Höhere Zinsen:"Der Dispokredit ist der Einstieg in die Schuldenfalle"

Höhere Zinsen: Für die Banken sind Dispo-Kredite ein lukratives Geschäft, sagen Verbraucherschützer. Für die Kunden dagegen können sie der Einstieg in eine Schuldenspirale sein.

Für die Banken sind Dispo-Kredite ein lukratives Geschäft, sagen Verbraucherschützer. Für die Kunden dagegen können sie der Einstieg in eine Schuldenspirale sein.

(Foto: Sabine Gudath/Imago)

Alles wird teurer, jetzt heben die Banken auch noch die Dispozinsen an - oft auf mehr als zehn Prozent. Das trifft diejenigen, die ohnehin nichts haben. Verbraucherschützer und Politiker fordern deshalb jetzt einen Zinsdeckel. Wie der aussehen soll.

Von Harald Freiberger

Wenn die Menschen zu Inge Brümmer kommen, haben sie einen langen Weg hinter sich - einen Weg, der gepflastert ist mit Kreditverträgen und Kreditraten, mit Zahlungserinnerungen und Mahnungen. Inge Brümmer leitet die Schuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt und des DGB in München, und sie fürchtet, dass bald noch mehr Menschen zu ihr kommen. "Die hohen Preise für Energie und Lebensmittel führen dazu, dass Leute, die knapp kalkulieren müssen, mit dem Konto noch tiefer ins Minus geraten", sagt sie.

Wer zu ihr kommt, hat oft eine Kaskade an Krediten durchlaufen: Erst gewährt die Bank einen Dispokredit, in der Regel das Dreifache des monatlichen Nettoeinkommens. Die Zinsen dafür sind bei vielen Instituten extrem hoch, zehn Prozent und mehr. Reicht der Disporahmen nicht, wird ein Überziehungskredit fällig, der noch ein paar Prozent mehr kostet. Und dann bieten einige Institute als scheinbare Lösung eine Umschuldung auf einen Ratenkredit an. Der sieht zwar günstiger aus, kann mit einer teuren Restschuldversicherung auf Dauer aber richtig ins Geld gehen. Irgendwann sind die Leute überschuldet, ohne Aussicht, mit ihren Einkünften je wieder von den Schulden herunterkommen.

"Der Ratenkredit ist es oft, der das Fass zum Überlaufen bringt, und der Dispokredit ist der Einstieg in die Schuldenfalle", sagt Schuldnerberaterin Brümmer. Auf den ersten Blick scheine er eine gute Lösung zu sein, doch wegen der hohen Zinsen hätten viele Menschen Probleme, ihn zurückzuzahlen. Wenn zusätzlich zu den Preisen für Energie und Lebensmittel jetzt auch noch die Zinsen für Dispo- und Überziehungskredite stiegen, könne sie sich ausmalen, dass die Zahl der Schuldner künftig nicht geringer werde.

Die vorher schon unmäßig hohen Zinsen werden jetzt noch höher

Banken und Sparkassen in Deutschland heben die Zinsen für Dispo und Überziehung gerade deutlich an. Sie folgen damit dem allgemeinen Trend, nachdem die Europäische Zentralbank die Leitzinsen erhöht hat. Nach einer Auswertung des Finanzportals biallo.de haben zuletzt 264 von 1167 untersuchten Finanzinstituten den Dispozins angehoben. Der durchschnittliche Dispozins liegt jetzt bei 10,07 Prozent; vor einem Jahr waren es 9,99 Prozent. Der Zins für die Überziehung des Disporahmens beträgt 12,39 Prozent, nach 12,29 Prozent vor einem Jahr.

Der Anstieg wirkt nicht dramatisch. "Aber man muss bedenken, dass der Durchschnittssatz angesichts der Niedrigzinsen vorher schon sehr hoch und nicht zu rechtfertigen war", sagt Horst Biallo, Gründer des Finanzportals. Dass Banken die Lage nun ausnutzten, um die vorher schon unmäßig hohen Zinsen noch höher zu setzen, ist für ihn "ein starkes Stück".

Verbraucherschützer erwarten, dass dadurch viele Menschen in finanzielle Not kommen. "Gerade in der jetzigen Situation mit den enorm steigenden Preisen sind noch höhere Dispozinsen sehr problematisch", sagt Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen. Sie geht davon aus, dass demnächst immer mehr Bankkunden dazu gezwungen sein werden, auf den Dispo zurückzugreifen. "Es trifft nicht nur Arme, sondern zunehmend breitere Schichten der Bevölkerung", sagt sie. Für die Verbraucherschützerin steht deshalb fest: "Ein gesetzlicher Dispo-Zinsdeckel muss schnell wieder auf die Agenda."

