Bahnchef Hartmut Mehdorn:Zug um Zug in die Zwickmühle

Der Bahnchef ist daran gewöhnt, seine Pläne durchzusetzen - im Tarifstreit aber hat er sich mit seinem kompromisslosen Kurs womöglich verfahren.

Michael Bauchmüller

Eine Viertelstunde lang ist alles ganz einfach. Kein Lokführer stört die Gedanken, kein Manfred Schell spukt herum. Eine Viertelstunde lang ist Hartmut Mehdorns Welt heil in dem feinen Restaurant am Potsdamer Platz. "Es reicht nicht, einen Zug nur von A nach B perfekt zu fahren", sagt Mehdorn. "Es muss auch davor und danach alles funktionieren."

Tacktacktack hämmert seine Handkante die Abläufe auf die Tischplatte, kommen Züge an und fahren ab, Fahrgäste steigen ein und aus, Container hängen am Kran, Lastwagen fahren heran. Für diesen Moment ist die Bahn ein Unternehmen wie jedes andere auch. Alles ist so, wie es der Bahnchef wünscht. Die Wirklichkeit aber ist anders, ganz anders. Sie macht Mehdorn keine Freude.

In der Wirklichkeit wirft eine Mini-Gewerkschaft mal eben Deutschlands Bahnverkehr aus dem Takt, weil Lokführer mehr Geld wollen. Die beiden größeren Bahn-Gewerkschaften Transnet und GDBA, bisher treue Verbündete Mehdorns, mucken auf. Sie wollen auch mehr Geld, wenn die streikenden Lokführer mehr bekommen.

Und selbst Mehdorns Traum von der Börse steht vor dem Aus, seit die SPD-Basis den jüngsten Parteitag zur Meuterei gegen die Bahn-Privatisierung machte. Plötzlich fühlt sich sein Reich an wie ein gigantisches Erdbebengebiet. Keiner weiß, ob noch ein Beben kommt.

Niemand ahnt, wie stark es sein wird. Und fast wirkt es so, als wäre der Macher Mehdorn plötzlich ohnmächtig, als könnten andere nun seinen Zug umlenken, der doch mit allen Mitarbeitern und ordentlichem Profit zur Börse fahren sollte.

Wider die ,,Miesmucker''

Für Mehdorn ist das gefährlich, denn seine Kraft zog er immer aus der Vorwärtsbewegung, wie eine Art Perpetuum mobile. Jahrelang, jahrzehntelang hat sich Mehdorn mit dieser Kraft vorangearbeitet. "Sein Erfolgsgeheimnis ist seine hohe Vitalität", sagt einer, der eng mit ihm zusammengearbeitet hat.

Zehn Jahre ist es her, dass der Ingenieur Mehdorn den Maschinenbauer Heidelberger Druck führte - seine Leidenschaft für die Druckmaschine als solche ist ungebrochen. Als hätte er mal eben den Chefschalter umgelegt, bewegt Mehdorn dann enorme Mengen Luft, wenn er mit großen Händen rudernd das Prinzip einer Rotationsdruckmaschine erklärt.

Es ist eine Begeisterung, die zugleich nur wenig Widerstand duldet. "Mehdorn ist sicher ein Mann von großem Gestaltungsehrgeiz und Machtbewusstsein", sagt Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin. "Aber mit radikalem Vernichtungswillen bei allem, was sich ihm entgegensetzt." Sarrazin war als Bahn-Manager selbst mal Mehdorn-Gegner. Er musste gehen: einer von vielen, die einen Machtkampf mit Mehdorn nicht überstanden.

Die Macht lag eben immer bei Hartmut Mehdorn. Seit er die Bahn 1999 übernommen hatte, baute er seine Position beharrlich aus. Das gesamte Unternehmen schnitt er auf die Spitze zu. Hatten seine Vorgänger den Konzern noch als Konglomerat selbständiger Töchter geführt, zog Mehdorn die Zügel an.

Zug um Zug in die Zwickmühle

Wenn es sein musste, regierte er bis in den letzten Winkel des Unternehmens hinein. Mächtige Freunde halfen dabei, allen voran Gerhard Schröder. Gab es ein Problem, griff Mehdorn zum Hörer. Ein Verkehrsminister musste deshalb gehen, Kurt Bodewig, und ein Aufsichtsratschef auch.

