Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Banken verärgern ihre Kunden mit veralteten IT-Systemen

  • In letzter Zeit gab es immer wieder IT-Pannen bei deutschen Banken, bei der Commerzbank gleich drei Mal in den vergangenen Wochen.
  • Über Jahre haben die Geldinstitute bei der Weiterentwicklung ihrer IT-Systeme geschlampt und nicht ausreichend investiert.
  • Karten, die beim Zahlen nicht funktionieren, und Probleme beim Online-Banking verärgern die Kunden immer häufiger.

Von Nils Wischmeyer, Köln

Das Unglück begann in der Nacht und traf die Kunden der Commerzbank am frühen Morgen mit seiner ganzen Härte. Nichts ging mehr: Das Online-Banking streikte, und die Karten blockierten teilweise, selbst einige Geldautomaten verweigerten den Dienst. Familien konnten ohne Bargeld im Supermarkt nicht einkaufen, Angestellte auf Dienstreise nicht tanken und niemand auf sein Geld zugreifen oder eine Überweisung tätigen. Die IT-Systeme hatten sich verabschiedet und mussten nun erst einmal neu hochgefahren werden. Bis dahin waren die Kunden der Commerzbank abgeschnitten.

Es war ein kleines Desaster an diesem Morgen und nicht das erste. In den vergangenen Wochen fielen die Systeme der Commerzbank gleich drei Mal aus. Entsprechend genervt sind die Kunden.

Allein ist die Commerzbank mit solchen Problemen aber keineswegs. Viele andere Banken kämpften in den vergangenen Jahren mit Problemen im Online-Banking oder den digitalen Angeboten. Allein im Jahr 2018 hat die Finanzaufsicht Bafin mehr als 300 Vorfälle registriert und mit jedem Einzelnen zeigen sich die Versäumnisse der Geldinstitute immer deutlicher. Über Jahre haben sie systematisch geschlampt, wenn es um die strategische Entwicklung der IT-Infrastruktur ging. Wichtige Investitionen wurden nicht gemacht, alte Zöpfe in den Strukturen nicht abgeschnitten. "Das ist wie ein Auto, das Sie seit 30 Jahren fahren", sagt Sebastian Steger, Partner der Unternehmensberatung Roland Berger. "Sie schrauben ständig daran rum, bleiben irgendwann mal am Straßenrand liegen, und eigentlich ist es nicht mehr tauglich", sagt er.

Noch immer laufen einige Banksysteme auf Programmcode aus den 1980er-Jahren. Denn statt alte Anwendungen und Daten in neue Systeme zu migrieren, haben die Banken die Wünsche aus den Fachabteilungen ignoriert und immer neue Teile angehängt. "Die Forderungen der IT-Mitarbeiter wurden leider oft nicht ernst genommen", sagt Steger.

Langfristig müssen die Banken die alten Systeme abschalten. Das wird nicht einfach

Über die Jahre wurden die System so immer ineffizienter und abhängiger voneinander bis sie der Struktur eines Schaltkastens voller Kabel ähnelten. Dort kann heute kaum noch jemand zuordnen, welches Kabel wie wo wann verkabelt wurde und was passiert, wenn man es aus der Wand zieht. Dementsprechend kompliziert dürfte es werden, das Problem in den Griff zu bekommen. "Das geht, wenn überhaupt, Stück für Stück", sagt Steger. "Und selbst dann wird das Jahre dauern."

