Bahn: Schlussstrich unter Datenaffäre:Alles auf Anfang

Großreinemachen bei der Bahn: Im Zuge der Datenaffäre trennt sich das Unternehmen von etlichen Vertrauten des früheren Konzernchefs Mehdorn. Die Sonderermittler legten ein langes Sündenregister vor.

Mit der Verabschiedung von vier Vorständen und drei Topmanagern sowie einem Umbau der Vorstandsressorts haben der neue Bahnchef Rüdiger Grube und Aufsichtsratvorsitzender Werner Müller einen vorläufigen Schlussstrich unter die Datenaffäre der Deutschen Bahn AG gezogen.

Bahn: Schlussstrich unter Datenaffäre: Auf zu neuen Ufern: Bahnchef Rüdiger Grube (links) und der Aufsichtsratvorsitzende Werner Müller haben einen vorläufigen Schlussstrich unter die Datenaffäre der  Bahn gezogen. Etliche Top-Manager müssen deswegen gehen.

Auf zu neuen Ufern: Bahnchef Rüdiger Grube (links) und der Aufsichtsratvorsitzende Werner Müller haben einen vorläufigen Schlussstrich unter die Datenaffäre der Bahn gezogen. Etliche Top-Manager müssen deswegen gehen.

(Foto: Foto: ddp)

Grube entschuldigte sich am Mittwoch in Berlin bei den Mitarbeitern für die massiven Verstöße gegen Datenschutz und Mitbestimmung, die die Sonderermittler Herta Däubler-Gmelin und Gerhart Baum sowie die Wirtschaftsprüfer von KPMG aufgedeckt hatten.

Die Vorstandsmitglieder Margret Suckale, Norbert Bensel, Norbert Hansen und Otto Wiesheu verlassen den Staatskonzern zum Monatsende, wie Müller und Grube mitteilten.

Politisch verantwortlich

Einzig das Ausscheiden Hansens wurde mit gesundheitlichen Gründen begründet. Für die übrigen betonte Müller zwar, sie hätten sich nichts zuschulden kommen lassen und auch keine der Datenabgleich- und E-Mail-Ausspäh-Aktionen ausgelöst. Sie seien aber politisch verantwortlich, weil die jeweiligen Zuständigkeiten in ihre Ressorts fielen.

Der 61-jährige heutige Logistikchef Bensel war bis 2005 Personalvorstand der Bahn, Suckale folgte ihm auf diesem Posten.

Außerdem verlieren auch der Leiter der Konzernrevision, Josef Bähr, sein Kollege von der Konzernsicherheit, Jens Puls, und der Chef der Compliance-Abteilung, der frühere Frankfurter Staatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner, ihre Jobs.

Schaupensteiner beendet seine Tätigkeit als Anti- Korruptionsbeauftragter der Bahn damit nach zwei Jahren. Der Jurist wolle in den Justizdienst des Landes Hessen zurückkehren, erklärte Grube.

Zurück in den Justizdienst

Im Wiesbadener Justizministerium hieß es, dass die Möglichkeit bestehe. Ein Gespräch mit dem als Korruptionsbekämpfer bekanntgewordenen Oberstaatsanwalt habe es aber noch nicht gegeben, sagte eine Sprecherin. Auch über Schaupensteiners persönliche Lebensplanung sei nichts bekannt.

Schaupensteiner war im Jahr 2007 vom Land beurlaubt worden, um den Posten bei der Bahn antreten zu können. In seiner Funktion sollte er in der Bahnverwaltung Vorkehrungen gegen Schmiergeldzahlungen entwickeln. Unter anderem baute er die Anti- Korruptionsabteilung aus und installierte ein Online-System für Hinweisgeber.

An der Seite des damaligen Konzernchefs Hartmut Mehdorn verteidigte er die Spähaktionen. In der aktuellen Affäre geht es um umstrittene Massenüberprüfungen der Daten von bis zu 170.000 Bahn-Mitarbeitern und das Ausspähen von E-Mails.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, welche Umstrukturierungen Bahn-Chef Grube in Aussicht stellt.

Künftig Vorbildcharakter beim Datenschutz

Schließlich beendet die Bahn die Zusammenarbeit mit dem Rechtsanwalt Edgar Joussen, der für sie als Ombudsmann tätig war, wie Grube mitteilte.

Müller erklärte, in der Affäre sei "seit Jahren wiederholt und breitflächig" gegen rechtliche Regeln verstoßen worden. In Einzelfällen gebe es eine strafrechtliche Relevanz. Grube, der deren Zahl auf etwa zwei Dutzend bezifferte, erklärte: "Fehlverhalten kann und werde ich nicht tolerieren."

Finanzvorstand Sack soll möglicherweise bleiben

Außerdem würden die beiden Personalressorts der DB AG und der Betriebstochter DB Mobility Logistics AG vereint, die bisher Hansen und Suckale innehatten. Die neuen Vorstände sollten möglicherweise am 25. Mai bei einer weiteren Aufsichtsratssitzung bekanntgegeben werden, sagte Müller.

Die Sonderermittler waren auf Druck der Gewerkschaften und des Aufsichtsrats eingesetzt worden, nachdem herausgekommen war, dass jahrelang heimlich Daten von 170.000 Mitarbeitern abgeglichen und E-Mails kontrolliert worden waren.

Im Verlauf der Affäre hatte bereits Bahnchef Hartmut Mehdorn seinen Posten räumen müssen. Er hatte zwar wiederholt betont, nichts von den Aktionen gewusst zu haben, aber die meisten davon trotzdem gerechtfertigt.

