Bahnverkehr:Entschädigungen schon ab 30 Minuten Zug-Verspätung?

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Wer zu spät ankommt, bekommt bisher oft keinen finanziellen Ausgleich - denn den gibt es erst, wenn die Verspätung mindestens eine Stunde beträgt. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Ab einer Stunde Verspätung gibt es von der Bahn Geld zurück. Nun wird geprüft, die Schwelle auf 30 Minuten zu senken. Doch ob die Züge dadurch wirklich pünktlicher würden?

Von Markus Balser und Georg Ismar, Berlin

In Sachen Verspätungen war das Jahr 2022 für die Bahn ein fatales. Einerseits für den Ruf, anderseits finanziell, die angefallenen Entschädigungen werden stark in der Bilanz des Staatskonzerns zu Buche schlagen. Kommt ein Zug 60 Minuten später als geplant an, haben Fahrgäste bisher Anspruch auf 25 Prozent Erstattung des Fahrpreises, bei mehr als 120 Minuten auf die Hälfte.

Um den Druck zu mehr Pünktlichkeit zu erhöhen und um die Bahnkunden milder zu stimmen, hat nun die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) vorgeschlagen, die Zeit-Schwelle für Entschädigungen zu senken - und erhält dafür Unterstützung von der für die Bahn verantwortlichen Bundesregierung.

"Aus Sicht des vzbv sollte eine Entschädigung bereits ab 30 Minuten Zugverspätung in Form eines 10-Euro-Reisegutscheins eingeführt werden", betont der Verband. Der bestehende Spielraum, den die EU-Mitgliedsländer haben, solle ausgenutzt werden. "Engpässe in der Schieneninfrastruktur werden auch in den kommenden Jahren viel Geduld von den Fahrgästen abverlangen", sagte vzbv-Chefin Ramona Pop (Grüne). Es sei im Interesse der "Mobilitätswende", bei Störungen für angemessene finanzielle Entschädigungen zu sorgen, auch um die Geduld der Fahrgäste nicht zu sehr zu strapazieren.

Im Hause der zuständigen Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) ist man offen für die Idee. "Geldgutscheine auch bei Verspätungen unter einer Stunde können ein starkes Signal für die Kundenfreundlichkeit der Bahn sein", sagt eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung. Die hohe Unpünktlichkeit der Bahn mache vielen Fahrgästen zu schaffen. "Insbesondere für eine verbrauchergerechte und nachhaltige Mobilitätswende ist ein zuverlässiger Zugverkehr unabdingbar. Dazu bedarf es insbesondere starker Fahrgastrechte im Falle von Verspätungen und Ausfällen."

Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich will sich mit der Idee auseinandersetzen. "Ich glaube, dass die Bahnkunden ein großes Interesse daran haben, entschädigt zu werden, für das was sie zurzeit erleben", sagte er am Rande der Jahresauftaktklausur der SPD-Bundestagsfraktion, an der auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) teilnahm. Es müsse aber dann auch geklärt werden, ob damit weitere finanzielle Forderungen an den Bund verbunden wären, betonte der SPD-Fraktionschef. Der SPD-Verkehrsexperte Detlef Müller, ein gelernter Lokführer, betonte, Entschädigungen sollten wie bisher einheitlich auf europäischer Ebene geregelt werden. Und entscheidender sei, jetzt die Sanierung und den Aus- und Neubau der Schieneninfrastruktur schneller voranzubringen.

Innerhalb der Ampel ist besonders die FDP skeptisch. "Zusätzliche Entschädigungsregelungen können zu Erhöhungen der Ticketpreise führen, ohne dass die Pünktlichkeit verbessert wird", sagte der Bahnexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Valentin Abel, der Süddeutschen Zeitung. "Um die Pünktlichkeit der Bahn zu erhöhen, braucht es die Generalsanierung des Schienennetzes, an der die Bundesregierung bereits arbeitet."

Der verkehrspolitische Sprecher der Union, Thomas Bareiß (CDU) begrüßt die Idee dagegen. "Der Ärger bei Bahnkunden ist groß, deshalb halte ich es für richtig ,eine unkomplizierte und schnelle Entschädigung auch bei Verspätungen ab 30 Minuten anzubieten", sagte Bareiß der SZ. Allerdings müsse eine solche Entschädigung auch in den Rahmen der EU-Fahrgastrechte-Verordnung passen.

Die Bahn fürchtet eine Benachteiligung gegenüber dem Flugverkehr

Die Bahn äußerte sich am Donnerstag nicht offiziell zu dem Vorstoß. In Kreisen des Unternehmens wurde jedoch Skepsis deutlich. Eine Verschärfung der Fahrgastrechte werde für die Pünktlichkeit keine Rolle spielen, hieß es. Das System leide unter einer anfälligen Infrastruktur, die saniert werden müsse. Pauschale Entschädigungen ab 30 Minuten würden die Bahn zudem gegenüber dem Flugzeug deutlich benachteiligen, bei dem erst ab drei Stunden Erstattungen fällig würden. Die Bahn hatte Kunden 2021 rund 38 Millionen Euro an Entschädigungen gezahlt. Die Zahlen für das vergangene Jahr werden erst im März veröffentlicht.

Die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr lag 2022 nur noch bei 65,2 Prozent und damit zehn Prozentpunkte unter dem Vorjahresniveau, wie der Konzern jüngst mitteilte. Als Gründe nennt die Bahn die überalterte Infrastruktur, viele Baustellen und ein rasant wachsendes Verkehrsaufkommen, hinzu kamen durch Corona viele Personalausfälle. Das Konzernziel für dieses Jahr ist ein Pünktlichkeitswert im Fernverkehr von mehr als 70 Prozent.

Als verspätet geht ein Zug in die Statistik ein, wenn er mehr als sechs Minuten zu spät ankommt. Im Regionalverkehr wurden 91,8 Prozent aller Bahnhöfe und Haltepunkte pünktlich erreicht. Da hier deutlich mehr Züge unterwegs sind, fallen Fahrten mit Verspätung nicht so schnell ins Gewicht. Im Sommer, während des für drei Monate geltenden Neun-Euro-Tickets mit weit mehr Fahrgästen, wurden die niedrigsten Werte verzeichnet, anschließend besserte sich die Lage.

Wichtige Modernisierungen auf stark frequentierten Schienenstrecken dürfen noch länger zu Verspätungen und Fahrgast-Ärger führen. Etwas Besserung sollen neue und mehr Züge schaffen. Im laufenden Jahr sollen drei neue ICEs pro Monat geliefert werden. Vor allem fast 140 ICE-4-Züge und 73 Stück des Modells ICE 3 neo sollen die Lage bessern - und damit auch das Aufkommen an Entschädigungsforderungen spürbar senken.

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