Wenn Politiker oder hohe Regierungsbeamte im Zuge einer Affäre zurücktreten müssen, dann oft nicht wegen ihrer vermeintlichen Missetat, sondern weil sie sich bei der Verteidigung verheddert und an einer Stelle die Unwahrheit gesagt haben. Insofern war es für die Staatssekretäre Florian Toncar und Jörg Kukies eine nicht ungefährliche Entwicklung, dass im Übernahmekampf um die Commerzbank diese Woche erstmals das Wort „Lüge“ fiel. Zwar mochte keiner den Begriff offiziell in den Mund nehmen, in Hintergrundgesprächen mit Beteiligten hieß es jedoch, Toncar oder Kukies hätten in dem Fall entweder dilettantisch agiert oder die Öffentlichkeit womöglich nicht korrekt informiert. Beide Betroffenen wollten sich nicht dazu äußern.
Die Vorwürfe gehen zurück auf eine Panne, die der Bundesregierung jüngst beim Versuch unterlaufen war, ihre Beteiligung an der Commerzbank weiter abzubauen. Ziel war, ein Paket im Volumen von 4,5 Prozent zu veräußern und die Aktien unter interessierten Anlegern breit zu streuen.
Tatsächlich nahm die Regierung durch den Verkauf gut 700 Millionen Euro ein – allerdings mit einem gravierenden Schönheitsfehler: Die Papiere gingen entgegen der Planung keineswegs an mehrere Investoren. Sie wanderten zum Erstaunen von Finanzstaatssekretär Toncar und Kanzlerberater Kukies vielmehr en bloc ins Depot der Mailänder Großbank Unicredit, die überdies mitteilte, sie halte nun neun Prozent an dem Frankfurter Geldhaus. Mittlerweile haben die Italiener ihren Anteil sogar auf rund 21 Prozent aufgestockt, womit auch eine mögliche vollständige Übernahme ins Blickfeld rückt – gegen den Willen von Commerzbank-Spitze und Regierung, die nur noch zwölf Prozent der Aktien hält. Kanzler Olaf Scholz (SPD) spricht daher von einer „unfreundlichen Attacke“.
Unicredit erhielt womöglich einen Hinweis
Die Frage ist nun: Wie konnte das passieren? Wer in der Regierung hat da geschlafen oder nicht mit offenen Karten gespielt?
Offiziell kann man sich bisher weder im Finanzministerium noch im Kanzleramt erklären, warum die Aktien-Auktion so lief, wie sie lief. Auch habe es im Vorfeld keine Gespräche mit Unicredit-Vertretern gegeben, aus denen man hätte schließen müssen, dass diese Interesse am Kauf der zweitgrößten deutschen Geschäftsbank hätten.
Aber war man tatsächlich so ahnungslos? Immer klarer wird zumindest, dass Unicredit wohl gar nicht selbst auf die Idee kam, auf das 4,5-Prozent-Paket zu bieten, sondern einen Hinweis erhielt – womöglich von der US-Investmentbank J.P. Morgan, die die Bundesregierung bei der Commerzbank-Privatisierung berät. Ob das so war, und ob, wenn ja, J.P. Morgan angewiesen wurde oder aus eigenem Impuls handelte, wird derzeit noch untersucht.
Auch die Bundesregierung selbst unterhielt im Vorfeld der Auktion am 10. September engere Verbindungen zum angeblichen Überraschungsgast Unicredit als bisher bekannt. Das geht aus einem Schreiben Toncars an den CDU-Bundestagsabgeordneten Matthias Hauer hervor. Demnach sprachen unter anderem er selbst wie auch sein Kanzleramtskollege Kukies teils mehrfach mit Unicredit-Vertretern.
Für Versuche, den Verkauf zu stoppen, war es zu spät
Fragen wirft aus Sicht der Opposition vor allem ein Telefonat auf, das Toncar am Auktionstag, dem 10. September, um 20.13 Uhr mit der Deutschland-Chefin der Unicredit, Marion Höllinger, führte. In dem kurzen Gespräch informierte die Managerin den Staatssekretär nach SZ-Informationen darüber, dass ihr Haus bereits mit 4,5 Prozent an der Commerzbank beteiligt sei und sich nun auch um die weiteren 4,5 Prozent des Bundes bemühe. Am späteren Abend erhielt der Konzern den Zuschlag, weil er in der Auktion das höchste Angebot abgegeben hatte. Versuche der Regierung, den Verkauf noch zu stoppen, gab es dem Vernehmen nach nicht mehr, weil dafür die rechtliche Grundlage fehlte.
Höllinger hatte Toncar bereits am 4. September kontaktiert, um zu eruieren, wie der weitere Prozess der Commerzbank-Privatisierung aussehen könnte. Der Staatssekretär soll die Managerin jedoch an die Finanzagentur des Bundes verwiesen haben, die für den technischen Ablauf von Aktienverkäufen verantwortlich ist.
Staatssekretär Kukies war dem Schreiben des Finanzministeriums zufolge Mitte Mai auf einer Konferenz in Paris. Dort traf er demzufolge den Unicredit-Verwaltungsratspräsidenten Pier Carlo Padoan. Laut Gesprächsprotokoll spielte ein mögliches Engagement der Italiener bei der Commerzbank dabei aber keine Rolle. Auch war Kukies weder an der Grundsatzentscheidung über den Verkauf des Aktienpakets noch an der Organisation der Auktion beteiligt.
Die CDU sagt, der Regierung sei der Verkaufsprozess „völlig entglitten“
Kontakte der Regierung – allerdings eher zu volkswirtschaftlichen Themen – gab es auch zu Unicredit-Chefökonom Erik Nielsen. Seine Gesprächspartner waren den Angaben zufolge Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) und Außenamtsstaatssekretär Thomas Bagger. Kukies wiederum nahm Ende Juni dieses Jahres an einer Konferenz teil, bei der auch Unicredit-Chef Andrea Orcel zugegen war. Es fand jedoch, so heißt es in Toncars Brief, „kein bilaterales Gespräch statt“.
CDU-Mann Hauer sprach von einem „regen Austausch“ zwischen Regierung und Unicredit. „Dass die Bundesregierung die Commerzbank trotz jahrelanger Vorbereitungen des Verkaufs der Bundesanteile und im Wissen über ein Interesse der Unicredit leichtfertig einer möglichen feindlichen Übernahme ausgeliefert hat, wirft viele weitere Fragen auf und kein gutes Licht auf das Agieren der Bundesregierung“, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. „Die Commerzbank war mit ihrer Strategie bislang auf einem guten Weg – bis die Bundesregierung einen Verkaufsprozess gestartet hat, der ihr völlig entglitten ist.“
Dass die Sache mindestens unglücklich gelaufen ist, bestreitet derweil niemand mehr. Mit der Beteiligung von Unicredit – einer der größten Banken Europas – an der Auktion hätten kleinere Investoren keine Chance auf Commerzbank-Aktien mehr gehabt, hieß es an einer Stelle. „Wenn man die Heringe und den Hai in denselben Teich setzt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn der Hai die Heringe frisst.“