Deutsche -Bank-ChefWarum der Fall „Santorini“ für Christian Sewing gefährlich werden könnte

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Unter Druck: Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing.
Unter Druck: Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing. (Foto: Arne Dedert / dpa)
  • Fünf weitere ehemalige Deutsche-Bank-Manager klagen wegen des umstrittenen „Santorini"-Deals aus der Finanzkrise gegen das Geldhaus und fordern Schadenersatz.
  • Die Kläger werfen der Bank vor, sie bei der hausinternen Aufarbeitung 2014 ungerechtfertigt belastet zu haben, was zu Verurteilungen in Italien geführt haben soll.
  • Vorstandschef Christian Sewing steht unter Beschuss, da er 2014 die Konzernrevision leitete, die den belastenden internen Bericht über den Deal erstellte. Die Deutsche Bank weist die Vorwürfe zurück und hält die Klagen allesamt für unbegründet.
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Die Vergangenheit holt die Deutsche Bank schon wieder ein: In London klagen jetzt weitere ehemalige Top-Banker gegen das größte deutsche Geldhaus. Es geht um umstrittene Deals aus der Finanzkrise.

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Bis heute hält sich in der Finanzwelt ein Bonmot: Die Deutsche Bank sei in Wahrheit eine gigantische Rechtsabteilung mit angeschlossenem Bankgeschäft. Tatsächlich gehören Klagen dort bis heute zum Alltag: Mal fühlen sich Kunden betrogen, mal Aktionäre schlecht informiert, mal streiten ehemalige Mitarbeiter um Boni. Manche Verfahren wirken abenteuerlich, viele aber sind gut begründet, und enden mit teuren Vergleichen oder vor Gericht, wie einst die Klage der Erben des Medienmoguls Leo Kirch, die die Deutsche Bank 900 Millionen Euro kostete. Nun stehen die nächsten Klagen ins Haus, die nicht nur teuer werden könnten, sondern auch Vorstandschef Christian Sewing belasten könnten, für den es im Geschäftsalltag derzeit eigentlich so gut läuft wie seit vielen Jahren nicht. Der Aktienkurs erklomm zuletzt immer neue Höchsttände, zuletzt verbuchte man sogar den höchsten Gewinn seit 2007.

Doch seit Wochen kommen immer mehr Details zu einem umstrittenen Deal aus der Finanzkrise ans Licht. An diesem Mittwoch gingen dazu weitere Schadenersatzklagen ein. 2008 half die Deutsche Bank der angeschlagenen italienischen Bank Monte dei Paschi di Siena (MPS), ein Bilanzloch zu stopfen. Über sogenannte „enhanced-repo“-Geschäfte nutzten beide Seiten Staatsanleihen und Derivate, um das Ausmaß der Verluste bei MPS zu verschleiern. Grundsätzlich verboten war das nicht, aber intransparent. Sewing war damals bereits in der Risikoabteilung der Deutschen Bank tätig, an diesem Deal aber nicht beteiligt. Erst bei der Aufarbeitung der Transaktion wenige Jahre später, spielte er eine zentrale Rolle.

Das Geschäft, das den Projektnamen „Santorini“ trug, war bilanziell so gestaltet, dass die MPS ihre Verluste verdecken konnte und die Deutsche Bank dabei mit wenig Eigenkapital auskam - was rechnerisch die Rendite der Deutschen Bank erhöhte. Es waren buchhalterische Taschenspielertricks, die zumindest nach Bilanzfälschung rochen. Während in Deutschland offenbar nie dazu ermittelt wurde, verurteilte 2019 ein italienisches Gericht mehrere daran beteiligte Manager von MPS und der Deutschen Bank diesbezüglich wegen Bilanzmanipulation zu jeweils mehreren Jahren Gefängnis. Ein außergewöhnlicher Vorfall. Das Urteil hielt jedoch nicht stand. 2022 sprach ein Berufungsgericht in Mailand die Angeklagten frei, der oberste Gerichtshof bestätigte den Freispruch.

Mit dem strafrechtlichen Schlussstrich war die Sache nicht erledigt. Im Gegenteil. Auf Basis des Freispruchs gehen die betroffenen sechs ehemaligen Deutsche-Bank-Mitarbeiter nun gegen die Deutsche Bank vor. Sie werfen dem Geldhaus vor, sie in dieser Sache ungerechtfertigt belastet zu haben und fordern Schadenersatz für die persönlichen und beruflichen Folgen des Strafverfahrens. Ein Ex-Manager aus dem „Santorini-Team“ reichte bereits im zweiten Quartal 2024 vor dem Landgericht Frankfurt Klage gegen die Deutsche Bank über enorme 152 Millionen Euro ein. Er begründet dies mit Karriereschäden infolge der ersten Verurteilung in Italien. Für Dezember ist der erste Verhandlungstag angesetzt.

