Basketballschuhe "Air Jordan":iSchuh

Wenn gestandene Männer sich um Schuhe prügeln, müssen es "Air Jordan" sein. Die Basketballstiefel mit dem Logo des Superstars Michael Jordan lösen Hysterie aus wie sonst nur Apples Statussymbole. Das Produkt erzählt eine Geschichte von der Kommerzialisierung des Sports - und manchmal sogar von Mord.

Jannis Brühl

In Kalifornien löste sich ein Schuss in der Menge. In Seattle prügelten sich die Fans im Schuhladen so heftig, dass die Polizei die Menschen mit Pfefferspray vertrieb. Und als im Internet das Gerücht die Runde machte, in Maryland sei ein junger Schwarzer wegen seiner Schuhe ermordet worden, glaubten es viele. Er wäre nicht der erste gewesen. Schon 1989 wurde ein 15-Jähriger wegen seiner neuen Nike Air Jordan erwürgt. Wegen eines Paars Turnschuhe.

Die Markteinführung einer neuen Version des Air Jordan löste kurz vor Weihnachten 2011 Chaos in Schuhläden und Einkaufszentren in den Vereinigten Staaten aus. Journalisten und schwarze Aktivisten waren wütend auf Michael Jordan: Der Basketballstar, der den Schuhen vor 27 Jahren seinen Namen lieh und prächtig an ihnen mitverdient, hätte doch die Menschen zur Ruhe mahnen können - meinten sie.

An diesem Wochenende gibt es für manche einen neuen Grund zur Hysterie: Der "Air Jordan 10 Chicago", Neuauflage der Version von 1995, wird weltweit zum ersten Mal verkauft. Dem deutschen Markt hat Hersteller Nike gerade mal 50 Paar zugeteilt.

Die neue Version ist eigentlich nur ein knöchelhoher Sportschuh, weiß mit schwarz-roten Rändern und dem stilisierten, mit dem Ball in der Hand fliegenden Michael Jordan auf der Ferse. Doch das Konsumprodukt Air Jordan erzählt eine widersprüchliche Geschichte von der Kommerzialisierung einer Leidenschaft namens Sport, von schwarzem Erfolg in Amerika und von Ausbeutung im Zeichen der Globalisierung.

Michael Jordan brach in seiner Karriere von 1984 bis 2003 mehrere Rekorde, wurde sechsmal Meister, fünfmal MVP, wertvollster Spieler. Ein US-Sportsender wählte ihn zum "Sportler des Jahrhunderts" - selbst Muhammad Ali hatte da das Nachsehen. 1985 gingen der große Basketballer und Nike eine Allianz ein. Der Konzern stattete den Star mit immer aufwändigeren Schuhmodellen aus und stilisierte ihn, den schwarzen Jungen aus Brooklyn, in der Werbung zum Übermenschen. Die US-Basketballliga NBA wurde ein globales Geschäft, Michael Jordan eine Marke und der Air Jordan ihr wichtigstes Produkt.

Für den Verkauf des neuesten Modells schüren Unternehmen und Verkäufer der Turnschuhfans, die sich selbst "Sneakerheads" nennen. Die Hysterie nimmt Formen an, die man sonst nur von technischen Edel-Produkten wie Apples iPhone 4S kennt, dessen Verkaufsstart vergangene Woche Tumulte in China auslöste.

Daniel Detjen, Filialleiter des Schuhladens Snipes in Kaiserslautern, baut für diese Freitagnacht sein Geschäft komplett um: Er dekoriert neu, engagiert einen DJ genau wie Sicherheitsleute. Alles nur wegen der radikalen Verknappung, mit der Nike die Basketballstiefel zu Luxusartikeln macht: 22 davon gibt es ein Detjens Laden, 15 im repräsentativen Nike-Laden in Berlin, 13 bei Kickz, der Kette, die mit Snipes auf dem Sneakermarkt konkurriert. In den USA sollen Armbändchen, die vor den Läden verteilt werden, um den Zugang zu kontrollieren. In Kaiserslautern wird das Kaufrecht mitten in der Nacht in einer Tombola verlost. "Sonst sind viele enttäuscht", sagt Detjen.