Der 61-jährige Bensel war während der Datenaffäre Personalvorstand und ist jetzt für Logistik zuständig; der 64 Jahre alte Wiesheu ist seit 2005 verantwortlich für Wirtschaft und politische Beziehungen. Dazu gehörte auch die Abteilung Konzernsicherheit. Suckale wechselt zu BASF.

Umfangreiche Umstrukturierungen in Aussicht gestellt

Im Amt bleibt möglicherweise Finanzvorstand Diethelm Sack. Er hatte laut Müller zunächst beabsichtigt, mit Bahnchef Hartmut Mehdorn den Konzern zu verlassen; Müller erklärte jedoch, er sei dabei, Sack zum Bleiben zu bewegen.

Die ausscheidenden Vorständen würden die Abfindungen erhalten, die ihnen laut Vertrag zustehen, sagte Müller. Schadenersatz fordere der Aufsichtsrat nicht. "Da der Vorstand in die Affäre nicht persönlich verstrickt ist, kommen Schadensersatzansprüche nicht in Frage", sagte Müller.

Der Aufsichtsrat will aber prüfen lassen, ob sich die Vorstandsmitglieder tatsächlich immer aktienrechtlich korrekt verhalten haben.

Grube stellte umfangreiche Umstrukturierungen in Aussicht. So solle ein eigenes Vorstandsressort für Compliance, Datenschutz und Recht geschaffen werden. Insgesamt sollten künftig im Konzern "die höchsten Standards beim operativen Datenschutz" gelten - "mit Vorbildcharakter", betonte der frühere Daimler-Manager.

Lesen Sie auf der dritten Seite die Details des Sündenregisters, das von den Sonderermittlern Herta Däubler-Gmelin und Gerhart Baum vorgelegt wurde.

Langes Sündenregister

Er berichtete darüber hinaus von "noch zu schließenden Sicherheitslücken" im Konzern. So hätten 800 Mitarbeiter Zugriffsrechte zu allen 60.000 Bahn-PCs gehabt. Sie hätten es erlaubt, ohne Kenntnis der Mitarbeiter deren Computerinhalte und Arbeitsvorgänge zu verfolgen. Bis Mitte 2008 sei der gesamte E-Mail-Verkehr der Mitarbeiter überwacht und mit Suchbegriffen gefiltert worden.

Grube und Müller betonten, dass der Börsengang des Unternehmens langfristig weiter eine wichtige Option sei. Schon allein wegen ihres jährlichen Investitionsbedarfs sei die Bahn auf den Kapitalmarkt angewiesen. Wegen der Krise aber stehe "das Thema Börsengang für die nächsten zwei, drei Jahre nicht zur Debatte", sagte Müller.

Die Sonderermittler Herta Däubler-Gmelin und Gerhart Baum sowie die Wirtschaftsprüfer von KPMG legten eine lange Liste von Verstößen im Kampf gegen die Korruption im eigenen Unternehmen vor. Dabei hätten sich Mitarbeiter der Bahn und externe Detektive teils auch strafbar gemacht.

Missbrauch von Mitarbeiterdaten: In fünf Überprüfungen zur Korruptionsbekämpfung wurden zwischen 1998 und 2006 die Daten von Bahn-Mitarbeitern mit Lieferantendaten abgeglichen. Bei den groß angelegten Aktionen wurden teilweise auch Angehörige der Beschäftigten überprüft.

Illegale Datenbeschaffung: Um vermutetes Fehlverhalten von Mitarbeitern aufzuklären, beauftragte die Bahn Detekteien mit der Datenbeschaffung. Die Privatdetektive besorgten Kontoauszüge, Steuerdaten oder Auto-Halterdaten, die für solche Zwecke nicht auf legalem Weg zu erhalten sind.

Ausspähen von E-Mails und Festplatten: Seit 2005 sicherte die Bahn in 487 Fällen E-Mail-Postfächer von Mitarbeitern, die dann von der Konzernsicherheit ausgewertet wurden. Darunter waren auch erkennbar private Dateien. Zudem wurden in mindestens fünf Fällen lokale Festplatten von Mitarbeitern heimlich per Fernzugriff kopiert und ausgewertet. Laut Bahn haben 800 Mitarbeiter Zugriffsrechte auf alle 60.000 Computer des Unternehmens, können Daten ohne Kenntnis der Nutzer kopieren oder löschen und die Kontrolle über die PCs übernehmen.

Kontrolle des E-Mail-Verkehrs: Der gesamte E-Mail-Verkehr der Bahn wurde von 2005 bis Mitte 2008 permanent überwacht. Dazu wurden die sogenannten E-Mail-Logfiles, eine Art elektronischer Briefumschlag, mit über 500 Suchbegriffen permanent gefiltert.

Zusätzlich zur routinemäßigen Kontrolle aller E-Mails fanden 38 gezielte Sonderkontrollen statt. Im Oktober 2007 wurde eine E-Mail der Gewerkschaft GDL zu Streikmaßnahmen heimlich gelesen und gelöscht.

Verstöße: Die Ermittler werten das Vorgehen der Bahn-Mitarbeiter unter anderem als Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz, bahninterne Konzernrichtlinien zur Einbindung des eignen Datenschutzbeauftragten sowie als Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis. Bei der Überwachung der E-Mails kam es demnach zudem zu Straftatbeständen, die noch nicht verjährt sind.

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