Bahn - Wiesbaden:Prozess um Sabotage an ICE-Strecke: 13 Jahre Haft gefordert

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Eine Figur der Justitia. Foto: picture alliance/dpa/Symbolbild (Foto: dpa)

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Wiesbaden (dpa/lhe) - Im Prozess um eine mutmaßliche Sabotage an der ICE-Schnellstrecke Frankfurt-Köln liegen die Forderungen von Anklage und Verteidigung sehr weit auseinander. Die Staatsanwaltschaft sprach sich am Montag vor dem Landgericht Wiesbaden für 13 Jahre Haft für den 52-jährigen Angeklagten aus, die Verteidigung verlangte einen Freispruch. Ein Urteil soll am kommenden Montag (29. März) fallen.

Die Anklage wirf dem Mann vor, im März 2020 auf der ICE-Strecke Köln-Frankfurt nahe der Theißtalbrücke bei Niedernhausen im Taunus über 250 Schienenschrauben gelöst zu haben. Der Mann habe es billigend in Kauf genommen, dadurch einen Zug entgleisen zu lassen und damit sehr viele Menschen zu töten.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sieht den Angeklagten nach der Beweisaufnahme unter anderem des versuchten Mordes überführt, wie sie in ihrem Plädoyer sagte. Die Verteidigung sprach von einem reinen "Indizienprozess" mit "sehr vielen Fragezeichen". Die Täterschaft des Angeklagten sei nicht bewiesen. So sei er nie am Tatort gesehen worden - DNA oder Fingerabdrücke gebe es nicht. Der 52-Jährige verzichtete auf ein letztes Wort.

Zwei Lokführer waren am 20. März 2020 auf der Strecke auf Schläge und verändertes Fahrverhalten ihrer Züge aufmerksam geworden. Auf einer Strecke von rund 80 Metern wurden lose Gleise entdeckt. Bis dahin hatten schon 414 Züge den Streckenabschnitt passiert. Nur 5 bis 30 weitere Züge hätte es laut einem Sachverständigen gebraucht, bis ein Zug entgleist wäre. Bei der Entgleisung eines Zugs mit einer Geschwindigkeit von 300 Kilometern pro Stunde sei "ein katastrophaler Ausgang mit einer Vielzahl von Toten" wahrscheinlich. Zwei Gleisüberführungen und eine Tunneleinfahrt am manipulierten Streckenabschnitt begünstigen demnach das Risiko.

Zur Tatzeit war der Angeklagte ohne festen Wohnsitz und hatte bereits eine große Zeit seines Lebens in Haft verbracht. Er ist 22 Mal vorbestraft und hat mehrere Einbrüche begangen. "Dein alter Herr kann mehr als nur Tresore knacken", schrieb er Anfang März 2020 per WhatsApp an seinen Sohn. Nun beginne die "Härtephase". Die Textnachrichten wurden am Montag im Gerichtssaal vorgeführt.

Bei einer Auswertung des Laptops des Angeklagten war nach Auskunft eines Sachverständigen herausgefunden worden, dass der Mann im Internet nach Gleisbauwerkzeugen recherchiert, den Fahrplan Köln-Frankfurt heruntergeladen, sich auf Google Earth verschiedene Orte angeschaut sowie ein Hotelzimmer gebucht hatte. In seinem Wagen wurde später zur Tat geeignetes Werkzeug gefunden.

Schon Jahre zuvor hatte er mehrmals unter anderem an das Bundeskanzleramt Briefe geschrieben und darin behauptet, eine islamistische Terrorzelle bereite Anschläge auf den Bahnverkehr vor. Nur er könne die Terroristen ermitteln und die Anschläge verhindern. Dafür forderte er Beträge von vielen Milliarden Euro. Als er nicht die gewünschte Reaktion erhielt, soll er sich laut Anklagebehörde dazu entschlossen haben, einen Anschlag der erfundenen Terrorzelle zu inszenieren

Noch vor seiner Festnahme rief der Mann bei der Bundespolizei an und warnte vor den losen Gleisen. "Bitte sperren Sie sofort die Zugstrecke", schrieb er an das Bundeskanzleramt. In einem Fax dann später: "Ich bin froh, den ersten Anschlag verhindert zu haben." Die Verteidigung sieht darin einen strafbefreienden Rücktritt.

Dazu hätte der Angeklagte sich mehr bemühen müssen, sagte die Staatsanwältin. Außerdem habe der Angeklagte einen versuchten gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr verübt, sowie die Straftat "Störung öffentlicher Betriebe" begangen. Als verwirklichte Mordmerkmale führte sie Heimtücke, niedrige Beweggründe sowie den Einsatz gemeingefährlicher Mittel an.

© dpa-infocom, dpa:210321-99-913099/5

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