Jürgen Hambrecht:"Es entstehen doch keine Monsterpflanzen"

BASF-Chef Jürgen Hambrecht kritisiert die Politisierung komplexer Technologien. Die Vorbehalte gegen die Gentechnik versteht er bei aufgeklärten Menschen nicht.

Sibylle Haas und Karl-Heinz Büschemann

BASF-Chef Jürgen Hambrecht wirkt angespannt. In wenigen Tagen wird er in den Urlaub gehen, doch in Ferienstimmung ist der Mann noch nicht. Die Energiepolitik der Bundesregierung sei völlig unzureichend, und in der Gentechnik verspiele Deutschland Chancen. Hambrecht sieht den deutschen Industriestandort in großer Gefahr. Nächstes Jahr geht er in Rente. Sein Unbehagen darüber ist spürbar. Doch er habe jede Menge eigene Projekte. Ob er in den Aufsichtsrat wechselt, will er nicht sagen. Es ärgert ihn aber, dass der Gesetzgeber neuerdings eine zweijährige Wartefrist für Ex-Vorstände verlangt.

Juergen Hambrecht

BASF-Chef Jürgen Hambrecht: "Mich beunruhigt, wie darüber diskutiert wird, aus der Kernenergie in erneuerbare Energien umzusteigen."

(Foto: AP)

SZ: Herr Hambrecht, wir würden gerne mit Ihnen über den Industriestandort Deutschland sprechen . . .

Hambrecht: . . . dann kann ich Ihnen gleich sagen, was mich umtreibt. Es ist die Energiepolitik, die in diesem Land betrieben wird. Die ist völlig unzureichend. Damit gefährden wir den Industriestandort Deutschland.

SZ: Sie übertreiben.

Hambrecht: Die Bundesregierung arbeitet an einem Energiekonzept. Meine Zweifel aber wachsen, dass es den Anforderungen einer modernen Industrienation genügen wird. Mich beunruhigt beispielsweise, wie darüber diskutiert wird, aus der Kernenergie in erneuerbare Energien umzusteigen.

SZ: Darüber gibt es seit dem Jahr 2000 einen politischen Konsens, die Bürger sind gegen die Nutzung der Kernkraft.

Hambrecht: Das bezweifele ich. Schon heute zahlt der Verbraucher einen stark steigenden Aufschlag für erneuerbare Energien. Wenn wir wie geplant von 2022 an kein Kernkraftwerk mehr in Betrieb haben, hat diese Republik ein Problem. Dann ist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie nicht mehr gewährleistet.

SZ: Die Kernkraftwerke liefern etwas mehr als 20 Prozent des deutschen Stroms. Das lässt sich bis dahin ja wohl durch andere Quellen ersetzen.

Hambrecht: Wir brauchen ein nachhaltiges Energiekonzept, das wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Kriterien genügt. Der Energiemix muss deutlich ausgeweitet werden - auch in Richtung der erneuerbaren Energien.

SZ: Da sind Sie sogar mit den Grünen einig. Wo ist das Problem?

Hambrecht: Wir reden in diesem Land gerne über den Einsatz von mehr regenerativer Energie. Aber keiner spricht von den Konsequenzen, beispielsweise der Ausweitung der Stromnetze, die dafür nötig ist.

SZ: Haben wir etwa keine guten Netze in Deutschland?

Hambrecht: Doch, aber die reichen nicht, wenn wir auf Windkraft und Sonnenstrom umstellen. Unsere Stromnetze sind darauf ausgerichtet, dass große, eher zentrale Kraftwerke den Strom verteilen. Wir bekommen aber zunehmend ganz neue Anforderungen. Inzwischen gibt es Hunderttausende Solarpaneelen auf den Hausdächern und Windparks, die Strom erzeugen. Diese haben Vorrang bei der Energieeinspeisung in die bestehenden Netze trotz ihrer schwankenden Tages- und Jahresleistung. Das macht den Netzbetrieb und die Netzsteuerung technisch sehr anspruchsvoll und wird zu hohen, nicht wettbewerbsfähigen Kosten führen.

SZ: Halten Sie den Einsatz von Wind oder Sonnenkraftwerke etwa für falsch?

Hambrecht: Nein. Aber wir brauchen für die zusätzliche regenerative Energie neue Überlandleitungen, schon heute fast 1000 Kilometer. Davon sind erst 58 Kilometer gebaut.

SZ: Die Bundesregierung will den Ausbau der erneuerbaren Energie fördern.

Hambrecht: Ich sehe da Unstimmigkeiten. Die Energiepolitik, die ja auch Klimaschutzpolitik umfasst, wird faktisch von zwei Ministerien verantwortet, dem Wirtschafts- und dem Umweltministerium. Die Bundesregierung muss sich aber klar zu einem Politikansatz bekennen. Sie muss sagen, welche Energieträger sie will.

