Bankenaufsicht:"Nicht effektiv genug, um so etwas zu verhindern"

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Der Skandal um mutmaßlich erfundene Umsätze und Profite des Wirecard-Konzerns ist auch ein Debakel für die Finanzaufsicht und legt ein Kontrollversagen offen.

Von j. Willmroth, n. Wischmeyer, K. Ott, N. Richter, Ch. giesen, J. Schmitt, Köln/Frankfurt

Es dauerte nicht lange, bis sich die oberste deutsche Kontrollbehörde im Finanzwesen zur Gehilfin von Wirecard machte. Am 9. April des vergangenen Jahres ging bei der Staatsanwaltschaft München I eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Marktmanipulation gegen mehrere Börsenhändler und zwei Journalisten der Financial Times ein. Sie könnten, so formulierte die Bafin ihren zweifelhaft begründeten Verdacht, sich abgesprochen haben, um mit Enthüllungsgeschichten über dubiose Vorgänge bei Wirecard Kasse zu machen. Die Staatsanwaltschaft nahm das so ernst, dass sie Ermittlungen wegen Marktmanipulation einleitete.

Und ganz im Sinne des Wirecard-Konzerns standen plötzlich akribisch arbeitende britische Journalisten im Verdacht, Teil einer großen Verschwörung zulasten einer deutschen Wachstumsfirma zu sein.

Der Skandal um mutmaßlich erfundene Umsätze und Profite des Wirecard-Konzerns ist auch ein Debakel für die Finanzaufsicht und legt ein Kontrollversagen offen, das sich wohl hätte vermeiden lassen. Davon zeugt nicht zuletzt die Reaktion von Bafin-Präsident Felix Hufeld am Montag in Frankfurt, wonach die Aufsicht "nicht effektiv genug" gewesen sei, "um so etwas zu verhindern". Dass sie also nicht genau hingeschaut hat bei einem Konzern, der möglicherweise jahrelang Investoren und Banken, seine Wirtschaftsprüfer und die Öffentlichkeit genauso getäuscht hat wie gute Teile der eigenen Belegschaft.

Jahrelang hatten es Wirtschaftsprüfer von EY und auch die Bafin mit all ihren Mitteln offenbar versäumt, Wirecard genau genug auf die Finger zu schauen. Dabei gab es die ersten Hinweise auf Tricksereien bereits im Jahr 2015, damals in einer groß angelegten Serie von Berichten in der FT. Die Themen und Vorwürfe hätten die Finanzaufsicht eigentlich schon damals aufschrecken müssen: Es ging um dubiose Zukäufe, Geldströme, die ins Nichts führten und immer wieder den Verdacht, dass Wirecard womöglich seine Bilanz frisieren könnte. Die Bafin aber hielt still, auch als in den Folgejahren weitere Recherchen veröffentlicht wurden. Die Wirtschaftsprüfer von EY gaben noch für den Jahresabschluss 2018 ein uneingeschränktes Testat für die Zahlen von Wirecard ab. Haben die Aufpasser bei ihren Aufgaben versagt?

Es geht dabei auch um Zuständigkeiten und Kompetenzen einer Bundesbehörde. Die Bankenaufsicht der Bafin kontrolliert die Wirecard Bank, aber nicht den Gesamtkonzern. Gegen Letzteren verhängten sie im April 2019 lediglich eine Geldstrafe über 1,52 Millionen Euro. Allerdings nicht wegen fehlerhafter Bilanzen, sondern weil Wirecard die Berichte zu spät eingereicht hatte. Ungefähr zu dieser Zeit schaltete die Bafin nach Informationen aus Finanzkreisen zudem die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) ein. Diese sollte sich die Bilanzen des Dax-Konzerns einmal genauer anschauen. Ob und inwieweit die Prüfer etwas fanden, ist unklar. Auf Anfrage heißt es, die DPR dürfe sich nicht öffentlich äußern. Doch dass sie etwas fand, ist höchst unwahrscheinlich: In der Regel prüfen in solchen Fällen ein bis zwei Experten die Buchhaltung von außen. Mutmaßlich gefälschte Dokumente nach Asien zurückzuverfolgen - dazu haben sie weder die Mittel noch die Befugnisse.

Die Bafin dagegen versteht es, hart durchzugreifen. Bafin-Vizepräsidentin Elisabeth Roegele entschied sich im März 2019 zu einem ungewöhnlichen Schritt: übers Wochenende setzte sie bei der EU-Marktaufsicht ESMA ein europaweites Leerverkaufsverbot durch. Auslöser für das Verbot war internen Unterlagen zufolge ein Hinweis bei der Staatsanwaltschaft in München, Wirecard würde erpresst: Spekulanten würden gemeinsame Sache mit einer Zeitung und möglicherweise mit anderen Medien machen, um Wirecards Aktienkurs negativ zu beeinflussen. Eingereicht hatte die Hinweise Wirecard selbst. War das Grund genug für ein Verbot für Wetten auf fallende Kurse? Die Behörde erklärte ihre Entscheidung damit, die Integrität des Marktes wahren zu wollen, die korrekte Preisbildung beim Dax-Wert Wirecard sei nicht mehr möglich.

Das sah zunächst aus, als werde eine Schutzmauer um Wirecard gebaut: Weil es in den vorigen Jahren schon derartige Unstimmigkeiten gegeben hatte, passte das Vorgehen der Bafin zur Erzählung von kriminellen Spekulanten, die sich auf Kosten von Wirecard und dessen Aktionären bereichern wollten. Der Linken-Bundestagsabgeorndete Fabio de Masi urteilt: "Die Bafin betrieb offenbar eher Standortpflege als Aufsicht." Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sieht das anders: Die Aufsicht habe sehr hart gearbeitet und ihren Job gemacht, und das sehe man jetzt, sagte er am Montag in Frankfurt.

© SZ vom 23.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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