Süddeutsche Zeitung

Banken:Die Zahl, die den Niedergang der deutschen Großbanken verdeutlicht

  • Die Deutsche Bank muss heftige Kursverluste hinnehmen, die Commerzbank will fast 10 000 Jobs abbauen. Deutschlands Großbanken geht es miserabel.
  • Es gibt eine Zahl, die die dramatische Situation dokumentiert: das sogenannte Kurs-Buchwert-Verhältnis.
  • Normalerweise sollte ein Unternehmen an der Börse so viel wert sein wie sein Vermögen. Doch diese Marke unterschreiten die Banken deutlich.

Von Harald Freiberger

Die beiden größten deutschen Kreditinstitute durchleben gerade schwere Zeiten: Die Commerzbank hat ein Sparprogramm verkündet, das den Abbau von fast 10 000 Stellen vorsieht; bei der Deutschen Bank droht wegen hoher Strafen in den USA das Kapital knapp zu werden. Die Folge sind immense Kursverluste an der Börse. Dabei wird immer wieder eine Kennziffer genannt, die den ganzen Jammer dokumentiert: das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV).

Der Ausdruck klingt technisch, doch die Details haben es in sich: Sowohl Deutsche Bank als auch Commerzbank kommen beim KBV gerade noch auf einen Wert von rund 0,25. Das heißt, dass sie an der Börse nur mit einem Viertel dessen gehandelt werden, was an Vermögen in ihrer Bilanz steht. Man könnte auch sagen: Wer alle Aktien beider Institute aufkauft und danach ihre Vermögenswerte verkauft, würde theoretisch seinen Einsatz vervierfachen.

Der Buchwert entspricht der Summe der Vermögenswerte, die ein Unternehmen zum Bilanzstichtag ausweist. Bei einem Industrieunternehmen zählen dazu Fabrikanlagen, Vorräte wie Stahl und Öl oder auch die Flugzeuge einer Airline. Das Vermögen einer Bank besteht vor allem aus den Krediten, die sie verliehen hat, und aus den Wertpapieren, in die sie mit eigenem Geld investiert hat. Davon abgezogen werden die Forderungen Dritter, also die Schulden der Bank. Hinzu kommen materielle Vermögenswerte wie Häuser oder Grundstücke. Alles zusammen ergibt den Buchwert des Unternehmens. Es entspricht zugleich dem Eigenkapital, also dem Geld, das die Eigentümer dem Unternehmen gegeben haben.

Das KBV setzt die Bewertung des Unternehmens an der Börse ins Verhältnis zu ihrem bilanziellen Buchwert. Mathematisch gesprochen: Aktienkurs mal Anzahl der Aktien (die Börsenbewertung), geteilt durch den Buchwert (das Vermögen). Normalerweise sollte ein Unternehmen an der Börse so viel wert sein wie sein Vermögen. Das entspräche einem KBV von 1,0. Rutscht die Kennziffer unter diese magische Marke, liegt mit dem Unternehmen etwas im Argen. Die Anleger gehen dann davon aus, dass es weniger wert ist, als in seiner Bilanz ausgewiesen. Bei einem KBV von 0,25 gehen sie davon aus, dass es nur noch ein Viertel dessen wert ist - ein Wert, der höchste Alarmstufe signalisiert.

Konkret am Beispiel der Deutschen Bank: Sie hat im letzten Geschäftsbericht ein Eigenkapital von 62,7 Milliarden Euro ausgewiesen, was dem Buchwert entspricht. Der Börsenwert beträgt beim gegenwärtigen Aktienkurs von rund 11,80 Euro etwa 17 Milliarden Euro. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis liegt damit bei 0,27.

Wie kann es zu einem solchen Verfall kommen? "Die entscheidende Frage bei der Deutschen Bank ist, wie werthaltig die Vermögensseite noch ist", sagt Michael Seufert, Analyst bei der Nord-LB. Problematisch sind vor allem Derivate, also abgeleitete Finanzprodukte, die mit einem Wert von 515 Milliarden Euro in der letzten Bilanz stehen. Zuletzt kamen Vermutungen auf, diese Zahl könnte zu hoch angesetzt sein, da sich die Lage an den Finanzmärkten im laufenden Jahr deutlich verschlechtert hat, was auch den Wert von Derivaten drückt. "Das liegt offenbar vielen Analysten schwer im Magen, auch weil die Derivate nicht einsehbar sind wie bei einer Blackbox", sagt Analyst Seufert.

Das andere große Risiko für den Buchwert der Deutschen Bank sind die ungeklärten Rechtsfragen. Gerüchte, dass die US-Justiz bis zu 12,5 Milliarden Euro für die Verstrickung des Instituts in die Finanzkrise verlangen könnte, haben den Kurs stark belastet. Zuletzt hat sich die Lage etwas entspannt, nun sollen es womöglich nur gut vier Milliarden Euro sein. In jedem Fall drückt die Strafe sofort auch den Buchwert, weil sie vom Eigenkapital, also dem Vermögen der Bank, bezahlt werden muss.

"Das Vermögen der Bank ist eben nicht in Gold angelegt"

Ein anderer Faktor für ein niedriges KBV spielt vor allem bei der Commerzbank eine Rolle: die erwartbar schlechte Entwicklung des Geschäfts. Vorstandschef Martin Zielke gab vor wenigen Tagen an, dass das Eigenkapital bis 2020 mit lediglich sechs Prozent verzinst werde. (Zum Vergleich: Bei der Deutschen Bank gab es einmal eine Zeit, da man 25 Prozent anstrebte.) Da die Eigenkapitalkosten aber bei rund acht Prozent liegen, sinkt der Wert des Unternehmens Jahr für Jahr. Analysten kalkulieren das in ihre Schätzungen ein, deshalb sinkt der Kurs und damit das KBV. Bei prosperierenden Unternehmen sprechen Experten von "Kursfantasie", man erwartet, dass die Gewinne künftig steigen - bei den deutschen Banken ist das Gegenteil der Fall.

Das Problem mit dem Buchwert von Banken ist, dass die Vermögenswerte stark schwanken: Kredite an Firmen können ausfallen und müssen dann abgeschrieben werden, Wertpapiere sind von der Börsenentwicklung abhängig. "Das Vermögen der Bank ist eben nicht in Gold angelegt", sagt Analyst Seufert. "Dann wäre die Bewertung einfach, es müssten mindestens 100 Prozent sein."

Ein schwacher Trost für die deutschen Banken dürfte es sein, dass der gesamte Bankensektor in Europa in Schwierigkeiten steckt. Nur in Skandinavien gibt es derzeit Großbanken, die beim KBV einen Wert über 1,0 erreichen, alle anderen sind an der Börse weniger wert als in der Bilanz. Auf einen so schlechten Wert wie Deutsche und Commerzbank kommt aber nur ein anderes Institut: die italienische Unicredit.

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SZ vom 05.10.2016/jps
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