Süddeutsche Zeitung

BASF-Chef Hambrecht im Interview:"Ich gehe vor niemandem in die Knie"

BASF-Vorstandsvorsitzender Jürgen Hambrecht über den Umgang mit Diktaturen, das Image der Manager und die Verdächtigungskultur in Deutschland.

M. Beise, K.-H. Büschemann, U. Schäfer

Jürgen Hambrecht, 61, stammt aus Schwaben und ist promovierter Chemiker. Seit fünf Jahren führt er den Traditionskonzern BASF in Ludwigshafen, das weltweit größte Chemieunternehmen mit 95.000 Mitarbeitern. Zunehmend wird er als Sprecher der deutschen Wirtschaft wahrgenommen. Im SZ-Interview fordert Hambrecht eine neue Energiepolitik und ein "Ende der Verdächtigungskultur".

SZ: Herr Hambrecht, Sie sind ein eifriger Kritiker der Wirtschaftspolitik in Deutschland, gleichwohl macht BASF hierzulande gute Geschäfte. Wie passt das zusammen?

Hambrecht: Das erklärt sich durch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Unternehmen und Politik. Unternehmen haben zumeist eine langfristige Strategie, auf deren Basis sie sehr schnell auf die internationalen Herausforderungen reagieren können. Die Politik dagegen arbeitet mit Blick auf die nächste Wahl und handelt daher oft kurzfristig, sodass die großen Herausforderungen nur im Schneckentempo angegangen werden.

SZ: In der Politik geht eben nicht alles nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam.

Hambrecht: Ich weiß, dass Politik ein mühsames Geschäft ist. Trotzdem darf sie sich nicht im Klein-Klein erschöpfen. So wie ich für mein Unternehmen Verantwortung trage, haben Politiker eine Verantwortung für dieses Land. Deshalb müssten viel mehr Politiker den Mut haben, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, deren Erfolg sich erst nach den nächsten Wahlen herausstellt.

SZ: Was werfen Sie der Politik vor allem vor?

Hambrecht: Dass sie kein langfristiges Gesamtkonzept hat. Wir brauchen zum Beispiel eine integrale Energie- und Umweltpolitik.

SZ: Gibt es die nicht? Dieses Land setzt auf alternative Energien...

Hambrecht: ...die aber nur einen Bruchteil des Energiebedarfs decken können. Wir verabschieden uns von der Atomenergie und haben keine Ahnung, wie wir den Bedarf stattdessen wettbewerbsfähig decken wollen. Wir subventionieren die Solarenergie mit Milliarden und treiben damit den Strompreis nach oben. Das ist doch ein Irrsinn!

SZ: Was stört Sie sonst noch?

Hambrecht: Dass immer mehr Leistungsträger steuerlich über Gebühr belastet werden. Fachleute nennen das "kalte Progression". Je mehr einer verdient, desto weniger bleibt ihm.

SZ: Ist das nicht in erster Linie ein Problem von Topverdienern wie Ihnen?

Hambrecht. Nein, überhaupt nicht. Das trifft eine immer größere Zahl von Beschäftigten, vom Chemiefacharbeiter bis hin zum Schweißer. Netto bleibt bei denen immer weniger übrig. Und die Quittung kommt: Immer mehr kluge Köpfe verlassen das Land.

SZ: So schnell geht das auch wieder nicht.

Hambrecht: Täuschen Sie sich nicht. Ich sehe das an unseren eigenen Leuten. Die sind immerzu in der Welt unterwegs, sehen, was jenseits der Grenzen los ist. Da bildet sich eine Unzufriedenheit, die dem Land, die uns allen noch sehr zu schaffen machen wird.

Auf der nächsten Seite: "Alles andere sage ich der Kanzlerin hinter verschlossenen Türen"

SZ: Sie fordern ein Umdenken in der Politik. Wer, wenn nicht eine große Koalition, soll dies leisten?

Hambrecht: In der Tat war das meine Hoffnung: eine große Koalition für große Ideen.

SZ: Und heute?

Hambrecht: Bin ich ernüchtert.

SZ: Und weiter?

Hambrecht: Alles andere sage ich der Kanzlerin hinter verschlossenen Türen.