Sammler von Turnschuhen - sie würden das Wort sneaker bevorzugen - horten die bunten Modelle aus Kunstleder und Plastik zu Hause und tragen sie oft gar nicht. Es geht ums Besitzen, ums Sammeln, darum, sich auf eigenen Sneaker-Messen mit Gleichgesinnten auszutauschen - und ums Geldanlegen. Die Wertsteigerungen der limitierten Modelle sind beträchtlich. Für 180 Dollar wurden die Concords im Dezember in den Läden verkauft. Noch am selben Nachmittag gingen sie für mehr als 500 auf Ebay weg.

Rapper huldigen dem Schuh

Die Sneakerheads sind seit Jahren der Hip-Hop-Szene verbunden, in der Basketballschuhe seit den achtziger Jahren zur Mode gehören. Rapper huldigen ihnen seit langem. In seinem programmatischen Lied "Keepin' it Gangsta" gibt Fabolous aus Brooklyn nicht nur standesgemäß mit Brillanten und Waffen an, sondern auch damit, dass er seine Nikes sechs Monate früher geliefert bekommt als Otto Normalbürger.

Der Jordan-Effekt macht auch vor dem Hamburger Sänger Jan Delay nicht Halt, der sich sonst eher kapitalismuskritisch gibt. Er denglischt voller Konsumfreude: "Ich komme raus aus'm Haus, schrei 'Yeah', an meinen Füßen da sind neue Nike Air". Wenig überraschend, dass der ebenso größenwahnsinnige wie geschäftstüchtige US-Rapper Kanye West 2009 versuchte, es Jordan gleichzutun - und seinen eigenen Schuh herausbrachte.

Dass vor allem Afro-Amerikaner im Dezember die Läden stürmten, dürfte kein Zufall sein: Der Air Jordan hat ihren Weg von der schlimmsten Diskriminierung Richtung kulturellem Mainstream begleitet. Es war gerade mal drei Jahre her, dass Michael Jackson mit seinem unwiderstehlichen Album Thriller das Monopol weißer Musiker auf MTV und vielen Radiosendern gebrochen hatte, da sprang Jordan durch die NBA als Rookie of the Year, als bester Neuling.

Mit seinen Schuhen, den ersten, die ihm Nike verpasste, traf er auf Widerstand: Sie waren so bunt, dass sie gegen die NBA-Kleiderordnung verstießen. Mit Vergnügen zahlte Nike die 5000 Dollar Strafe pro Spiel, in dem Jordan sie trug. Der Werbeeffekt durch die Stil-Rebellion: unbezahlbar.

Jordan wurde Weltstar, der erste in einer langen Reihe schwarzer Sportikonen, die im großen Stil vermarktet wurden, und Nike stieg vor allem durch seine enge Bindung an den Star zum globalen Sportartikelhersteller auf: Dutzende Modelle seines Schuhs gibt es, immer wieder "Retros", wie die Sneakerheads Neuauflagen der Originale aus den Achtzigern und Neunzigern nennen. Kein anderes einzelnes Produkt des Konzerns ist so bekannt wie der Air Jordan, Nike dürfte mit der Marke Jordan Umsatz im zweistelligen Milliardenbereich gemacht haben.

Der Weltkonzern hat sich die vermeintliche emotionale Verbundenheit zu Nutze gemacht, um damit mehr Geld zu verdienen. Erst im vergangenen Jahr hagelte es Kritik, weil das Unternehmen anlässlich des Black History Months, des Gedenkmonats für die leidvolle Geschichte der Schwarzen im Land, ein Jubiläumsmodell des Air Jordan auf den Markt brachte - ganz in schwarz und natürlich limitiert. Der Vorwurf: Nike kommerzialisiere die schwarze Historie.

Mittlerweile ist Jordan 48 und nicht mehr auf dem Platz aktiv. Bis heute verdient er über seine eigene Marke "Air Jordan" an den Nike-Schuhen, um die sich die Fans prügeln. Mit der Schattenseite des Konzerns wollte er sich nie beschäftigen.

In den neunziger Jahren, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, griffen Aktivisten Nike offensiv an, weil der Konzern die Margen, die er mit seinen Statussymbolen erwirtschaftete, durch niedrige Löhne und miserable Arbeitsbedingungen in asiatischen Sweatshop-Fabriken erhöhte. Wie bei den Tumulten im Dezember wollte Jordan sich auch damals nicht zur problematischen Seite seiner Partnerschaft mit Nike äußern. Als ihn Journalisten konfrontierten, gab er sich ahnungslos und zog sich aus der Affäre: "Ich versuche nur, meinen Job zu machen." Seine Fans hat das nie gehindert, die Türen von Schuhläden einzurennen.

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