Sie lagen nicht auf Mehdorns Linie, wollten eine andere Bahn als er. Ein Kompromiss um des lieben Friedens willen, eine Überzeugung über Bord werfen, so etwas kam ihm nie in den Sinn. Die seinen Kurs kritisieren, sind für den Berliner Mehdorn "Miesmucker". Davon gibt es viele.

Bei Deutschlands Oberlokführer Manfred Schell aber liegen die Dinge schwieriger. Sie mögen jetzt wieder verhandeln, an geheimen Orten, mit geheimen Ergebnissen, mit ominösen Angeboten. Aber Mehdorn hat sich mit aller Macht in die Zwickmühle gebracht.

Seinen Aufsichtsrat überzeugte er von seiner harten Linie - und raubte sich selbst nahezu jeden Verhandlungsspielraum: Den wichtigsten Wunsch der Lokführer, einen eigenständigen Tarifvertrag, kann er jetzt kaum noch erfüllen.

Gehen die Lokführer auch auf das Angebot von diesem Mittwoch nicht ein, kann Mehdorn eigentlich nur noch verlieren. Dann riskiert er einen Endlos-Streik, den er kaum durchhalten kann. Und am Ende müsste die Bahn doch mehr zahlen. Sie verlöre Millionen.

Vielleicht ahnt Mehdorn, dass diesmal alles anders ist. Seitdem er bei der Bahn ist, hat er keinen Konflikt gemieden, oft erbittert gekämpft - und meistens gewonnen. Gegen widerborstige Parlamentarier. Gegen einen ganzen Industrieverband. Gegen Bundesbehörden. Gegen Ministerien. Immer gegen die Wand - und oft genug mit dem Kopf geradewegs durch.

"Konflikte muss man angehen", sagt Mehdorn. "Das ist meine Überzeugung." Aber der Konflikt mit den Lokführern ist anders. Er folgt nicht mehr den Kategorien, in denen Mehdorn denkt - er passt nicht in die Strategie, gehorcht nicht seiner Vernunft.

Hier prallt die Logik des Bahnchefs auf die eines störrischen Gewerkschaftschefs, der sich offenbar weder ausschalten noch kaltstellen lässt. Mehdorn muss mit friedlichen Mitteln aus der Klemme, und zwar rasch. Gelingt ihm das nicht, könnte es sein letzter Konflikt als Bahnchef gewesen sein.

Druck schweißt zusammen

Jahrelang fuhr Mehdorn gut mit seiner Kampfeslust. "Diplomat wollte ich nie werden", heißt seine kürzlich erschienene Biographie, der Titel ist Programm.

Die Strategie war einfach, im Zweifel hieß sie: Sieg statt Kapitulation. Nur Manfred Schell, den bekommt er nicht zu packen. Es macht Mehdorn rasend, seine Stimme klingt noch gepresster als sonst. Nein, eine Kapitulation der Bahn werde Schell nicht erleben. Niemals.

Kapitulieren sollten eigentlich wieder einmal die anderen. Zuerst sollten Gerichte die Lokführer an die Leine nehmen. Landauf, landab, vor allen deutschen Arbeitsgerichten reichte die Bahn Klagen gegen die Lokführer-Streiks ein - und schoss damit ein Eigentor.

Höchstrichterlich erhielten die Lokführer am Ende die Streikerlaubnis, schwarz auf weiß. Auch der öffentliche Druck einer riesigen PR-Abteilung zwang die Lokführer nicht in die Knie. "Stoppen Sie diesen Wahnsinn", rief die Bahn den Gewerkschafter Schell auf, in ganzseitigen Zeitungsanzeigen.

Doch statt sich bei der Bahn für stabile Ersatzfahrpläne zu bedanken, stärkten die Bundesbürger selbst nach 62 Stunden Streik in Umfragen die vermeintlich schwächeren Lokführer. Schlimmer noch: Die Lokführer selbst, sonst immer mutterseelenallein auf dem Bock, hat der Druck von oben nur noch fester zusammengeschweißt.

Zug um Zug in die Zwickmühle

Mehdorn war der Wunschkandidat, schon für seinen Vorvorgänger Heinz Dürr. Als er 1999 endlich antrat, galt er als Idealbesetzung für den Posten. Mehdorn hatte die Deutsche Airbus geführt, Heidelberger Druck saniert und an die Börse gebracht. Die Bahn, noch immer irgendwo zwischen Behörde und Unternehmen, passte ihm wie angegossen.

