Süddeutsche Zeitung

Banken:Unicredit: Neuer Chef soll den Kollaps verhindern

  • Mit Jean-Pierre Mustier tritt in der italienischen Bankenkrise ein neuer Chef seinen Dienst beim größten Geldhaus des Landes an.
  • Der Franzose muss dringend frisches Kapital auftreiben, die Bilanzen säubern und die Struktur des verästelten Konzerns vereinfachen.
  • Für die Münchner Unicredit-Tochter Hypo-Vereinsbankkönnte das künftig weniger Freiheiten und mehr Einfluss aus Mailand bedeuten.

Von Daniel Brössler und Stephan Radomsky

Allein das Datum zeigt, wie sehr es eilt. Wer tritt einen neuen Job schon mitten im Monat an? Jean-Pierre Mustier tut es, an diesem Dienstag. Er ist der neue Chef der italienischen Groß- und Krisenbank Unicredit. Es dürfte im Moment einer der schwierigsten Jobs in Europa sein.

Unicredit, zu der auch die Hypo-Vereinsbank (HVB) in München gehört, ist die größte Bank Italiens, der drittgrößten Volkswirtschaft in der Euro-Zone. Sie steckt in schweren Geldnöten, wie andere Banken auch. Gemeinsam haben sie faule Kredite im Volumen von rund 360 Milliarden Euro angehäuft, das entspricht mehr als einem Fünftel der jährlichen Wirtschaftsleistung Italiens. Allein etwa 80 Milliarden davon liegen in den Bilanzen der Unicredit und drohen, den Finanzkonzern in den Kollaps zu treiben.

Bis zu zehn Milliarden Euro notwendig

Mustier hat deshalb eine Mission: Er muss frisches Kapital auftreiben, um die Bücher wieder in Ordnung zu bringen und die Bank zu reformieren. Dafür holte er sich am Montag das Mandat. Es solle eine "tiefgehende Überprüfung der Strategie" geben, um die Profitabilität und die Kapitalausstattung zu verbessern. Dabei war das letzte Sparprogramm erst im vergangenen Herbst präsentiert worden. Musters scheidender Vorgänger Federico Ghizzoni war damit aber bei den Anteilseignern durchgefallen und musste gehen. Auf bis zu zehn Milliarden Euro schätzen Analysten den Finanzbedarf, wenn die faulen Darlehen sauber ausgeräumt werden sollen.

Woher dieses Geld aber kommen soll, ist unklar. Als ersten Schritt beschloss der Vorstand am Montag, einen Zehn-Prozent-Anteil an der Onlinebroker-Tochter Fineco Bank abzustoßen. Wirklich lösen wird das die Probleme von Unicredit allerdings nicht. Auch private Investoren und Anteilseigner dürften kaum bereit sein, die nötigen Summen in das wankende Institut zu stecken, im Gegenteil: Sie wenden sich ab. Um knapp ein Drittel ist die Unicredit-Aktie seit dem Brexit-Votum eingebrochen, binnen Jahresfrist sind es sogar mehr als zwei Drittel.

Europa streitet über frisches Steuergeld für die Banken

Zugleich ist eine Rekapitalisierung aus Steuergeldern nach den europäischen Regeln inzwischen verboten, wenn nicht zuvor Aktionäre und Gläubiger zahlen müssen. Genau das jedoch will Italiens Premier Matteo Renzi unbedingt verhindern. Denn es sind nicht nur die großen Kapitalgesellschaften, die in die Unicredit und andere Banken investiert haben, sondern auch viele Kleinsparer. Wenn sie draufzahlen, muss Renzi um sein eigenes politisches Schicksal fürchten. Sein Wunsch nach Steuergeld aber sorgt für Streit mit den Euro-Partnern.