Die Zinsen könnten bei knapp zehn Prozent gedeckelt werden

Vorstöße in diese Richtung gab in den vergangenen Jahren schon, sie kamen vor allem von den Grünen, auch aus den Reihen der SPD gab es Zustimmung. In der großen Koalition war die CDU gegen den Vorstoß, jetzt in der Ampelregierung gibt sich die FDP reserviert. "Grundsätzlich halten wir Grünen es für notwendig, Dispozinsen gesetzlich zu deckeln", sagt der Bundestagsabgeordnete und Grünen-Finanzpolitiker Stefan Schmidt. Laut Erhebungen des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW haben fast 40 Prozent der Menschen in Deutschland keine nennenswerten Rücklagen, bei der Schuldenauskunft Schufa stieg die Zahl von Negativmeldungen zuletzt im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent.

"Menschen geraten also zunehmend in Zahlungsschwierigkeiten", sagt Schmidt. Ein Zinsdeckel solle sie vor ausufernden Kosten schützen. Schmidt schlägt vor, dass das Bundesfinanzministerium eine maximale Zinshöhe ermittelt. "Ich kann mir vorstellen, dass ein Zinssatz von sechs bis sieben Prozentpunkten über dem aktuellen Referenzzinssatz diese Kriterien erfüllt und sachgerecht wäre", sagt er.

Ein solcher Referenzzinssatz könnte der Euribor sein, der derzeit für eine Laufzeit von einem Jahr bei etwa 2,7 Prozent liegt. Der Dispozins wäre demnach bei knapp zehn Prozent gedeckelt. Die Auswertung von biallo.de zeigt, dass auch große Institute wie die Deutsche Bank mit 11,15 Prozent und die Targobank mit 13,12 Prozent derzeit deutlich mehr verlangen. Spitzenreiter ist die VR-Bank Landsberg-Ammersee mit 14,29 Prozent. Überzieht eine Kundin oder ein Kunde bei ihr den Disporahmen, werden 19,29 Prozent Überziehungszinsen fällig.

Manche Banken kalkulieren bewusst mit den Einnahmen

Gerade Banken, die vorher schon teuer waren, haben zuletzt noch mal kräftig zugelangt: Die VR-Bank Landsberg-Ammersee erhöhte den Dispozins um 1,55 Prozentpunkte, die Volksbank Heimbach um 1,64 Prozentpunkte. Spitzenreiter bei den Erhöhungen sind die Volksbank Delitzsch und die VR-Bank Weimar: Sie haben jeweils rund 60 Prozent draufgeschlagen und berechnen jetzt 7,95 Prozent beziehungsweise 11,39 Prozent für den Dispo. "Auf lange Sicht ist es so, dass teure Anbieter immer diese Politik verfolgen", sagt Finanzportal-Gründer Horst Biallo. Manche Institute kalkulieren bewusst mit den Einnahmen, es gehört zu ihrem Geschäftsmodell.

Schuldnerberaterin Inge Brümmer stellt immer wieder fest, dass Banken die Grenzen bei Dispo- und Ratenkrediten systematisch ausreizen. Für so manches überregional tätige Kreditinstitut sei ein solches Geschäftsgebaren üblich. Ein typischer Fall aus ihrer Praxis: Ein Kunde hat 2020 bei einer Bank einen Ratenkredit mit einer Restschuld von 24 400 Euro laufen, der Zinssatz beträgt 8,01 Prozent. Da er zusätzlich seinen Dispokredit ausgereizt hat, schlägt die Bank ihm eine Umschuldung vor: Er bekommt jetzt einen Kredit über 76 300 Euro zum Zinssatz von 12,27 Prozent. Die monatliche Rate beträgt 908,10 Euro. Der Mann kann das nicht leisten, darauf geht er zur Schuldnerberatung.

"Es ist eine Kreditschraube in die Höhe ohne Ende", sagt Inge Brümmer. Sei sonst kein Vermögen vorhanden, bleibe in einem solchen Fall oft nur der Ausweg, die Zahlungen einzustellen, das Konto zu kündigen und sich ein Basiskonto bei einer anderen Bank zu suchen, zu dem jedes Institut gesetzlich verpflichtet ist. Mit der Bank strebt sie einen Vergleich an. Willigt diese nicht ein, kommt es zur Privatinsolvenz. "Offensichtlich kalkulieren Banken solche Ausfälle mit ein, es ist für sie trotzdem ein lukratives Geschäft - zum Schaden der Kunden", sagt Brümmer.

Am Anfang von Verschuldungskarrieren stehen häufig die überzogenen Zinsen für den Dispo. Sascha Straub von der Verbraucherzentrale Bayern sieht in ihnen einen "brandgefährlichen Überschuldungsbeschleuniger". Es sei der am leichtesten verfügbare Kredit und gleichzeitig der schlechteste. Wer nicht aufpasse, sei schnell mit 10 000 Euro im Minus, bei Zinsen von 15 Prozent fielen dann 1500 Euro im Jahr an. Straub erwartet, dass "die Rallye an Zinserhöhungen erst noch bevorsteht". Auch deshalb ist für ihn die Forderung nach einem Zinsdeckel "wichtiger denn je". Die Politik müsse das Projekt jetzt vorantreiben, um noch mehr soziale Härten in den kommenden Monaten zu vermeiden.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Deutsche Skatbank habe den Dispozins auf 7,51 Prozent angehoben. Das war falsch. Korrekt sind 5,51 Prozent.

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