SZ: Sie wollen neue Atomkraftwerke in Deutschland bauen?

Hambrecht: In Frankreich, Großbritannien und Skandinavien werden neue Kernkraftwerke geplant und zum Teil bereits gebaut. Auf jeden Fall muss die Laufzeit der vorhandenen Meiler in Deutschland verlängert werden. Wir müssen Zeit gewinnen, bis genügend neue Energien zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten bereit stehen.

SZ: Die Deutschen lehnen die Kernkraft mehrheitlich ab. Ist Deutschland technikfeindlich?

Hambrecht: Nein, Deutschland ist nicht technikfeindlich. Wenn es etwas Neues im Auto gibt, wird es sofort akzeptiert. Das gleiche gilt für mobile Geräte wie iPhone oder iPad. Aber es gibt komplexe Technologien, die etwas weiter weg sind vom Verbraucher. Die werden schnell von Interessengruppen politisiert und ins Zentrum der Kritik gestellt.

SZ: Sprechen Sie von der Gentechnologie - ein wichtiges Feld für BASF?

Hambrecht: Das ist ein Beispiel dafür. Wir haben bei der medizinischen Gentechnologie, die wir rote Gentechnologie nennen, gesehen, wie die politisch geschürte Skepsis der Bevölkerung ein ganzes Unternehmen erschüttert hat.

Jürgen Hambrecht wurde am 20. August 1946 in Reutlingen geboren. Er studierte an der Universität Tübingen Chemie und promovierte 1975 in organischer Chemie. Hambrecht ist seit 2003 Vorstandsvorsitzender von BASF. Davor war er fast 30 Jahre lang in unterschiedlichen Aufgabengebieten für das Unternehmen weltweit tätig. Unter seiner Führung wurde der weltweit größte Chemiekonzern Ende 2007 in die sechs Teilbereiche Chemicals, Plastics, Functional Solutions, Performance Products, Agricultural Solutions und Oil & Gas geordnet. In seiner Amtszeit baute Hambrecht auch die Spezialchemie durch Zukäufe aus.

"Es wird Angst geschürt"

SZ: Sie meinen die Hoechst AG und die Kämpfe mit dem damaligen hessischen Umweltminister Joschka Fischer.

Hambrecht: Ja, Hoechst gibt es nicht mehr, die rote Gentechnik dagegen ist allgemein akzeptiert, weil es einen unmittelbaren Nutzen für die Menschen gibt.

SZ: Aber die Menschen haben nach wie vor Unbehagen vor der Manipulation von Pflanzen. Können Sie das verstehen?

Hambrecht: Es gibt ein Unbehagen, das mit wissenschaftlichen Fakten nicht in Einklang zu bringen ist. Bei aufgeklärten Menschen kann ich die Vorbehalte gegen die Gentechnologie nicht verstehen. Aber es wird auch Angst geschürt.

SZ: Das ist eine Koalition, die von den Grünen bis zur bayerischen CSU reicht.

Hambrecht: Wir sind froh, dass sich die Bundesregierung zur grünen Gentechnologie bekannt hat. Ich bin aber enttäuscht über das, was in einigen Ländern der EU, aber auch in manchem Bundesland geschieht. Die Genehmigungsverfahren sind oft zu langsam.

SZ: Sie wollen mit genveränderten Pflanzen wie der Kartoffel Amflora in Zukunft Gewinne machen. Brauchen wir diese Technologie wirklich?

Hambrecht: Auf jeden Fall. Auch wenn wir hier in Europa im Vergleich zu anderen Regionen keine reale Not kennen. Aber in Asien oder Afrika stellt sich sehr wohl die Frage, wie die wachsende Weltbevölkerung ernährt werden soll. Dafür brauchen wir Pflanzen, die mit weniger Wasser auskommen, die auch auf schlechten Böden wachsen können.

SZ: Fachleute sagen, die Welternährung sei ein Problem der Verteilung. Es gebe genug Nahrungsmittel für alle.

Hambrecht: Das stimmt zum Teil. Es ist auch ein Problem der Lagerung von Ernten. Viele Früchte oder Getreide verrotten oder verschimmeln in Asien oder Afrika wegen falscher Lagerung. Aber es ist auch ein Problem der zu geringen Verfügbarkeit von Land und Wasser sowie zunehmender Trockenheit. Deshalb wollen wir die grüne Gentechnik in Deutschland weiterentwickeln und den Landwirten weltweit zur Verfügung stellen.

SZ: Aber es besteht die Gefahr, dass bei der Manipulation von Pflanzen etwas aus dem Ruder läuft, was nicht mehr zurückgeholt werden kann.

Hambrecht: Nein, durch die genetische Verbesserung entstehen doch keine Monsterpflanzen. Auch die Angst, durch genveränderte Nahrungsmittel zu erkranken, ist unbegründet. Dafür gibt es keinen wissenschaftlich begründeten Nachweis.

