Süddeutsche Zeitung

Bahngewerkschaft EVG:Schon wieder weg

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Die größte deutsche Bahngewerk­schaft EVG verliert nach nur fünf Monaten ihren Chef Torsten Westphal. An der Spitze gab es wohl heftigen Streit. Entsprechend kühl fielen die Abschiedsworte der verbliebenen Kollegen aus.

Von Markus Balser und Detlef Esslinger, Berlin

Als Torsten Westphal Anfang November an die Spitze der größten deutschen Bahngewerkschaft gewählt wurde, war der Optimismus in der EVG groß - es ging um einen Generationenwechsel. Am Eingang des EVG-Sitzes in Berlin wurde die Zahl neuer Mitglieder taggenau in Tischtennisbällen gemessen - sie stieg ständig. Bei der Pressekonferenz zur Präsentation des Neuen hatte sein Team kämpferische Plakate aufgehängt. "Du willst es, ich will es. Mehr für alle." Und: "Einer für alle. Alle für einen!" Und Westphal, 53, ging die Bahnspitze von Anfang an hart an: Viele Beschäftigte der Deutschen Bahn seien nicht mehr stolz auf ihr Unternehmen, klagte er bei seinem Antritt. Sie schämten sich für die vielen Mängel im Schienenverkehr. Die Mitarbeiter hätten "die Nase bis oben hin voll".

Jetzt hat genau das offenbar Westphal selbst. Nach nur gut fünf Monaten auf dem Posten gibt der EVG-Chef bereits wieder auf. In der Spitze der Gewerkschaft war nach Informationen der Süddeutschen Zeitung zuvor heftiger Streit entbrannt. Es habe in der Führung geknallt, heißt es. Gestritten worden sei etwa über "Organisationsfragen". In einer dürftigen Mitteilung erklärte die EVG am Dienstagabend, Westphal lege sein Amt als Vorsitzender "aus persönlichen Gründen" nieder. Krankheit oder andere private Gründe haben dem Vernehmen nach keine Rolle gespielt. Der Dank der verbliebenen Kollegen fiel äußerst schmallippig aus, sie würdigten in einem einzigen Satz gerade mal "Westphals erbrachte Arbeit und Leistungen". Kühler geht es bei einem solchen Abschied kaum. Zu den Hintergründen des offenkundigen Streits äußerte sich die Gewerkschaft nicht.

In der EVG selbst löst der plötzliche Abgang Erstaunen und Bedauern aus. Mit Westphal gehe mehr als eine Person. Er habe seine Führung stets in Teams gedacht. Was daraus nun werde, sei völlig offen. Zumindest außerhalb des Vorstandes wurde der Rücktritt mit Überraschung aufgenommen, angeblich hatte nichts auf einen solchen Schritt hingedeutet.

Wann ein neuer Vorsitzender oder eine neue Vorsitzende gewählt wird, ist wegen der Corona-Krise noch offen. Der Bundesvorstand habe die Einberufung eines außerordentlichen Gewerkschaftstages "zum frühestmöglichen Termin" beschlossen, teilte die EVG mit. Angepeilt sind der 10. und 11. November, für dieses Datum hat die Gewerkschaft jedenfalls ein Tagungshotel in Fulda für 300 Delegierte reserviert. Die Satzung macht nach Angaben aus der Gewerkschaft keine Vorgaben, bis wann die Nachfolge geklärt sein muss. Bis dann ist der stellvertretende Vorsitzende Klaus-Dieter Hommel beauftragt, "die Amtsgeschäfte zu führen", also Aufgaben Westphals zu übernehmen und die EVG nach außen zu vertreten. Hommel erklärte, die EVG sei weiter arbeitsfähig. Im Vorstand arbeite er eng mit den anderen Mitgliedern Cosima Ingenschay, Martin Burkert und Kristian Loroch zusammen. "Damit gewährleisten wir nahtlos als Team die Stärke und Arbeitsfähigkeit unserer EVG", sagte er - auch wenn die vier nun mindestens sieben Monate lang die Arbeit von fünfen erledigen müssen.

Mit 185 000 Mitgliedern ist die EVG zwar die kleinste der acht DGB-Gewerkschaften, aber bei der Bahn ein wichtiger Machtfaktor. Sie stellt dort mehrere Aufsichtsräte, Westphal wurde erst Ende März zum Vizechef dieses Gremiums gewählt. Der Mecklenburger arbeitete seit 1997 hauptamtlich bei der Gewerkschaft, vor seiner Wahl zum Vorsitzenden war er Bundesgeschäftsführer der EVG. Man kannte sich also. Dachte man.

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SZ vom 23.04.2020
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