Süddeutsche Zeitung

Bankenunion:Karlsruher Grenze für die EZB

  • Die EZB beaufsichtigt große deutsche Banken. Das ist für das Bundesverfassungsgericht "noch hinnehmbar", hat Karlsruhe geurteilt.
  • Allerdings müsse Europa sich auf die "besonders bedeutenden" Banken beschränken.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Man konnte sich schon fragen, was das Bundesverfassungsgericht eigentlich zu mäkeln hat, wo doch die Bankenunion eine wirklich gute Sache ist. Das jedenfalls war der Eindruck, den man bei der Verhandlung im November des vergangenen Jahres gewinnen musste. Die europäische Bankenaufsicht, eingerichtet im Jahr 2013, sowie der im Jahr darauf installierte einheitliche Abwicklungsmechanismus: ein echter Fortschritt hin zur Krisenfestigkeit des Bankensystems, lobte damals der Präsident der deutschen Finanzaufsicht Bafin, Felix Hufeld: "Insgesamt kann ich bestätigen, dass das Niveau der Aufsicht deutlich gewonnen hat."

Nun, acht Monate später, hat das Verfassungsgericht sein Urteil verkündet. Die Europäische Bankenunion ist unter den strengen Blicken der Richter "noch hinnehmbar", wie es Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle ausdrückte. Bankenaufsicht und Abwicklungsmechanismus, die beiden Pfeiler der Bankenunion, überschritten "nicht in offensichtlicher Weise" die Grundlagen der europäischen Verträge. Allerdings zieht sich das Wort "Bedenken" durch die Urteilsbegründung. Wie schon so oft in den vergangenen Jahren erhebt Karlsruhe mahnend den Zeigefinger, weil Europa sich mal wieder vom demokratischen Zügel der Mitgliedsstaaten losreißen will. Die Mahnung umfasst voluminöse 174 Seiten, fast 30 mehr als vor zehn Jahren das sehr ausführliche Lissabon-Urteil. Je länger sich das Verfassungsgericht an Europa abarbeitet, so scheint es, desto länger werden die Urteile.

Politisch unabhängige Behörden brauchen ein Minimum an "demokratischer Steuerbarkeit"

Gegen die Bankenunion als solche haben die Richter nichts einzuwenden. Sie umfasst erstens einen Abwicklungsmechanismus mit einem Notfallfonds für teure Rettungsaktionen, zweitens die einheitliche Aufsicht über "systemrelevante" Banken durch die EZB. Das sind insgesamt 114 Geldinstitute, davon 19 aus Deutschland, wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank. 1400 deutsche Banken stehen nach wie vor unter der nationalen Aufsicht der Bafin. Also eigentlich eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen der europäischen und nationalen Ebene.

Warum Karlsruhe hier trotzdem ein Problem sieht, hat mit einem Urteil des Europäischen Gerichts erster Instanz vom Mai 2017 zu tun. Es ging damals um die baden-württembergische L-Bank, die sich nicht der EZB-Aufsicht unterstellen wollte. Das EU-Gericht schrieb, dass die nationale Aufsicht über weniger bedeutende Banken "keine Ausübung einer autonomen Zuständigkeit darstellt, sondern die dezentralisierte Ausübung einer ausschließlichen Zuständigkeit der EZB". Soll heißen: Im Moment kümmert sich Europa zwar nur um die ganz großen Banken, aber im Grunde ist die EZB für alle zuständig - womit die Bafin zur europäischen Außenstelle herabgestuft würde.

Da war es also wieder, das schwarze Loch Europa, das nationale Zuständigkeiten zu verschlucken drohte - Karlsruhe war alarmiert. Das Szenario war nicht untypisch. Als Reaktion auf die Finanzkrise schuf die EU einen sinnvollen Mechanismus - und versuchte ganz nebenbei, den eigenen Machtbereich auszuweiten. "Never miss a good crisis", lautet ein Karlsruher Spott über EU-Institutionen: Verpasse niemals die Chancen einer Krise.

Das Urteil beinhaltet einen demokratietheoretischen Exkurs - über unabhängige europäische Institutionen

Das Urteil des EU-Gerichts ist inzwischen von der nächsten Instanz, dem Europäischen Gerichtshof, im Mai relativiert worden - in letzter Minute vor dem Karlsruher Entscheid. Ein Anspruch auf allumfassende europäische Bankenaufsicht wird darin jedenfalls nicht eindeutig erhoben. Aber die Verfassungsrichter wollten nun auf Nummer sicher gehen. Nur bei "strikter Auslegung" sei die Bankenaufsicht mit dem Grundgesetz vereinbar, also nur dann, wenn sie sich allein auf die "besonders bedeutenden" Banken beschränke. Würde die EZB sich mehr anmaßen, dann wären deutsche Wähler in ihrem "Anspruch auf Demokratie" verletzt. Das Verfassungsgericht würde dies als eine offensichtliche Überdehnung europäischer Zuständigkeiten rügen.

An dieser Stelle setzt der Zweite Senat - Berichterstatter war Peter Huber - zu einem demokratietheoretischen Exkurs über unabhängige europäische Institutionen an. Sie müsse es geben, man denke nur an die Währungspolitik, die ohne unabhängige EZB den egoistischen Interessen der Staaten ausgeliefert wäre. Der Preis dafür sei aber ein Demokratiedefizit. Wenn immer mehr wichtige Politikfelder von Bürokraten gestaltet werden, die keiner wählt und niemand abberufen kann, dann mag der Wähler noch so viele Wahlzettel ausfüllen - sein Votum dringt nicht durch. Deshalb verlangt Karlsruhe eine Kompensation: Politisch unabhängige Behörden darf es nur geben, wenn es ausnahmsweise sachlich gerechtfertigt ist, und sie müssen ein Minimum an "demokratischer Steuerbarkeit" aufweisen, etwa über die Ernennung ihrer Mitglieder oder über Rechenschaftspflichten. Und natürlich durch gerichtliche Kontrolle. Ein Exkurs - aber eigentlich eine Warnung.

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SZ vom 31.07.2019/bbr/vwu
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