Süddeutsche Zeitung

Finanzindustrie:Verkrustet und abgehängt

Im internationalen Vergleich sind Deutschlands Banken schwach, ihr Bedeutungsverlust ist beispiellos. Das liegt auch daran, dass die Finanzkrise hierzulande nie richtig aufgearbeitet und Reformen verschleppt wurden. Und jetzt?

Von Meike Schreiber

Geht es um deutsche Ingenieursleistung, dann hat "Made in Germany" immer noch einen passablen Klang: Halbwegs erfolgreich, und irgendwie solide. Und haben wir mit unserer Mainzer Vorzeige-Firma Biontech nicht wenigstens beim Rennen um den Corona-Impfstoff überraschend gut abgeschnitten? Es ist also nicht alles schlecht in diesem Land.

Anders dagegen die Finanzbranche: International werden deutsche Geldhäuser seit Jahren belächelt - und das nicht erst, seit das stupid german money, also das dumme Geld aus Deutschland, noch bis kurz vor dem Untergang blindlings in den US-Häusermarkt investierte. Oder, als die Deutsche Bank vor zwanzig Jahren unbedingt den Versuch unternehmen musste, die Wall Street zu erobern, ein Ausflug, der bislang zwar ihre Investmentbanker reicher, die Aktionäre aber um viele Milliarden ärmer gemacht hat. Oder als dann auch noch bekannt wurde, dass ausgerechnet das größte deutsche Geldhaus stets der treueste Kreditgebern von Donald Trump war. Da war dem Institut jenseits des Atlantik wieder Hohn und Spott sicher.

Doch woran liegt es, dass Deutschland im Banking seit jeher in einer hinteren Liga spielt? Und ist das überhaupt schlimm?

Banken erfinden selten etwas Disruptives, etwas, das die Welt radikal verändert, und wenn sie es tun, richtet es oft eher Schaden an, wie jene Derivate, die einst die Finanzkrise ausgelöst haben. Ihre vornehmste Aufgabe ist es, als ökonomische Herzkammern Kapital in die Adern der Wirtschaft zu pumpen, aber auch Geld zu verwahren, Firmen mit Fremd- und Eigenkapital zu versorgen sowie Investoren zu finden, die Risiken übernehmen, an die andere sich nicht herantrauen. Für ein Land ist es kein Wert an sich, einen international erfolgreichen Finanzsektor zu haben; es ist nichts, was man um jeden Preis anstreben muss. Auch ausländische Banken können diese Aufgaben übernehmen.

Die Biontech-Gründer wären fast an der Finanzierung gescheitert

Es ist also kein Drama, dass der deutsche Finanzsektor nicht gerade ein Exportschlager ist. Aber: Es wäre durchaus wünschenswert, heimische Banken zu haben, die auch bereit sind, innovative oder riskante Geschäftsmodelle zu finanzieren. Die Biontech-Gründer zum Beispiel wären beinahe gescheitert, weil sie zu Anfang um ihre Finanzierung bangen mussten. Und noch viel wichtiger: Banken sollten stabil sein und niemals mehr von Steuerzahlern gerettet werden müssen, wie es in der Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren geschehen ist. Damals musste der Bund mehrere Banken - Landesbanken und die Commerzbank - mit vielen Milliarden Steuergeld stützen.

Auch die deutschen Geldhäuser sind heute sicherer. Aber sind sie dauerhaft überlebensfähig? Oder werden sie schleichend von stärkeren ausländischen Instituten und Neobanken verdrängt? Nimmt man die Aktienkurse von Commerzbank und Deutscher Bank als Gradmesser - Sparkassen und Volksbanken sind ja nicht börsennotiert -, dann haben die Anleger noch kein allzu großes Vertrauen in den Sanierungskurs zumindest der beiden größten privaten Institute. Das hat womöglich noch andere Gründe als jahrelanges Missmanagement. "Am deutschen Bankensystem sind die Reformen, die viele westliche Länder in den vergangenen Jahrzehnten vorgenommen haben, völlig vorbeigegangen", schrieben die Volkswirte der Deutschen Bank unlängst in einer Studie. Darin rechneten sie derart schonungslos mit dem Finanzplatz Deutschland und der hiesigen Finanzaufsicht ab, dass das Werk prompt von der Internetseite der Bank verschwand und Konzernchef Christian Sewing meinte, sich dafür bei der Aufsicht entschuldigen zu müssen.

Das Urteil der Volkswirte sprach vielen in der Finanzbranche aus der Seele, nicht nur mit Blick auf die laxe deutsche Aufsicht, "unter deren Augen in den letzten 15 Jahren derart viele Skandale stattgefunden haben, und bei denen die Aufsicht insgesamt ein so schlechtes, ja teilweise dysfunktionales Bild abgegeben hat". Auch "die starre Separierung in drei Säulen" aus kommunalen Sparkassen, genossenschaftlichen Volksbanken und Privatbanken habe Konsolidierung und Privatisierungen verhindert. Die Folge: "Ein beispielloser Bedeutungsverlust der deutschen Bankenbranche". Kein Wunder, dass sich immer mehr Kunden ausländischen Bank zuwenden würden, die mehr in Digitalisierung investiert hätten und oft schlichtweg die besseren Angebote machen würden.

Deutschland jedenfalls stünde mit dem hohen Anteil staatsnaher Banken international mittlerweile weitgehend allein auf weiter Flur, kritisierten die Analysten. "In vielen westlichen Ländern wie Frankreich, Spanien oder Italien wurden in den vergangenen Jahrzehnten starre Strukturen aufgebrochen, wurde privatisiert und konsolidiert, um Banken schlagkräftiger und fit für die wachsenden Ansprüche ihrer Kunden zu machen".