Am Mittwoch hat auch Michele Faissola, einer der einflussreichsten Manager aus jener Zeit, Klage eingereicht sowie vier weitere Mitglieder des früheren „Santorini-Teams“. Faissola gehörte zur „Anshus Army“, den Investmentbankern des früheren Co-Vorstandschefs Anshu Jain, und war federführend für den MPS-Deal zuständig. Zwar stieg er noch 2012 in den Vorstand auf, musste die Deutsche Bank jedoch 2016 auf Druck der Finanzaufsicht wegen anderer Vorwürfe wie der Manipulation des Zinssatzes Libor verlassen. Wegen des „Santorini-Deals“ drohten ihm in Italien zeitweise vier Jahre und acht Monate Gefängnis. Bei der Deutschen Bank soll er bis heute immer noch Einfluss haben: Über Jahren beriet er als Vermögensverwalter die katarische Herrscherfamilie, die auch Großaktionäre der Deutschen Bank sind.

Er hat nun mit seinen Ex-Kollegen vor dem High Court in London Klage eingereicht – offenbar in der Hoffnung auf größere Erfolgschancen als in Frankfurt. Um Geld geht es ihnen dem Vernehmen nach nur in zweiter Linie, es ginge um die Wiederherstellung ihres Rufs, Wiedergutmachung. Vergleichsverhandlungen seien im September gescheitert, heißt es in Finanzkreisen. „Unsere umfassende Untersuchung der Fakten hat uns zu der Überzeugung geführt, dass die Bank und ihr oberstes Management in sehr schwerwiegendes Fehlverhalten verwickelt waren“, behauptet die Kanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan, die die Klage gegen die Deutsche Bank eingereicht hat. Weitere Details wurden noch nicht bekannt, etwa zur Höhe der Klagesumme. Die Kläger wollten sich nicht dazu äußern, aber in rund 90 Tagen werden die Klageschriften dazu öffentlich sein. Die Deutsche Bank teilte mit, wie im Geschäftsbericht erwähnt, sei bekannt, dass fünf Personen angedroht hätten, Ansprüche vor englischen Gerichten geltend zu machen. „Die Bank hält alle diese Klagen für unbegründet und wird sich entschlossen dagegen verteidigen.“

Sewings Abteilung untersuchte intern den Italien-Deal

Warum auch Sewing persönlich unter Beschuss steht, liegt an seiner Rolle bei der damaligen hausinternen Aufarbeitung der Deals. Er kommt ins Spiel, weil er 2014 die Konzernrevision leitete, eine Abteilung, die schlampige Arbeitsabläufe aufspüren soll. Im Auftrag des damaligen Finanzvorstands Stefan Krause und des früheren Rechtsvorstand Stephan Leithner untersuchte Sewings Abteilung intern den Italien-Deal. Das Fazit: Die beteiligten Banker hätten Risiko- und Buchhaltungsabteilungen unzureichend und selektiv informiert; das habe zur fehlerhaften Bilanzierung geführt. So steht es im internen Revisionsbericht von 2014, der der SZ vorliegt. Nachdem die Deutsche Bank die Erkenntnisse des Berichts zudem an die italienische Aufsicht weitergab, kam es zur Anklage und Verurteilung in Italien.

Angestoßen worden sein soll die hausinterne Untersuchung durch den zunehmenden Druck von Aufsichtsbehörden wie der US-Börsenaufsicht SEC, der Fed und schließlich auch der Bafin. Diese forderten von international tätigen Banken mehr Transparenz und wollten genau wissen, welche Bruttorisiken in deren Bilanzen stehen. Zuvor hatten die weltweiten Bilanzregulierer beschlossen, ab 2014 die Verrechnung von Kreditgeschäften nach dem Muster des Santorini-Deals vollständig zu untersagen. Die meisten Banken reagierten frühzeitig und verzichteten auf solche Repo-Geschäfte.

Auch die Deutsche Bank hätte ab 2011 drei Jahre Zeit gehabt, sich auf die neuen Regeln einzustellen. Stattdessen wählte sie 2013 einen Umweg: Der Santorini-Deal – wie auch zahlreiche andere Repo-Geschäfte – wurde in der Bilanz von einem Kredit- in ein Derivategeschäft umklassifiziert. In dieser Kategorie blieb das Verrechnen erlaubt. Allerdings schlug die Bank damit international einen Sonderweg ein und musste gegenüber den Aufsehern eine nachvollziehbare Begründung liefern. 2013 erklärt sie, erst jetzt erkannt zu haben, dass das „Santorini-Team“ dem Vorstand bereits 2008 verschwiegen habe, wie der Deal eigentlich strukturiert war.

