Süddeutsche Zeitung

Finanzen:Banken-Lobby setzt laxere Standards durch

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Steigende Zinsen, höhere Risiken: Die Lage für Geldinstitute ist gerade alles andere als leicht. Sie fordern eine weniger strenge Aufsicht - und haben damit tatsächlich Erfolg.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Fast hätte Andrea Enria rhetorisch improvisieren müssen: Einer seiner Vorredner hatte beim Verlassen des Saals das Redemanuskript des Chefs der EZB-Bankenaufsichtsbehörde versehentlich mitgenommen. Doch der Italiener konnte sich auf seinen Stab verlassen, erhielt eine Kopie und konnte loslegen beim Bankenaufsichtssymposium der Deutschen Bundesbank. "Es ist ein heikler Moment für Banken, alte Fehler müssen vermieden werden", sagte Enria am Dienstag in Frankfurt. Er warnte, dass die nun höheren Zinsen viele Gefahren bergen würden. Die EZB überwacht seit 2014 die 125 wichtigsten Großbanken in der Euro-Zone. "Rund einem Drittel der Institute" fehle das Rüstzeug, um die Zinsrisiken überhaupt abschätzen zu können. Auch der Einsatz von Derivaten müsse besser überwacht werden. Oft sei das Risikomanagement in diesem Bereich "mangelhaft". Enrias scharfe Worte kommen zu einer Zeit, da die europäische Banken-Lobby Druck macht: gegen seine strenge Amtsführung und gegen eigentlich verbindlich vereinbarte strengere Kapitalregeln - Letzteres offenbar erfolgreich.

Die EU-Finanzminister werden die deutlich abgeschwächte Umsetzung der Basel-III-Kapitalstandards wohl absegnen, meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg am Dienstag. Die jetzige Version sei sogar noch schwächer als der ursprüngliche Vorschlag der Europäischen Kommission vom vergangenen Jahr. Die Kapitalregeln gehen auf die Empfehlungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zurück. Das Gremium mit Experten aus 28 Ländern hatte 2017 ein Reformpaket für den internationalen Bankensektor beschlossen, das die Erfahrungen aus der globalen Finanzkrise einbringen sollte - Stichwort Basel III. Nun wird Europa sehr wahrscheinlich von der rigiden Umsetzung der Vorschläge abweichen, was auch den Umsetzungseifer in anderen Staaten beeinträchtigen könnte.

Die Lobbyisten kämpfen nun auch offen gegen einzelne Aufsichtspraktiken: Zuletzt beschwerte sich Lorenzo Bini Smaghi, Aufsichtsratsvorsitzender der französischen Großbank Société Générale und ehemaliges Mitglied des EZB-Direktoriums, in einen Protestbrief, weil die Bankenaufseher regelmäßig an den Aufsichtsratssitzungen der Banken teilnehmen. Deren Anwesenheit würde die Gespräche belasten.

Der Machtkampf zwischen Politikern, Lobbyisten und Aufsehern dürfte weitergehen. Es gehe darum, "gemeinsam eine Urteilskraft" zu bilden, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel auf dem Symposium. Man dürfe sich gegenseitig die Meinung sagen. Allerdings stehe der Bankensektor vor großen Herausforderungen. Es steige das Risiko, "dass Unternehmen ihre Kredite nicht mehr so zuverlässig bedienen, wie das in den vergangenen Jahren der Fall war". Kreditausfälle wären die Folge.

Auch der für Bankenaufsicht zuständige Bundesbankvorstand Joachim Wuermeling mahnte: "Es wäre fahrlässig, nicht über mögliche Risiken nachzudenken. Probleme könnten zunächst solche Kreditnehmer bekommen, die ihre Immobilie angesichts niedriger Zinsen mit kurzer Zinsbindung, niedriger Tilgung oder sehr hohem Schuldendienst relativ zum Einkommen finanziert haben", so Wuermeling. Diese Kreditnehmer würden unter den steigenden Zinsen leiden. "Mischen Sie in diesen Cocktail noch fallende Preise für Immobilien, in anderen Worten fallende Preise für die Kreditsicherheiten, dann könnte es für die Banken teuer werden."

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