Chemie:BASF-Chef Brudermüller rechtfertigt seine riskante China-Strategie

Chemie: Ein Tank auf dem BASF-Gelände in Ludwigshaufen. Der weltgrößte Chemiekonzern hat gerade einige Baustellen.

Ein Tank auf dem BASF-Gelände in Ludwigshaufen. Der weltgrößte Chemiekonzern hat gerade einige Baustellen.

(Foto: Uwe Anspach/picture alliance)

Jobabbau in Deutschland, Aufbau in Asien: Bei der Hauptversammlung wird der Chemiekonzern für seine milliardenschweren Investitionen in Asien kritisiert. Wie will man eigentlich reagieren, wenn Peking Taiwan überfällt?

Von Thomas Fromm

Wenn man sich pandemiebedingt nach drei Jahren mal wieder in einem großen Saal gegenübersitzt, dann gibt es viel zu erklären. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Und als BASF-Aufsichtsratschef Kurt Bock die Aktionärinnen und Aktionäre im Mannheimer Congress Center Rosengarten begrüßt, da klatschen die Leute. Endlich wieder klatschen!

Klar, wer klatscht schon vor seinem Computer, nur weil da gerade der Manager eines Chemieunternehmens auf der Kachel auftaucht? BASF also macht es anders als viele andere Dax-Unternehmen, die immer noch auf Distanz zu ihren Aktionären gehen und sie nur virtuell treffen wollen. Dabei hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Corona-Pandemie doch schon Anfang April für offiziell beendet erklärt. Wer will, kann es also durchaus so machen wie der Ludwigshafener Chemiekonzern. Vor dem Computer, aber eben auch im Saal.

Drei Jahre also, in denen viel passiert ist. Nach Corona kamen der russische Krieg gegen die Ukraine, die hohe Inflation, die Energiepreise, die Spannungen des Westens mit China stiegen, dann wurde die Frage akut, ob China irgendwann wirklich Taiwan angreifen und was das für die Welt bedeuten könnte.

Europa schwächelt - also auf nach China

Für einen Dax-Konzern, der in seiner Heimatregion Europa schwächelt und der bei Umsatz, Gewinn und Börsenkurs auch schon mal anders da stand, dem die Rohstoff- und Energiepreise zu schaffen machen, der Milliarden auf die Russlandaktivitäten der Energietochter Wintershall Dea abschreiben muss, ein Sparprogramm durch den Konzern zieht und Tausende Stellen streicht, davon viele in Deutschland - für den sind das alles keine kleinen Themen. Vor allem, wenn man dann auch noch zehn Milliarden Dollar in ein neues Werk investieren will, das über 9000 Kilometer entfernt liegt. In Zhanjiang, China. Ausgerechnet dem Land also, von dem man nicht so genau weiß, ob es nicht vielleicht doch demnächst militärisch in ein Nachbarland einfällt. Drei Jahre hat man sich nicht gesehen, viele Fragen sind also offen.

Willkommen im Rosengarten.

"Wir freuen uns auf Deinen Bericht", sagt Bock, der Aufsichtsratsvorsitzende. Aber Martin Brudermüller, der BASF-Chef, berichtet erstmal gar nicht. Über 111 000 Mitarbeiter hat das Unternehmen, einige von ihnen kommen jetzt in einem vorbereiteten Video zu Wort. Das Team "C02 Fußabdruck", jemand vom Team "Erneuerbare Energien", Auszubildende. Jemand sagt: "Wir müssen es schaffen, und wir werden es schaffen. Wenn wir es nicht schaffen, dann schafft es keiner."

Der Chef spricht von "stürmischen Zeiten"

Dann ist das Video wieder aus, und jetzt steht der Mann, der es schaffen soll, auf der Bühne. Zuletzt ging der Gewinn um über 30 Prozent zurück, und Brudermüller, 61, spricht von einem "harten und zähen" Halbjahr und von einer sehr unsicheren wirtschaftlichen Lage in der Welt. Von "stürmischen Zeiten". Aber die eigentliche Frage ist ja: Braucht man bei all diesen Stürmen, die es da draußen gibt, wirklich noch diesen einen zusätzlichen?

Chemie: BASF-Chef sieht in China viele Chancen. Jedenfalls weit mehr Chancen als Risiken.

BASF-Chef sieht in China viele Chancen. Jedenfalls weit mehr Chancen als Risiken.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Warum so viel Geld in einen neuen Standort in China investieren, warum ausgerechnet sämtliche Investitionen in die südliche Provinz Guangdong umleiten, wenn die Beziehungen zwischen Peking und Washington, China und Europa gerade so schwer abkühlen? "Der russische Angriff auf die Ukraine hat gezeigt, wie schnell geopolitische Albträume Realität werden können", meint der Fondsmanager Arne Rautenberg von Union Investment, einem der größeren Investoren bei BASF. Die China-Strategie Brudermüllers werde am "Kapitalmarkt als Hochrisikostrategie gesehen", da ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan "zu einem Totalverlust des China-Geschäfts führen könnte".

Zur falschen Zeit am falschen Ort: So war das in Russland

Hendrik Schmidt vom Vermögensverwalter DWS stellt Fragen. Zum Beispiel: "Wie flexibel ist BASF bei den Investments, sollten sich die geopolitischen Spannungen zwischen der westlichen Welt und China verstärken? Könnte man so eine Großinvestition zumindest teilweise herunterskalieren?" Und: Wie würde man eigentlich reagieren, wenn China selbst sich stärker abkoppeln würde? Es sind Fragen und Einwände, die kann selbst der Chef des weltgrößten Chemiekonzerns nicht einfach so an sich abperlen lassen. Natürlich, und das muss er als Chef so sagen, habe man Verständnis für alles, und man habe "die Chancen und Risiken" der China-Investitionen genau unter die Lupe genommen. Im Ergebnis aber, so ist es nun mal, seien die Chancen für BASF höher als die Risiken. Das größte Risiko heißt: Krieg. Oder mindestens doch Entfremdung, Abkopplung von China. Auf der anderen Seite stehe die Volksrepublik für rund die Hälfte der weltweiten Umsätze in der Chemieindustrie, so Brudermüller. Da geht noch so einiges. Der Plan: Weiter wachsen in China, um so wegbröckelnde Geschäfte in Europa auszugleichen.

Dass es sehr kompliziert werden kann, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, zeigen die Probleme der Öl- und Gastochter Wintershall Dea. Russland machte zuletzt an die 50 Prozent des gesamten Wintershall-Geschäfts aus, inzwischen hat die russische Regierung Wintershall Dea in Russland de facto enteignet. Und nun? "Wir arbeiten mit voller Kraft an verschiedenen Varianten des Ausstiegs", sagte Brudermüller. Am liebsten ein Börsengang, aber auch ein Verkauf an Investoren ginge. "Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass wir das in absehbarer Zeit schaffen." Es ist manchmal leichter, in einen Markt hineinzukommen, als wieder aus ihm heraus.

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