Er machte sich an den Umbau, rastlos, pausenlos. Mehdorn stieß Teile ab, kaufte andere hinzu, stellte neben die Bahn von A nach B noch den Spediteur C und das Frachtschiff D. Hätte man ihn gelassen, wäre Ende 2005 sogar noch der Hamburger Hafen hinzugekommen. Seine Führungsleute trimmte er auf bedingungslosen Erfolg.

Mehdorns Glaubensbekenntnis, ein eng bedrucktes Blättchen voller Ziele, ließ er für seine Führungskräfte in zwei Zentimeter dickes Plexiglas gießen, ein unabänderliches Manifest. "Wir, die Konzernführungskräfte der Deutschen Bahn, haben das Ziel, unser Unternehmen zum führenden internationalen Mobilitäts- und Logistikdienstleister zu entwickeln", heißt es darin. "Was wir versprechen, halten wir."

Das war, das ist Hartmut Mehdorns Vision. Das ist die Idee, die den 1,70 Meter großen Mann unter Dampf hält. "Wenn mich einer fragt, was war vielleicht Ihr größter Erfolg bei der Bahn'', sagt Mehdorn, "da würde ich sagen: dass die Führungskräfte sich als Unternehmer fühlen und auch so handeln."

Gemeinsam wollen sie das Unternehmen an die Börse bringen, und das nicht irgendwie: sondern als Global Player, der Container von L.A. nach Schanghai genauso transportiert wie Reisende von Bielefeld nach Hamm. "Mehdorn hat den Laden auf Vordermann gebracht", schwärmt selbst Klaus-Dieter Hommel, Chef der Bahngewerkschaft GDBA. "Früher war der Reisende ein Beförderungsfall, heute ist er Kunde. Diese Philosophie hat Mehdorn mitgebracht."

Er ist an allem schuld

Und doch muss der Bahnchef um seine schöne Vision bangen, seit der SPD-Parteitag auf Umwegen die Bahn-Privatisierungspläne abschoss. Der Bund könnte nun auf jegliche Privatisierung verzichten, dann wäre Mehdorn ein Visionär ohne Handhabe.

"Als reiner Staatskonzern", findet er, "können wir unseren wirtschaftlichen Erfolg nicht so fortsetzen wie bisher." Oder aber die neuesten Ideen setzen sich durch, die Bahn verkauft einen Teil ihres Besitzes an private Investoren, nicht aber das wertvolle Schienennetz, die Bahnhöfe, die Oberleitungen.

Das wäre der langsame Abschied von Mehdorns größtem Ideal, dem integrierten Bahnkonzern, der alles in einer Hand hält, Schienennetz, Züge, Terminals. Und es wäre der Beginn des nächsten Großkonflikts.

Sollte die Bahn privaten Investoren zuliebe tatsächlich zerlegt werden, so donnerte Transnet-Chef Norbert Hansen vorige Woche, werde seine Gewerkschaft "alle demokratischen Mittel der Gegenwehr nutzen". Das ist ein netter Ausdruck für das unschöne Wort Streik. Dann hätte Mehdorn es nicht mehr mit ein paar Lokführern zu tun. Dann hätte er einen Flächenbrand.

Vielleicht wäre er doch besser im nächsten Frühjahr gegangen, wie ursprünglich geplant. Stattdessen hat Mehdorn, 65, seinen Vertrag bis 2011 verlängert, und damit womöglich um die härtesten Auseinandersetzungen seiner Amtszeit. Privatleben findet bei den Mehdorns schon jetzt kaum mehr statt, und draußen dankt es keiner.

Dem Publikum ist er mit all seinen Ambitionen, mit seiner Kompromisslosigkeit schon lang unheimlich geworden, und als Bahnchef ist er schon qua Amt für jede Verspätung, jeden unfreundlichen Schaffner, jede Preiserhöhung verantwortlich. Seltsame Dinge geschehen, wie jüngst bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa.

Ob sie denn den Lokführerstreik befürworten, wurden Berliner befragt, sie antworteten mehrheitlich mit ja. Warum? Weil Mehdorn es nicht besser verdient habe. Durch Deutschland bewegt er sich mit Leibwächtern, private Partys meidet er. Wie häufig inzwischen sein Rücktritt gefordert wurde, kann Mehdorn selbst nicht mehr überblicken. "Oft", sagt er. Er lacht dabei.

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