Süddeutsche Zeitung

Bahn:So soll Siemens' neuer Superzug aussehen

  • Siemens hat das Konzept für einen möglichen Nachfolger des ICE 4 vorgestellt, den Velaro Novo.
  • Auch ein neuer TGV ist derzeit in der Entwicklung. Dessen Konzept ist jedoch ein grundlegend anderes.
  • Da Siemens mit TGV-Hersteller Alstom fusionieren will, stellt sich die Frage, welches Konzept sich am Ende durchsetzen wird.

Von Caspar Busse, Krefeld

Es ist fast eine Glaubensfrage: Sitzt man im französischen Hochgeschwindigkeitszug TGV besser? Oder reist man doch lieber im deutschen Pendant, dem ICE? Silber-blaue Eleganz mit futuristischem Design gegen weiß-rote Zuverlässigkeit im Allerweltslook - was ist besser? Sabrina Soussan, 49, gibt sich in dieser Frage diplomatisch. "Als ich jung war, bin ich oft mit dem TGV gefahren", erzählt sie. "Aber ich mag beide, auch wenn sie sehr verschieden sind."

Die Französin, die ihre Karriere einst bei Renault startete und schon seit 21 Jahren für Siemens arbeitet, ist seit Oktober 2017 Chefin des Siemens-Bereichs Mobility, der unter anderem den ICE für die Deutsche Bahn produziert. Ziemlich sicher dürfte sie schon deshalb den Zug aus Deutschland bevorzugen. Aber gleichzeitig arbeitet Siemens gerade am Zusammenschluss seiner Bahnsparte mit dem französischen Alstom-Konzern. Genau das Unternehmen, das den TGV herstellt - und Soussan will ihre französischen Landsleute natürlich nicht verärgern.

Es ist ziemlich kompliziert in der Bahnindustrie geworden, seit im vergangenen Herbst Siemens und Alstom, die seit Jahrzehnten hart um jeden Großauftrag gerungen haben, ihre Fusionspläne verkündet haben. Gemeinsam bringen es die beiden Anbieter auf einen Umsatz von 15,6 Milliarden Euro mit dann 65 000 Mitarbeitern. "Das ist eine einzigartige Gelegenheit", sagt Soussan. Siemens soll 50,67 Prozent der Anteile an dem neuen deutsch-französischen Konzern halten, so der Plan. Geführt wird der neue Konzern aber vom bisherigen Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge, die Zentrale soll in Paris sein. Doch so weit ist noch nicht.

Gerade erst teilte Alstom mit, dass sich die Fusion weiter verzögern könnte, weil das Projekt so komplex ist. Voraussichtlich noch bis zur ersten Jahreshälfte 2019 wird es also dauern, bis das neue Super-Unternehmen starten kann. Bis dahin prüfen die Kartellbehörden, vor allem die EU-Kommission in Brüssel. Eine Hängepartie, die dauern kann - und deren Ausgang offen ist. Bis dahin sind Siemens und Alstom weiter Wettbewerber. Und beide arbeiten an einer möglichst guten Ausgangsposition vor dem Zusammengehen.

So stellte Siemens jetzt im Werk Krefeld das Konzept eines neuen Hochgeschwindigkeitszugs vor - so, als ob es die Pläne mit Alstom gar nicht gebe. Seit 2013 arbeiten hunderte Siemens-Entwickler schon mit Hochdruck daran, seit April fährt ein Waggon als Teil eines Testzugs quer durch Deutschland. "Velaro Novo" heißt der neue Zug, er sei nicht nur eine Weiterentwicklung des bisherigen Hochgeschwindigkeitszug Velaro (der in Deutschland ICE heißt), sondern ein vollkommen neues Produkt, betont Soussan.

Fast alles wurde modifiziert und überarbeitet. Das Gewicht wurde durch Leichtbau und neue Materialien um 15 Prozent reduziert, der Velaro Novo wird aerodynamischer geformt sein. Durch eine Verkleidung der Radkästen und des Dachs soll er leiser sein. Insgesamt soll der neue Super-Zug, der bis zu 360 Stundenkilometer schnell sein wird und im Jahr 2023 den Betrieb aufnehmen könnte, den Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent reduzieren. Geben soll es ihn in zwei Varianten, 200 Meter oder 400 Meter lang. Er werde der "sparsamste Hochgeschwindigkeitszug auf dem Weltmarkt" sein, sagt Soussan.