Tatsächlich hat es die Sparkassen-Lobby - bestens vernetzt vom Bund bis zu den Kommunen - in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, jeden Privatisierungsversuch von Sparkassen sowie Fusionen mit Genossenschaftsbanken oder Privatbanken zu verhindern. Spätestens seit auch die Commerzbank in der Finanzkrise teilverstaatlicht werden musste, ist die Debatte fast gänzlich verstummt. Und natürlich hat nicht geholfen, dass Deutsche Bank oder Commerzbank (zurecht) stets im Verdacht standen, von eigenem Versagen abzulenken zu wollen, wenn sie die Marktmacht der staatlich subventionierten Sparkassen kritisierten, sie sei schuld daran, dass die Privatbanken im Heimatmarkt nie ausreichend Fuß fassen konnten und daher gezwungen waren, ins Investmentbanking auszuweichen. Aber falsch ist die Debatte deshalb nicht.

Schließlich geht es nicht nur um die Frage, ob die deutschen Banken noch die Kundenwünsche erfüllen oder von ausländischen Instituten verdrängt werden. Mit Blick auf Europa stellte der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums einst sogar einen Zusammenhang fest zwischen der europäischen Wachstumsschwäche der vergangenen Jahre und dem Umstand, dass es Europa nach 2008 versäumt hat nach der Finanzkrise aufzuräumen, also die "durch das exorbitante Wachstum des Finanzsektors seit 1990 entstandenen Überkapazitäten abzubauen und die maroden Banken in ausreichendem Maße nachhaltig zu sanieren oder abzuwickeln". Die USA hätten deutlich mehr für die Konsolidierung und Sanierung ihrer Banken getan, stellten schärfere Eigenkapitalanforderungen und hätten ein höheres Wirtschaftswachstum aufzuweisen als Deutschland, ganz zu schweigen von den anderen Mitgliedern der Eurozone.

Der emeritierte Volkswirtschaftsprofessor und Bankenkritiker Martin Hellwig schrieb unlängst, allen voran Deutschland habe nach der Finanzkrise einen aktiven Part in der Bankenregulierung vermissen lassen. Deutschland habe nicht nur strengere Eigenkapitalregeln für Banken gebremst, bekannt unter dem Namen Basel III. Anders als die USA, Island, Großbritannien und die Schweiz habe Deutschland die Ursachen der Finanzkrise nie richtig aufgearbeitet, diese nie von einer unabhängigen Kommission untersuchen lassen, obwohl dies die schwarz-gelbe Bundesregierung 2009 im Koalitionsvertrag versprochen hatte. Das sei eine verpasste Chance gewesen, zu hinterfragen, ob das Drei-Säulen-System wirklich ein Garant für Stabilität sei, wie es die Sparkassen- und Volksbankenlobby gerne behaupten, oder im Gegenteil das deutsche Bankensystem eigentlich besonders anfällig gemacht habe. Hellwig sieht vor allem die herausgehobene Position der zum Sparkassensektor gehörenden staatlichen Landesbanken kritisch und den Umstand, dass es in Deutschland schlichtweg immer noch so viele Banken gebe.

Warum marode Banken nicht einfach abwickeln?

Aber ist nicht die sogenannte Gewährträgerhaftung für Sparkassen und Landesbanken 2005 ausgelaufen - jene berüchtigte Klausel, die vielen als Ursache für die einstigen Exzesse der Landesbanken gilt? Konkret ging es dabei um die Haftung der Bundesländer und Sparkassen, die als Eigentümer früher komplett für ihre Landesbank eingestanden haben. Letztere wiederum konnten sich dank dieser Garantie jahrelang als gute Schuldner günstig Kapital beschaffen und billige Kredite vergeben, ein Privileg, das die EU-Kommission 2001 abschaffte, fatalerweise aber mit Übergangsfrist bis 2005. In dieser Übergangszeit refinanzierten sich Landesbanken wie die WestLB oder die BayernLB mit vielen Milliarden und zumeist mit zehn Jahren Laufzeit, legten diese unter den Augen der Aufsicht und mangels ausreichender heimischer Kreditnachfrage am US-Häusermarkt an und infizierten sich mit jenen Ramschpapieren, die kurz darauf die Finanzkrise auslösten.

Bankenexperte Hellwig zweifelt, dass Deutschland daraus wirklich gelernt hat. Es mag inzwischen einen Mechanismus geben, einen Fahrplan, wie marode Banken abgewickelt werden können, ohne eine Finanzkrise auszulösen. Aber warum hätten es zum Beispiel die Länder Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sowie die Sparkassen 2019 nicht gewagt, ihre Landesbank NordLB, die sich mit Schiffskrediten verhoben hatte, einfach abzuwickeln? Stattdessen retteten sie die Bank mit enormen 3,6 Milliarden Euro vor der Pleite. Die politisch Verantwortlichen schreckten noch nicht mal davor zurück, die Öffentlichkeit erneut mit Horrorszenarien zu manipulieren, es könne andernfalls zu einer finanziellen Kernschmelze kommen. Hätte Brüssel nach der Finanzkrise nicht hart durchgegriffen und die Privatisierung oder im Fall der WestLB sogar die Abwicklung von Landesbanken anzuordnen. Dann wäre der Staatsanteil auf dem deutschen Bankenmarkt wohl immer noch riesig, ist sich Hellwig sicher.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5461558
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.