zu verantworten. Sie prägen seit Jahrzehnten, bis auf wenige Ausnahmen, den Kurs der Agrarpolitik. Nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene. Mit einer Politik, die - wie sich immer deutlicher zeigt - dem Bauernstand mehr Schaden zugefügt hat, als die Landwirte selbst lange wahrhaben wollten. Möglich war dies auch, weil keine andere Partei der Union ihre Rolle als Vertreterin der Bauern wirklich streitig gemacht hat. Im Gegenteil.

Die SPD betrachtet Landwirte bis heute nicht als ihre Klientel. In ihren Wahlprogrammen taucht Agrarpolitik nur am Rand auf. Die Grünen sehen ihre Verantwortung ganz klar im Ökolandbau. Das hat zu einer Rivalität zwischen Biobauern und konventionellen Erzeugern geführt, die der gesamten Branche schadet. Bleibt die FDP, die sich in ihrer Interessenvertretung vor allem auf Agrarkonzerne und Finanzinvestoren fokussiert. Hinzu kommt ein mächtiger Bauernverband, der gern mit Familienbetrieben Werbung macht, aber nicht in deren Sinn handelt.

In diese Lücke stößt nun die AfD mit vermeintlich einfachen Antworten auf höchst komplexe Probleme. Das Motiv liegt auf der Hand, es geht um populistischen Stimmenfang. Echte Lösungen sind hier nicht zu erwarten. Die müssen nun von der Bundesregierung und der zuständigen Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) kommen. Dass sie Verständnis für den Unmut der Landwirte zeigt, lässt sich auch als Eingeständnis eigenen Versagens interpretieren.

Was die Bauern brauchen, ist eine faire Verteilung von Subventionen, dafür muss sich die Bundesregierung in Brüssel einsetzen. Wer weniger Tiere hält, weniger Gülle ausbringt und seine Wiesen für Insekten blühen lässt, dem steht dafür mehr Geld vom Staat zu. Erzeuger, die nachhaltig wirtschaften, schonen Ressourcen und pflegen die Landschaft. Diese wertvolle Leistung für die Volkswirtschaft ist mit dem Verkauf von Fleisch, Milch oder Weizen nicht abgegolten. Einschreiten muss die Regierung zudem gegen überhöhte Pachten und Landverkauf an Investoren - ein Ausverkauf der Landwirtschaft, von dem kaum Notiz genommen wird.

Noch ist die Agrarreform nicht beschlossene Sache. Sollten sie wirklich ein Herz für Bauern haben, müssen Klöckner und Kanzlerin Angela Merkel jetzt entschieden handeln.

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