Neu sei insbesondere, dass es, anders als bisher, keine Einbauten mehr gebe und die Bahnbetreiber damit mehr Möglichkeiten für die individuelle Gestaltung hätten. Siemens bietet sozusagen eine leere Röhre auf Schienen, der Innenausbau kann dann individuell erfolgen. Dieses Konzept haben sich die Münchner bei Flugzeugbauern abgeschaut, Airbus etwa praktiziert das schon lange und liefert die Hülle, das Innere der Flieger wird individuell von den Fluggesellschaften gestaltet.

Insgesamt ist der Wagen des Velaro Novo elf Millimeter breiter, das Platzangebot durch das neue Konzept zehn Prozent größer. Ein vergleichbarer ICE könnte damit bei vergleichbarem Komfort statt wie bisher 480 bis zu 520 Passagiere befördern. "Wir haben die internationalen Märkte im Visier", sagt Soussan, Siemens hoffe auch auf Kunden aus Asien oder den USA, erste Aufträge könnten schon 2019 kommen, so die Hoffnung. Mit einigen Betreiberfirmen werde auch schon gesprochen, etwa mit der Deutschen Bahn. Allerdings hat die zuletzt verkündet, dass erst einmal weitere Exemplare des neuen ICE 4 bestellt und gleichzeitig den in die Jahre gekommene ICE 1 renovieren will.

Doch wie geht es nach dem Zusammenschluss mit den Franzosen weiter? Welches der beiden Prestigeprodukte wird sich durchsetzen - der ICE oder der TGV? Auch Alstom arbeitet schon seit längerem an einem neuen Hochgeschwindigkeitszug - unter dem Namen "TGV du Futur". Der könnte bereits im übernächsten Jahr startbereit sein, also früher als der Velaro Novo. Die Franzosen, die den TGV bereits seit 1981 bauen (den ICE gibt es erst seit 1991) setzen dabei auf zweistöckige Waggons. Dadurch wird die Kapazität deutlich größer, es können mehr Passagiere untergebracht werden, was angesichts der Engpässe auf vielen Bahnstrecken wichtig ist.

Ein Hersteller aus China will auch in Europa an Aufträge kommen

Abgesehen von Äußerlichkeiten verfolgen ICE und TGV zudem zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte. Der Zug der Franzosen hat zwei herkömmliche Triebköpfe an beiden Enden, dazwischen fahren acht oder zehn Mittelwagen. Die beiden Lokomotiven sind schwer, es geht Platz verloren. Im ICE dagegen ist der Antrieb auf mehrere Wagen verteilt, Lokomotiven im klassischen Sinn gibt es damit nicht mehr. Das hat eine bessere Gewichtsverteilung zur Folge und sorgt für mehr Flexibilität beim Zusammenstellen von Zügen. Auch der neue Velaro Novo verfolgt dieses Prinzip. Doppelstockwagen sind damit aus Platzgründen ausgeschlossen.

"Wir werden weiter ICE und TGV anbieten", versicherte vor wenigen Wochen Alstom-Chef Poupart-Lafarge. Es sei gut, wenn man beim Kunden möglichst viele Produkte im Angebot habe. In den nach außen unsichtbaren Teilen der Züge werde man künftig aber möglichst viel gemeinsame Technologie einsetzen, betonte er. Was genau passiert und ob ICE und TGV beide mit Hochdruck weiter entwickelt werden, kann erst entschieden werden, wenn der Zusammenschluss umgesetzt wird. Teure Doppelarbeiten und Ineffizienzen können sich Siemens und Alstom jedenfalls nicht leisten. Gemeinsam haben sie nämlich einen starken Gegner: Der chinesische Zughersteller CRRC ist doppelt so groß wie die Europäer nach der Fusion. Und das Unternehmen hofft auch auf Aufträge in Europa.

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