SZ: Und ziehen welche Konsequenz? Verlagern Sie Aktivitäten ins Ausland?

Hambrecht: Der Chemiestandort Ludwigshafen ist der beste der Welt. Unsere Heimatbasis haben wir in mehr als 140 Jahren aufgebaut. In Deutschland machen wir 75 Prozent unserer weltweiten Forschung, mit über 6000 Mitarbeitern in diesem Bereich. Das lässt sich nicht verlagern. Aber wir gucken natürlich, was in Deutschland geht und was nicht. Grüne Gentechnik zum Beispiel...

SZ: ...also genetisch veränderte Pflanzen oder Saatgut...

Hambrecht:... geht in Deutschland nicht, schon gar nicht in Bayern. Also starten wir keine neuen Projekte für Europa.

SZ: Sind die Arbeitskosten in Deutschland nicht zu hoch, um zu bleiben?

Hambrecht: Die spielen in der Chemieindustrie keine dominierende Rolle. Aber wir haben ein anderes Problem: die rasant steigenden Rohstoffkosten. Deshalb müssen wir unsere Preise erhöhen.

SZ: Soll die Energie bei uns deshalb etwa subventioniert werden?

Hambrecht: Nein. Aber wenn die Preise so hoch sind, hat jede Zusatzbelastung eine besondere Wirkung - vor allem, wenn sie nur die europäischen Unternehmen betrifft. Nehmen wir nur den Handel mit CO2-Zertifikaten, der auf uns zukommt. Mit diesen Zertifikaten dürfte an der Börse künftig ähnlich spekuliert werden wie mit anderen Wertpapieren oder Öl. Das ist gut für die Banken, aber die Spekulation mit CO2-Zertifikaten wird die Energiepreise weiter treiben.

SZ: Es sind doch nicht nur Spekulanten, die die Preise treiben.

Hambrecht: Schon richtig. Wir müssen zum Beispiel mit Energie viel effizienter umgehen. Das große Einsparpotential liegt nicht bei der Industrie, sondern bei jedem Einzelnen von uns, z. B. beim Energieverbrauch von Häusern, Wohnungen und Autos. Hier geht es um einen Kulturwandel. Die größte Ölquelle liegt unter Deutschland: Es ist die Energie-Effizienz.

SZ: Und was kann die Industrie tun?

Hambrecht: Zum Beispiel eine nachhaltig günstige Rohstoffversorgung sichern. Wir müssen uns um ein gutes und partnerschaftliches Verhältnis zu denjenigen bemühen, die über Energie verfügen. Wir sind beim Gas von Russland und anderen Ländern abhängig, verteufeln sie aber, statt konstruktiv mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Auf der nächsten Seite: Warum die BASF keine Prinzlinge beschäftigt.

SZ: Viele halten die wachsende Abhängigkeit für eine Gefahr.

Hambrecht: Andersherum stimmt das Argument eher. Die BASF zum Beispiel ist durch das gemeinsame Joint Venture mit Gazprom unabhängiger geworden. Wir hatten Anfang der 90er Jahre das Problem, dass wir beim Gas von einem Monopolisten abhängig waren, dessen Preise auf Dauer das Ende unseres Standortes Ludwigshafen bedeutet hätten. Diese einseitige Abhängigkeit haben wir durch Investitionen in Zusammenarbeit mit Gazprom geändert.

SZ: Haben Sie keine Angst, dass die Russen Ihnen mal den Hahn zudrehen?

Hambrecht: Das ist wirklich Unsinn. Wir beteiligen die Russen über Wingas am Geschäftserfolg in Deutschland. Die schauen doch auf ihre eigenen Interessen und werden uns immer Gas geben, weil sie dadurch durchgängig am Gewinn beteiligt sind.

SZ: Russland ist keine Demokratie, China auch nicht. Kann die Wirtschaft beliebig Geschäfte machen ohne Rücksicht auf die politische Situation?

Hambrecht: Wir Deutsche sind in dieser Frage sehr auf uns selbst bezogen. Wir möchten unsere Vorstellungen von Freiheit und Gleichheit auf die ganze Welt übertragen. Und bitte sofort. Wir haben keinen Respekt vor den anderen. Die Chinesen denken anders als wir, die Russen ebenfalls, und wir täten gut daran, dies zu respektieren.

