Süddeutsche Zeitung

Bargeld:Deutsche horten "Kupferschmarrn"

Die meisten Ein- und Zwei-Cent-Münzen werden nicht zum Bezahlen benutzt, sondern liegen zu Hause herum.

Von Harald Freiberger

Die Bundesbürger erleichtern sich gern, das ist im Alltag immer wieder zu beobachten. Wenn sie nach Hause kommen, greifen sie, oft noch bevor sie die Schuhe ausziehen, in Hosentasche oder Geldbeutel, suchen Ein- und Zwei-Cent-Münzen heraus und werfen diese in ein bereitstehendes Gefäß. Beliebte Ablageorte sind auch Schubladen, Marmeladengläser oder das Handschuhfach im Auto. Die kleinen Kupfermünzen sind den Deutschen lästig, weil ihr Gewicht im Verhältnis zur Kaufkraft zu hoch ist. Immerhin wiegen 42 Ein-Cent-Münzen so viel wie eine Tafel Schokolade. In Bayern ist dafür auch das Wort "Kupferschmarrn" gebräuchlich.

Erstmals gibt es nun einen statistischen Beleg für diese Alltagsbeobachtung: Mehr als drei Viertel der in Deutschland ausgegebenen Ein- und Zwei-Cent-Münzen dienen gar nicht als Zahlungsmittel, sondern fristen ein trauriges Dasein: aussortiert und abgelegt. Das geht aus einer Anfrage der Grünen im Bundestag hervor, die das Bundesfinanzministerium beantwortete: Die Bundesbank hat seit Einführung des Euro 2002 rund 20 Milliarden Stück der Kleinstmünzen ausgegeben. Davon liegen nach letzten verfügbaren Schätzungen bis zu 80 Prozent herum, gingen verloren oder wurden im Ausland in Umlauf gebracht. Rund 15 Milliarden Münzen im Wert von etwa 220 Millionen Euro werden damit nicht genutzt. Im Durchschnitt hortet jeder Deutsche 200 Ein- und Zwei-Cent-Münzen.

"Verschwendung von Metall und Energie": Die Produktion einer Ein-Cent-Münze kostet 1,65 Cent

Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer nimmt dies zum Anlass, den Sinn der Münzen infrage zu stellen. Ihre Prägung sei eine "große Verschwendung von Metall und Energie". In der Tat kostet die Herstellung der Ein-Cent-Münze nach früheren Angaben 1,65 Cent, ist also deutlich teurer als der Nennwert. Bei der Zwei-Cent-Münze liegen die Kosten knapp darunter.

Krischer plädiert daher für das niederländische Modell: Der Handel habe sich dort entschlossen, die Kleinmünzen nicht mehr zu nutzen, sondern auf fünf Cent zu runden. Auch Belgien und Irland haben die Rundungsregel eingeführt. In Finnland galt sie von Anfang an; Ein- und Zwei-Cent-Münzen sind dort gar nicht bekannt.

Es gibt allerdings ein gewichtiges Argument gegen die Abschaffung: Im Einzelhandel sind meist Preise mit acht oder neun Cent am Ende üblich, selten solche mit zwei oder sieben Cent. Im Durchschnitt würde deutlich mehr auf- als abgerundet. Die Rundungsregel kommt für Verbraucher einer Preiserhöhung gleich.

Auch für das Bundesfinanzministerium, das für die Münzen verantwortlich ist, ist die Sache klar: "Die Stückelung der Euro-Umlaufmünzen ist für den gesamten Euro-Raum einheitlich geregelt", sagt ein Sprecher. Die Abschaffung einzelner Nominale könnte daher nur auf europäischer Ebene beschlossen werden. Damit blieben Ein- und Zwei-Cent-Münzen auch in Ländern gesetzliches Zahlungsmittel, die freiwillige Rundungsregeln eingeführt haben. Im Finanzministerium gebe es keine Überlegungen, die Kleinmünzen abzuschaffen oder Rundungsregeln einzuführen.

Die Erfahrung hat auch Italien gemacht, das die Ein- und Zwei-Cent-Münzen schon abschaffen wollte. Im Mai dieses Jahres machte die Abgeordnetenkammer in Rom einen Vorstoß, ab 1. Januar 2018 keine Kleinmünzen mehr zu prägen. Alle Preise sollten auf einen Fünf-Cent-Betrag gerundet werden. Die Regierung unterstützte den Plan zunächst, hat inzwischen aber einen Rückzieher gemacht: Sie erkannte, dass sie das gar nicht selbst entscheiden kann, sondern dass es Sache der EU ist. Auch die Italiener werden mit den Kupfermünzen also weiter Schubläden und Handschuhfächer füllen.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2017
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