Der damalige Bankvorstand habe also eigene Fehler bei der Bilanzierung von Repo-Geschäften vertuschen wollen, so der zentrale Vorwurf des Santorini-Teams: Dabei habe sie exemplarisch die Verantwortung auf das Santorini-Team abgewälzt, das die Führung angeblich nicht korrekt über die Struktur des Geschäfts informiert habe, wodurch die fehlerhafte Bilanzierung entstanden sei. Das Santorini-Team habe den Vorstand allerdings sehr wohl bereits 2008 korrekt und hinreichend informiert.

Laut dem Magazin Spiegel behauptet der Kläger im Frankfurter Verfahren in seiner Klageschrift sogar, das damalige Topmanagement habe angesichts „aggressiver Prüfung ihrer Bilanz durch Aufsichtsbehörden“ seine „finanzielle Integrität“ gefährdet gesehen. Deshalb habe man zu „verzweifelten und kriminellen Maßnahmen“ gegriffen, um das Überleben der Bank zu sichern und von eigenem Versagen abzulenken.

Für diese harten Vorwürfe gibt es bislang keine Belege. Aus zahlreichen Dokumenten, die der SZ vorliegen, geht allerdings hervor, dass die Deutsche Bank 2014 tatsächlich wegen der Bilanzierungsfrage im Fokus von US-Finanzaufsicht und der Bafin stand. Zudem entlastete eine spätere interne Untersuchung die Männer tatsächlich Jahre später. Vor allem aber ging das Berufungsgericht in Italien 2022 hart mit der Deutschen Bank ins Gericht: der Revisionsbericht, der wesentlich zur Verurteilung in erster Instanz geführt habe, habe auf einer „fehlerhaften“ Untersuchung basiert - eine Klatsche für Christian Sewing.

Was ist denn nun mit den Gefängnisstrafen in erster Instanz?

Die Deutsche Bank hält dagegen. Die von Sewing verantwortete Untersuchung sei gründlich, ordnungsgemäß und unabhängig gewesen; die Führungskräfte hätten ihre Verantwortlichkeiten erfüllt. Die Vorwürfe der Kläger beruhten auf unzutreffenden Behauptungen, gegen die man sich auch weiterhin detailliert verteidigen werde. „Wir sind zuversichtlich, dass das Gericht die Klage abweisen wird“, heißt es.  Aufsichtsratschef Alexander Wynaendts betonte, die Fakten dieser schon lange andauernden Angelegenheit seien seit Jahren bekannt. „Der Aufsichtsrat unterstützt den Vorstand dabei, die Bank in diesem Rechtsstreit zu verteidigen.“ Die früheren Vorstände Leithner und Krause wollten sich auf Anfrage nicht äußern.

Die Bank erklärte zudem, sie habe gegenüber der Aufsicht in Italien nie von strafrechtlichem Fehlverhalten der involvierten Personen gesprochen. „Im Gegenteil: Wir haben gegenüber dem Gericht klar gesagt, dass aus unserer Sicht kein strafbares Verhalten vorlag.“ Diese Aussagen und die Unterstützung der Bank hätten maßgeblich zu den Freisprüchen in zweiter Instanz beigetragen.

Was aber ist mit den Gefängnisstrafen in erster Instanz? Dokumente, die der SZ vorliegen, legen nahe, dass die Bank die Mitarbeiter gegenüber der Aufsicht sehr wohl belastet hat. Wann und wie genau sie dem Gericht hingegen auch entlastendes Material vorgelegt haben will, bleibt offen; entsprechende Belege hat die Bank auf Anfrage der SZ bisher nicht vorgelegt.

Weitere Details werfen Fragen auf. So stieg ein Mitglied des „Santorini-Teams“, das im Bericht ebenfalls belastet wurde, später innerhalb der Bank auf und bekleidet bis heute eine hohe Führungsposition. Wenn der Bericht korrekt war - wie kann es dann sein, dass eine Führungskraft trotz möglichen Fehlverhaltens Karriere machte, während andere die Konsequenz tragen mussten? Braucht man nur die richtigen Kontakte? Oder gibt es andere Gründe? „Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage“, teilte ein Sprecher mit. Die Bank verfüge über ordnungsgemäße disziplinarische Prozesse und unabhängige Kontrollen, um faire Behandlung sicherzustellen. Der betreffende Mitarbeiter reagierte nicht auf mehrere Anfragen der SZ. Wie sich das alles verhält, dürfte nun bald vor Gericht geklärt werden.

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