Süddeutsche Zeitung

Bankenrettung in der EU:Das verrückte Labyrinth

Rettung oder Insolvenz - das muss innerhalb von 24 Stunden entschieden werden, wenn in Europa eine Bank wackelt. Wie das funktionieren soll, zeigt eine Grafik. Und die gleicht eher einem postmodernen Gesellschaftsspiel als einem durchdachten System.

Von Cerstin Gammelin und Javier Cáceres, Brüssel

Die Wege der Europäischen Union sind unergründlich. Und kaum jemand macht sich die Mühe, diese Wege wirklich nachzuzeichnen. Jetzt hat sich doch einer die Zeit genommen: Sven Giegold, der für die Grünen als Finanzexperte im Europaparlament sitzt.

Er ließ eine Grafik anfertigen über den umstrittenen Single Resolution Mechanism, zu deutsch: Bankenabwicklungsmechanismus, oder noch deutscher: Wie entscheidet man vertraulich und effizient binnen 24 Stunden, ob eine Bank geschäftsunfähig ist und ob es sich lohnt, diese zu retten oder ob sie geschlossen werden muss?

"Wut gegen diese zwischenstaatliche Maschinerie" hat Giegold das entstandene Gemälde genannt - und damit den Finger kunstvoll in die Wunde gelegt. Denn das Bild erinnert eher an ein postmodernes Gesellschaftsspiel als ein durchdachtes, schnelles und klares System zur Findung einer Entscheidung - an der im Zweifelsfall Milliarden Eurobeträge und viele Arbeitsplätze hängen.

Experten bescheinigen: Das Gemälde ist "weitgehend korrekt"

Der Brite Jonathan Faull, Generaldirektor und einer der wichtigsten Beamten im Apparat des zuständigen Binnenmarktkommissars Michel Barnier, reagiert pikiert: Natürlich wäre es schön, wenn die Dinge einfacher wären, twitterte Faull. "Aber es handelt sich eben um eine komplizierte Industrie und die Europäische Union ist eine komplizierte Gemeinschaft".

Gleichwohl bescheinigen seine Experten dem Gemälde, es sei "weitgehend korrekt". Womit die Kernfrage, die Giegold aufwirft - kann man auf diese Art und Weise wirklich innerhalb von 24 Stunden Banken abwickeln - umso berechtigter erscheint. Denn die Wege, die nach jetziger Kompromisslage beschritten werden müssen, sind unübersehbar.

Die Leinwand, auf der Giegolds Grafik entstand, ist die dramatische Finanz- und Eurokrise. Im Sommer 2012 haben sich die Euro-Länder im Angesicht ihres drohenden Untergangs verständigt, eine Bankenunion zu gründen. Sie entschlossen sich, der Europäischen Zentralbank die Aufsicht über die 6000 Banken der Euro-Zone zu übertragen und damit die nationalen Aufseher zu entmachten. Es war die größte Übertragung von nationalen Kompetenzen an eine europäische Institution seit der Einführung des Euro.

Erst gab es eine überschaubare Handlungsanweisung - dann kam Schäuble

Ergänzt werden sollte die zentrale Aufsicht um eine Art zentrale Handlungsanweisung, wie im Ernstfall eine kranke Großbank, die nicht mehr gerettet werden kann, abzuwickeln ist. Solche Entscheidungen müssen schnell und effizient getroffen werden, idealerweise, wenn die Börsen von Asien bis Nordamerika geschlossen sind, also zwischen Freitagnacht und Sonntagnacht. So soll vermieden werden, dass Bürger die Banken stürmen, ihr Erspartes abholen und am Ende das gesamte Finanzsystem implodieren könnte.

Die Europäische Kommission legte im Sommer 2013 dazu eine noch überschaubare Handlungsanweisung vor. Dann setzte das Gerangel der 28 nationalen Finanzminister um die Wahrung ihrer nationalen Interessen ein. Bankenabwicklung kostet schließlich Geld und man will ja nicht für die Banken des Nachbarn mitzahlen, selbst wenn diese grenzüberschreitend Geschäfte betreiben.

Bundesfinanzminister Schäuble setzte sich schließlich mit seiner Interpretation durch: Um die ganze Abwicklerei rechtsfest zu machen, bedürfe es einer Änderung der EU-Verträge - und weil dies ja nicht so einfach sei, eben eines zwischenstaatlichen Vertrages. Was wiederum zur Folge hätte, dass Schäuble den Europäischen Volksvertretern wichtige Mitentscheidungsrechte vorenthielte - und statt dessen andere Leute in anderen Gremien konsultieren würde. Am Ende haben Schäubles Ideen die ohnehin verschlungenen Wege der Bankenabwicklung weiter verkompliziert. Nichts anderes stellt Giegolds Gemälde bloß - wie eine gute Karikatur.

Britischer Humor per Twitter

Binnenmarktkommissar Barnier hat sich die Grafik angeschaut und durchblicken lassen, dass er mit dem Ansinnen der Volksvertreter sympathisiert, die komplizierten Strukturen wieder zu vereinfachen. "Wir haben bereits klargemacht, dass wir hoffen, in den laufenden Verhandlungen den Entscheidungsprozess zu vereinfachen", sagt seine Sprecherin.

Barniers Adlatus Faull ist dennoch über Giegolds Grafik-Attacke verärgert und liefert sich via Twitter ein Wortgefecht. "Sie hätten noch sagen können, dass diese Maschinerie nur Geld verbrennt", ärgert er sich. "Aber in Wirklichkeit wird sie das Geld der Regierungen und Steuerzahler retten", schreibt er per Kurznachricht. Giegold kontert, Faull solle nicht so langweilige Phrasen wiederholen sondern einfach für einen "coolen Retweet" sorgen, also die Grafik weiter durchs Netz schicken.

Da findet Faull zu seinem britischen Humor zurück. "Coole Eurokraten? Ihr Europaparlamentarier verlangt zu viel."

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SZ vom 31.01.2014/sks
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