Dass in den Banken noch alte Systeme laufen, ist aber nur das eine Problem. Das andere: Die Herausforderungen an die Banken sind viel größer geworden. Wie weit Anspruch und Realität auseinandergehen, wird nirgendwo deutlicher als im Kernbankensystem, dem Maschinenraum der Geldinstitute. Diese sind in den meisten Fällen als Batch-System ausgelegt, wie Gökhan Öztürk, Bankexperte in der Unternehmensberatung Oliver Wyman, erklärt. Das bedeutet, alle Überweisungen werden am Ende des Tages gesammelt, gruppiert und verschickt. Deshalb kommen spät ausgeführte Überweisungen oft erst am übernächsten Tag an. "In der modernen Welt aber ist das nicht mehr zeitgemäß", sagt Öztürk. Die Kunden verlangen eine mobile App mit Echtzeitzugriff, Push-Nachrichten, wenn sie etwas bezahlen, und Sofortüberweisungen, wie sie es von anderen Anbietern gewohnt sind. Das bedeutet für die Banken, dass sie neuen Code schreiben und ihn in die Strukturen einbinden müssen.

Die Banksysteme müssen immer mehr, immer schneller verarbeiten

Als wäre das nicht genug, steigt auch noch die Zahl der Kunden. Dem Bundesverband deutscher Banken zufolge nutzen mehr als 50 Prozent aller Kunden mittlerweile Online-Banking, Tendenz steigend. Parallel sinkt die Zahl der Bargeldzahlungen und steigt die Zahl der Daueraufträge und Transaktionen. Die Banksysteme müssen immer mehr, immer schneller verarbeiten, sind aber schon viel zu alt dafür. Gerade am Monatsende oder Monatsanfang, wenn Miete, Strom oder Gehalt per Dauerauftrag überwiesen werden, wird es zunehmend kritisch. "Das bringt die Systeme an die Grenzen der Belastung - wenn nicht sogar darüber", sagt Öztürk. Die Folge für die Kunden: Ausfälle, Pannen und Probleme.

Die Folge für die Banken: Reputationsverlust. In Zeiten des Online-Banking bleibt kaum ein Fehler geheim. Die Banken bringt das in Bedrängnis, da Kunden heute weniger loyal sind und im Zweifel die Bank wechseln. Das wissen die Finanzinstitute, und das dürfte einer der Gründe sein, warum man sich bei der DKB für eine fast schon spektakuläre Aktion entschied.

Fast einen ganzen Tag waren die Systeme der Bank im Juli nicht zu erreichen. Als Antwort an die Kunden trat Stefan Unterlandstättner, Chef der Bank, für 38 Sekunden vor die Kamera, entschuldigte sich und sagte dann diesen einen Satz: "Ich kann Ihnen versichern, dass Ihr Geld jederzeit sicher ist auf Ihrem Konto."

Ab September wird es für die Banken wohl noch heikler

Damit reiht er sich in die Reihe der großen Besänftiger ein. Angefangen bei Ex-Minister Norbert Blüm, der sagte "Die Renten sind sicher", bis hin zu Angela Merkel, die sich inmitten der Krise der Hypo Real Estate dazu veranlasst sah, zu beteuern: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind." Im direkten Vergleich wirkt der Satz gar komisch - und die Parallelen zum Rentensystem sind offensichtlich: Die Probleme sind altbekannt, werden akuter und sind nicht so einfach zu lösen.

Spätestens ab September dürfte es für die Banken noch heikler werden. Dann tritt eine neue EU-Richtlinie in Kraft. Sie erlaubt es Drittanbietern wie Google oder Start-ups auf verschiedene Kontodaten zuzugreifen, Überweisungen auszulösen oder Daten abzurufen. Der Kunde muss dem zustimmen, die Bank die passende Schnittstelle bereitstellen. Für die Institute bedeutet das, noch mehr Anforderungen an die Systeme, noch mehr Kapazitäten, die sie frei räumen müssen. "Ich erwarte keinen Blackout, aber die Probleme werden zunehmen", glaubt Öztürk.

Wollen die Banken ihre Probleme in den Griff bekommen, wird ihnen kaum etwas anderes übrig bleiben, als alle Prozesse Stück für Stück in neue Systeme zu schieben und die alten abzuschalten. Dass es dabei zu Problemen kommen wird, ist nicht nur ausgeschlossen, sogar wahrscheinlich. Der nächste Ausfall kommt bestimmt.

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Quelle:
SZ vom 19.07.2019/vwu
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