Süddeutsche Zeitung

Balsamico:Der wohl internationalste Essig

Die Italiener wollten das Wort "Balsamico" für sich reservieren. Klar, man könnte in Deutschland stattdessen "Balsamessig" sagen. Aber das klingt so, wie der badische Essig ist: irgendwie naturtrüb.

Von Wolfgang Janisch

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Globalisierung, dass man einerseits Spezialitäten vom anderen Ende der Welt auf den Tisch bekommt, andererseits aber das Bedürfnis wächst, deren Herkunft präzise zuordnen zu können. Ganz so, als sei die Butter vertrauenswürdiger, wenn man sie als "Beurre de Bresse" verorten kann, oder das Obst als "Pöllauer Hirschbirne" - obwohl man weder den französischen Landwirt noch den steirischen Obstbauern persönlich kennt. Regionale Zuordnungen spielen als vertrauensbildende Maßnahme für Verbraucher eine immer größere Rolle, sagt Markus Weck vom Verband Kulinaria Deutschland. Und deshalb auch für den Handel: Die Herkunftsbezeichnung ist zu einem wichtigen Marketinginstrument geworden.

Vor diesem Hintergrund kann man schon verstehen, dass das Consorzio Tutela Aceto Balsamico di Modena, ein Verband regionaler Erzeuger, den italienischen Essig gegen die deutsche Konkurrenz verteidigen wollte. Die Norditaliener hatten "Aceto Balsamico di Modena" als geschützte geografische Angabe eintragen lassen. Ihr verwegener Plan: Sie wollten das Wort "Balsamico" bei dieser Gelegenheit gleich ganz für sich reservieren. Selbst dann, wenn es nicht mit dem Ort Modena verbunden ist. Doch der Hersteller Balema, der einen "deutschen Balsamico" aus badischen Weinen anbietet, wollte den magischen Klang des "Balsamico" nicht allein den Italienern überlassen, sondern für seine eigene holzfassgereifte Ware nutzen. Klar, man könnte stattdessen "Balsamessig" sagen. Aber das klingt halt so, wie der badische Essig tatsächlich ist: irgendwie naturtrüb.

Der Fall landete vor dem Europäischen Gerichtshof, wo klar wurde, dass die italienische Begriffsaneignung generell nicht besonders gut ankam. Die Franzosen bemerkten spöttisch, "Aceto Balsamico di Modena" genieße ohnehin kein besonderes Ansehen - das richtig teure Zeug in den winzigen Flaschen sei der "Aceto Balsamico tradizionale di Modena". Die Griechen sahen ihren "Balsamon" in Gefahr. Und die Deutschen halten "Balsamico" ohnehin für einen deutschen Begriff. "Balsamico ist der wichtigste Essig für deutsche Verbraucher", sagt Weck. Die Sache ist gut ausgegangen: "Balsamico" bleibt laut Gericht international verwendbar. Der Schutz gilt nur für die regionale Herkunft, nicht für die Gattungsbezeichnung.

Wobei man hinzufügen muss: Eine echte regionale Verwurzelung darf man bei der "geschützten geografischen Angabe" sowieso nicht erwarten. Im Unterschied zur "Ursprungsbezeichnung" besagt sie nämlich nur, dass das Produkt in der Region erzeugt oder verarbeitet wurde, aber nicht, dass es komplett dort hergestellt wurde. Die Schweine, die den "Schwarzwälder Schinken" liefern, stammen laut Verbandssprecher Weck meist woandersher. Auch die Mandelbäume für das "Lübecker Marzipan" wachsen eher nicht in Norddeutschland. Bestimmte Regionen - Parma oder die Champagne - sind dennoch zu wahren Qualitätsmarken geworden, geradezu mythisch aufgeladen.

Nur Wien hat den Zug verpasst. Jeder kennt das Wiener Schnitzel, vielen schmeckt es. Aber als geschützte Herkunftsbezeichnung haben die Österreicher ihr paniertes Kalbfleisch nie eintragen lassen.

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SZ vom 05.12.2019/vit
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