"Banken stehen weder auf der Tagesordnung der Euro-Finanzminister heute noch auf der Tagesordnung der EU-Finanzminister morgen", versuchte Italiens Finanzminister Carlo Padoan nun beim Treffen mit seinen Kollegen am Montag in Brüssel zu beruhigen. "Wir bereiten uns auf Vorsichtsmaßnahmen vor, die, falls nötig, ergriffen werden könnten." Sein deutscher Kollege Wolfgang Schäuble spielt derweil auf Zeit: Bevor nicht die Ergebnisse des jüngsten Banken-Stresstests vorlägen, "verbieten sich Spekulationen", sagt er. Im Übrigen sei ein europäisches Regelwerk genau dafür geschaffen worden, Wiederholungen einer Bankenkrise zu vermeiden. Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis beschwichtigt, man arbeite "eng und konstruktiv" mit den Italienern zusammen. Es gebe Wege, das Problem notfalls anzugehen, und zwar im Einklang mit EU-Regeln. Wie, blieb allerdings offen.

Furcht vor dem Lehman-Effekt

Allen Beteiligten dürfte klar sein: Brechen Italiens Krisenbanken zusammen, allen voran Unicredit, könnten die Auswirkungen in Europa ähnliche Ausmaße haben wie die Pleite der US-Bank Lehman im Jahr 2008. Am Ende geriete womöglich sogar der Euro als Währung in Gefahr.

Denn auch im Rest Europas ächzt die Finanzbranche unter ungelösten Strukturproblemen: zu viele Banken, Mini-Zinsen, eine in weiten Teilen Europas lahmende Konjunktur, zuletzt die unsicheren Aussichten nach dem Brexit-Votum. Mustier soll verhindern, dass es so weit kommt.

Mit den Problemen in seinem Haus ist er bereits bestens vertraut. Er war von 2011 bis 2014 Chef-Investmentbanker im Unicredit-Vorstand. Karriere gemacht hatte Mustier zuvor bei der französischen Großbank Société Générale. 22 Jahre arbeitete der Absolvent der Elite-Uni Ecole Polytechnique dort. Mit der Lehman-Pleite kam der große Crash und es flog auf, was in der Bank geschehen war: Einer von Mustiers Untergebenen, der Händler Jérôme Kerviel, hatte auf eigene Faust über ein Jahr lang Finanz-Wetten über bis zu 50 Milliarden Euro betrieben. Als die Bank sie beendete, stand unter dem Strich ein Verlust von fast fünf Milliarden Euro. Kerviel wurde als Einzeltäter verurteilt, Mustier verließ die Société Générale mit fast weißer Weste: 2007 war er wegen Insiderhandels zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Zudem hat ein Gericht kürzlich festgestellt, dass die Société Générale und damit auch Mustier von den Mängeln in der Organisation gewusst hätten, die Kerviels Zockereien ermöglichten.

Die Spielräume der Münchner Tochter HVB könnten schrumpfen

Nun also soll Mustier bei Unicredit durchgreifen. Der neue Chef dürfte nicht nur in der Zentrale ansetzen, sondern auch bei den Töchtern. Denn neben den Milliarden an faulen Krediten plagt die Bank auch die komplexe Struktur mit Geschäften in 17 Ländern und gut 140 000 Angestellten. Die größte und profitabelste der Auslandstöchter ist die HVB in München; hier ist auch das weltweite Investmentbanking angesiedelt. Deshalb kennt man Mustier in München aus seiner Zeit als Chef-Investmentbanker. Sein Verhältnis zu HVB-Chef Theo Weimer gilt aus dieser Zeit als recht gut.

Wie lange das so bleibt, ist offen. Denn Weimer gilt als machtbewusst und ambitioniert. Unter Mustiers Vorgänger Ghizzoni genoss er viele Freiheiten, weil er bei der HVB sparte und regelmäßig hohe Profite lieferte. Seine Spielräume könnten demnächst aber rapide schrumpfen; viele in der HVB-Zentrale rechnen damit, dass schon bald neue, schärfere Anweisungen aus Mailand kommen. Außerdem beklagen Mitarbeiter, die Mustier noch von früher kennen, dessen rabiaten Ton und einen gnadenlosen Umgang mit Kritikern. Dass er die Münchner Tochter ganz verkauft, gilt dagegen als unwahrscheinlich. Die Gewinne der HVB sind für Unicredit zu wichtig. Zunächst dürfte Mustier andere Sorgen haben.

Ende Juli legt die Europäische Zentralbank das Ergebnis des Banken-Stresstests vor, im August folgen die Quartalszahlen der Unicredit. Dann wird klar sein, wie es um die Bank steht. Mustier wird verraten müssen, wie er die Probleme sieht.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2016/hgn/sry
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