Süddeutsche Zeitung

Zugausfälle und Verspätungen:Bahnstreik bremst Deutschland aus

Lesezeit: 3 min

Von Markus Balser, Berlin

Wer in diesen Wochen die Webseite der Bahn aufruft, sieht das Zeichen häufiger, als es Kunden lieb sein kann: Ein rotes Dreieck mit Ausrufezeichen bereitet Passagiere auf ernste Probleme vor. Mal warnt es vor Baustellen, mal vor gesperrten Schnelltrassen wegen eines ICE-Brands. Seit Sonntag steht das Zeichen sogar ganz oben auf der Seite. Denn zum Wochenstart droht ein noch größerer Stillstand: In ganz Deutschland wird ein Warnstreik den Zugverkehr ausbremsen.

Die größte und mächtigste Bahngewerkschaft des Landes will an diesem Montag von fünf Uhr bis neun Uhr im ganzen Land S-Bahnen, Regional- und Fernzüge lahmlegen. Die Auswirkungen würden sich wohl weit in den Tag hineinziehen, warnte ein Sprecher der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Damit droht nach den Rekordstreiks des Jahres 2015 erstmals wieder eine heftige Tarifauseinandersetzung bei der Bahn. Dass diesmal nicht die kleinere Lokführergewerkschaft GDL, sondern die größere Gewerkschaft EVG zu den Streiks aufruft, könnte Kunden hart treffen. Denn sie vertritt auch Beschäftigte in den Stellwerken und Betriebszentralen. Schon wenige streikende Mitarbeiter könnten so für großflächigen Stillstand sorgen.

Beim Staatskonzern spricht man von einer "völlig überflüssigen Eskalation"

Und so könnte die Warnung der Bahn noch untertrieben sein. "Es ist aktuell ein Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen am Vormittag angekündigt, der voraussichtlich überregionale Auswirkungen haben wird", teilte die Bahn am Sonntag auf ihrer Internetseite mit. Die Bahn richtete am Abend eine kostenfreie Hotline für die Fahrgäste unter der Rufnummer 08000 996633 ein. Fernverkehrstickets für Montag behielten bis Dienstag ihre Gültigkeit, für Reisende mit Flexpreis- und Sparpreistickets mit Gültigkeit am Montag werde die Zugbindung aufgehoben. Die Bahn empfahl, Reisen mit ICE und IC auf Dienstag zu verschieben. Bei den laufenden Tarifverhandlungen war es am Samstagmorgen zum Eklat gekommen. Die EVG erklärte die seit zwei Monaten laufenden Tarifverhandlungen für gescheitert. Sie will erst dann wieder zurück an den Verhandlungstisch, wenn die Bahn ein neues Angebot vorliegt, wie EVG-Sprecher Uwe Reitz am Sonntagabend vor Journalisten in Berlin betonte. Das Angebot der Bahn umfasste eine Lohnerhöhung von 5,1 Prozent in zwei Stufen und eine Einmalzahlung von 500 Euro. Mitarbeiter sollten die Möglichkeit bekommen, statt mehr Geld mehr Freizeit zu wählen, aber erst ab 2021. Die Bahn spricht von einer "völlig überflüssigen Eskalation". Und weiter: "Bei diesem Angebot den Verhandlungstisch zu verlassen, ist nicht nachvollziehbar und verunsichert völlig unnötig unsere Kunden mitten in der Weihnachtszeit", erklärte Personalvorstand Martin Seiler. EVG-Verhandlungsführerin Regina Rusch-Ziemba sagte, die Bahn habe eine Vertagung auf Dienstag vorgeschlagen.

"Das kam für uns nicht infrage." Für den Konzern kommt die Eskalation zur Unzeit. An diesem Mittwoch wollen Aufsichtsräte der Bahn über Wege aus der aktuellen Krise beraten. Eigentlich hatte sich die Bahn schon für dieses Jahr vorgenommen, pünktlicher zu werden. Geplant war, dass 82 Prozent der Züge rechtzeitig ankommen. Tatsächlich fuhren nur noch 70,4 Prozent der Intercity, Eurocity und ICE im November nach Plan - was nach Definition des Staatskonzerns ohnehin nur heißt: weniger als sechs Minuten nach der planmäßigen Zeit. Wie aus internen Unterlagen hervorgeht, braucht die Bahn bis 2023 etwa elf Milliarden Euro zusätzlich, um Schienennetz und Züge in Schuss zu halten und den Betrieb zu verbessern.

Bei der sonst viel streikbereiteren Konkurrenzgewerkschaft GDL, die ebenfalls in Tarifverhandlungen steckt, fragt man sich indessen, ob es neben dem Tarifstreit andere Gründe für einen Machtkampf mit der Bahn gibt. Er glaube, die EVG wolle auch mal zeigen, dass sie streiken könne, witzelte GDL-Chef Claus Weselsky am Sonntag. Ihr Ausstand treffe jedoch ein Unternehmen, das angesichts des Sparkurses schon geschwächt sei. "Da muss man als Gewerkschaft auch ein bisschen Rücksicht nehmen."

In einem aktuellen Schreiben der GDL an führende Mitglieder heißt es, es "dürfte im Moment auch kein in den Tarifverhandlungen liegender Grund für einen Streik gegeben sein."

"Womöglich sind es also andere Gründe, die maßgeblich sind", schreibt Thomas Gelling, Geschäftsführer der GDL-Tarifabteilung, an einen großen Bahn-Verteiler. Das Schreiben liegt der SZ vor. So fordert die EVG derzeit einen Umbau des Konzerns. Geschäftsfelder des Fern- und Nahverkehrs kooperierten nicht genug, klagte EVG-Chef Alexander Kirchner, der auch Vizechef des Aufsichtsrats ist, intern. Es müssten neue Strukturen her, der Konzernvorstand müsse sich neu aufstellen. Ein Streik könne die Verhandlungsposition verbessern, meint ein Beobachter.

Zur Eskalation des Streits dürfte auch ein seit Längerem schwelender Streit zwischen Management und Mitarbeitern beigetragen haben. In einem internen Brandbrief hatte Konzernchef Richard Lutz im September den schlechten Zustand des Konzerns bei den eigenen Mitarbeitern beklagt. Der Konzernbetriebsrat sprach daraufhin von einer "Bankrotterklärung" des Managements.

Neue Kritik an der Bahn kam am Wochenende auch von den Grünen. Zum Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn üben sie scharfe Kritik am Ticketsystem und den Unternehmensstrukturen. "Das Ticketsystem versteht kaum ein Fahrgast", erklärte Fraktionschef Anton Hofreiter am Samstag. Zudem würden Steuergelder von ineffizienten Strukturen verschlungen.

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Quelle:
SZ vom 10.12.2018
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