SZ: Können Sie das ausschließen?

Hambrecht: Als aufrichtiger Naturwissenschaftler kann ich überhaupt nichts ausschließen.

SZ: Und dann wundern Sie sich, dass Ihnen Kritik entgegenschlägt?

Hambrecht: Der Wunsch, Risiko komplett auszuschließen, greift in Deutschland zunehmend um sich. So kann man keine nachhaltige Zukunft gestalten.

SZ: Der Ölkonzern BP ist seit der Explosion seiner Bohrinsel im Bestand gefährdet. Sind Risiken heute noch beherrschbar?

Hambrecht: Es kann Vorfälle geben, die für ein Unternehmen kritisch sind. Deshalb muss man ein Portfolio haben, in dem die Risiken ausgewogen sind.

SZ: Die Weltwirtschaft erholt sich. Ist die Krise, die uns vor zwei Jahren in die Knie gezwungen hat, schon wieder vorbei?

Hambrecht: Auch wenn unsere Geschäfte wieder gut laufen, sind die Auswirkungen der Krise noch zu spüren. Dass Deutschland so schnell aus dem Tal gekommen ist, ist auch dem erstklassigen Krisenmanagement der Regierung zu verdanken. Die Politik hat mit den Sozialpartnern Vorzügliches geleistet. Das hat viel Geld gekostet, jetzt muss sich der Staat entschulden, auch das macht die Bundesregierung richtig.

SZ: Was haben Sie persönlich aus der Krise gelernt?

Hambrecht: Schnelles Entscheiden und klares Kommunizieren ist wichtig. Besser und schneller entscheiden als der Wettbewerber bringt Riesenvorteile. Und ich habe gelernt, welch enormes Potenzial in unseren Mitarbeitern steckt.

SZ: Denken Sie heute über einige Dinge anders als vor der Krise?

Hambrecht: Man darf nie nachlassen, noch besser zu werden. Diese Haltung hat sich in der Krise verstärkt. Zum Beispiel werden wir unseren Cashflow weiter optimieren und die Aufwendungen für Forschung auf hohem Niveau halten.

"Wir können nur über Innovation Punkte machen"

SZ: Ein schärferer Blick auf die Zahlen also. Ist das der Grund, warum der Finanzvorstand Kurt Bock im nächsten Jahr Ihr Nachfolger wird und nicht ein Chemiker?

Hambrecht: Für die BASF haben die Zahlen schon immer eine große Rolle gespielt. Wichtiger aber war, dass wir mehrere Kandidaten hatten, die meine Nachfolge hätten antreten können.

SZ: Was zeichnet Kurt Bock aus?

Hambrecht: Kurt Bock ist ein international erfahrener und besonnener Manager, der die BASF aus vielen Facetten kennt.

SZ: Wo soll Ihr Nachfolger das Unternehmen in zehn oder zwanzig Jahren hingeführt haben?

Hambrecht: Das wird mein Nachfolger entscheiden. Aber Sie können sicher sein: Die BASF wird noch besser werden.

SZ: Sie wachsen besonders in der Spezialchemie, haben zuletzt Ciba erworben und wollen Cognis übernehmen. Warum?

Hambrecht: Weil wir in Deutschland keine billigen Arbeitskräfte haben und auch keine billigen Rohstoffe. Wir können nur über Innovation Punkte machen und gewinnen. Innovation passiert aber dort, wo die Produkte nah am Kunden sind, weil er den unmittelbaren Nutzen sofort erkennt, in der Kosmetik beispielsweise, im Auto oder bei der Verpackung.

SZ: Ihre Wettbewerber machen das anders: Sie gliedern die Spezialchemie aus oder verkaufen sie.

Hambrecht: Wir sind breiter aufgestellt. Unser Geschäft mit Spezialchemie zeigt unterschiedliche Konjunkturverläufe. Das macht die BASF insgesamt stabiler und weniger zyklisch.

SZ: Und trotzdem hat die Krise Sie ganz schön gebeutelt.

Hambrecht: Wenn alle am Boden liegen und die gesamte produzierende Industrie einbricht, trifft das selbstverständlich auch uns.

SZ: Was werden Sie denn noch kaufen, um die Abhängigkeit von Konjunkturschwankungen zu verringern?

Hambrecht: Mit diesem Thema beschäftigt sich die BASF auch in Zukunft, wenn ich nicht mehr an der Spitze stehe.

SZ: Sie gehen bald in Rente. Können Sie überhaupt abschalten?

Hambrecht: Ja, ausgezeichnet. Ich habe noch viel zu tun und jede Menge eigene Projekte, die ich voranbringen will.

SZ: Behalten Sie ein Büro bei BASF?

Hambrecht: Ich werde der BASF verbunden bleiben, ohne mich ins Tagesgeschäft einzumischen.

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