SZ: Muss man deshalb mit allem einverstanden sein?

Hambrecht: Eindeutig nein. Aber man äußert Kritik nicht in der Öffentlichkeit, sondern dort, wo sie hingehört. Ich hätte es ja auch nicht gerne, wenn ein BASF-Manager meine Arbeit vor laufenden Kameras kritisiert. Und man muss die Dinge so ansprechen, dass man sich immer wieder treffen kann.

SZ: Gehen Sie nicht in Wahrheit vor Diktaturen in die Knie, weil Sie Rohstoffe brauchen und Geschäfte machen wollen?

Hambrecht: Ich gehe vor niemandem in die Knie. Die BASF beschäftigt zum Beispiel keine Prinzlinge. Man hört da draußen viele Dinge, die Unternehmen angeblich machen. Wir machen dies nicht!

SZ: Aber auch Sie machen Geschäfte in Ländern, in denen ständig Schmiergeld eingefordert wird.

Hambrecht: Wir haben eine Chemie gefunden, bei der dieses Schmiermittel nicht notwendig ist.

Auf der nächsten Seite: "Wir müssen aufpassen, dass die Verdächtigungskultur nicht zum Standard wird."

SZ: Verzichten Sie auch auf Geschäft?

Hambrecht: Ja. Das ist ein Grundprinzip bei der BASF. Wir haben ganz strikte Regeln. Jeder, der zu uns kommt, wird entsprechend geschult und getestet.

SZ: Andere deutsche Unternehmen nehmen die Dinge offenbar nicht so genau und haben geschmiert. Siemens hat damit bekanntlich ein großes Problem.

Hambrecht: Ganz klar: Was entgegen den Regeln läuft, ist nicht in Ordnung. Das darf man nicht tolerieren. Wir müssen aber auch aufpassen, dass die Verdächtigungskultur bei uns in Deutschland nicht zum Standard wird.

SZ: Was meinen Sie damit?

Hambrecht: 99 Prozent der Manager und Unternehmer arbeiten sehr, sehr ordentlich, 99 Prozent der Journalisten ebenfalls. Und auch die allermeisten Politiker tun dies. Aber in der Öffentlichkeit wird der Eindruck erweckt, als ob alle ständig gegen Regeln verstoßen. Politik, Medien und Manager stehen alle in der öffentlichen Meinung hundsmiserabel da. Übrigens Sie als Journalisten noch viel schlechter als wir.

SZ: Der Abstand wird geringer.

Hambrecht: Wie auch immer. Es wird Vertrauen zerstört und Misstrauen geschaffen. Lasst uns damit aufhören!

SZ: Warum ist das Image der Wirtschaft derzeit so schlecht?

Hambrecht: Die Veränderungen, die sich jetzt auf der Erde zeigen, sind hochkomplex, und es ist manchmal schwer, dies jedem zu erklären. Deshalb wird die soziale Verantwortung der Unternehmen immer wichtiger. Sie können das Geschäft nicht mehr losgelöst von der Gesellschaft betreiben, sondern müssen die Menschen, vor allem ihre Mitarbeiter, mitnehmen. Aber in der Öffentlichkeit wird fast ausschließlich über Fehler und Versagen geredet.

SZ: Sind wir zu negativ?

Hambrecht: Die Kultur des Positiven ist nach 60 Jahren sozialer Marktwirtschaft verlorengegangen. So haben die Menschen das Gefühl, dass sie auf der Seite stehen, auf der es schlechter ist. Und dieses Gefühl wird dann transportiert.

SZ: Wie sollte die Wirtschaft mit dieser Vertrauenskrise umgehen?

Hambrecht: Das Grundprinzip ist Aufrichtigkeit und Wahrheit. Ich stehe dazu, dass ich Vorbild bin, und daran muss ich mein Handeln ausrichten. Meine wichtigste Leitlinie lautet in Anlehnung an Alfred Herrhausen, den früheren Chef der Deutschen Bank: Ich sage, was ich denke, und ich tue, was ich sage.

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Quelle:
SZ vom 28.6.2008/jkr
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