Verspätungen und Pannen:Grüne fordern Zerschlagung der Bahn

Reisezugwagenwerk in Pasing, 2006

Ein DB-Zug in der Wartung.

(Foto: lok)
  • Die Fernzüge der Bahn sind so unpünktlich wie seit Jahren nicht. Außerdem ist nur jeder fünfte ICE "fehlerfrei".
  • Ein ICE, in dem nur eine einzige Tür oder Kaffeemaschine kaputt sei, gelte schon nicht mehr als "fehlerfrei", rechtfertigt sich die Bahn.
  • Mit fast fünf Milliarden Euro will die Bahn ihre Probleme in den Griff bekommen.

Von Markus Balser, Berlin

Wie groß der Kundenfrust inzwischen ist? Bei einer Bürgersprechstunde im Sonder-ICE bekam Bahnchef Richard Lutz erst am Dienstag den ganzen Ärger zu spüren. Sechs Mal sei er in zwei Wochen zu spät zu Terminen gekommen, einmal im Hotel gestrandet, schimpft ein junger Vielfahrer. "Fünf Tage, fünf Verspätungen": Kein einziger Regionalzug habe ihn zuletzt pünktlich zur Arbeit gebracht, ärgert sich ein Pendler. Dem bedienten Bahnchef blieb nur die Entschuldigung. "Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen", sagte Lutz.

Das müssen täglich in den Zügen inzwischen Tausende Kunden feststellen. Immer klarer wird nun auch, warum die Züge derzeit so unpünktlich sind wie seit Jahren nicht. Nach Angaben aus Konzernkreisen räumte der Vorstand gegenüber dem Aufsichtsrat ein, dass nur 20 Prozent aller ICE "fehlerfrei" unterwegs seien. Zwar geht es bei der Statistik laut Bahn oft um Türen, Kaffeemaschinen und Toiletten. Doch laut Insidern sind dies Symptome eines größeren Problems. Denn die Züge könnten wegen Zeit- und Personalmangels bei den Wartungen nicht vollständig kontrolliert werden. Deshalb tauchten auch immer mehr Probleme im Betrieb auf. Allein im betriebskritischen Bereich fehlten der Bahn den Angaben zufolge 5800 Mitarbeiter, darunter Lokführer und technische Mitarbeiter.

Die Bahn versucht, die Kunden zu beruhigen. "Der sichere Betrieb eines Zuges ist jederzeit gewährleistet", sagte ein Sprecher am Donnerstag. Dennoch lässt der Konzern wissen, man habe dem Aufsichtsrat auf der am Donnerstag und Freitag laufenden Klausur "detaillierte und umfassende Vorschläge vorgelegt, wie wir kurzfristig zusätzliche Ressourcen für die Wartung und Instandhaltung der Züge aufbauen können". Auch für den zuständigen Minister ist das ein Ärgernis. "Wir brauchen auf der Schiene einen Wow-Effekt und keinen Oh-no-Effekt", sagt Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).

Die Zeit drängt. Eigentlich hatte sich die Bahn schon für dieses Jahr vorgenommen, pünktlicher zu werden. Geplant war, dass 82 Prozent der Züge pünktlich ankommen. Doch tatsächlich ging es in die entgegengesetzte Richtung. Nur 71,8 Prozent der Intercity, Eurocity und ICE fuhren im Oktober nach Fahrplan - was nach Definition des Staatskonzerns ohnehin nur heißt: weniger als sechs Minuten nach der planmäßigen Zeit. In diesem Jahr bleibt es nach Angaben für den Aufsichtsrat wohl bei 75 Prozent. Wohl erst Mitte des nächsten Jahrzehnts würden die für dieses Jahr erwarteten Pünktlichkeitswerte erreicht, heißt es nun aus Bahnkreisen.

So kann es nicht weitergehen, das weiß man bei der Bahn. Der Vorstand schlägt deshalb auch eine radikale neue Strategie vor - und Milliardenausgaben. In den nächsten vier Jahren rechnet der Konzern damit, dass er 4,95 Milliarden Euro zusätzlich braucht, um die Probleme für die Kunden schnell in den Griff zu bekommen.

Die Grünen schlagen den Verkauf von Tochterunternehmen vor

Die Opposition will so nicht weitermachen. Die Grünen fordern nun eine neue Bahnreform - bis hin zur Zerschlagung. "Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass der Konzern sich neu aufstellt", sagt Fraktionschef Anton Hofreiter der Süddeutschen Zeitung. Es gehe zuerst darum, das zersplitterte Zuständigkeits-Chaos zu vieler kleiner Gesellschaften aufzulösen. "Die verschiedenen Töchter, wie DB Netz, die Bahnhofsgesellschaft Station & Service und die DB Energie, die alle für das Netz verantwortlich sind, müssen zu einer Infrastruktur-Gesellschaft fusionieren. Ohne klare Zuständigkeiten laufen auch Milliardeninvestitionen ins Leere", warnt Hofreiter.

Nötig sei aber auch eine Trennung von Netz- und Transportgeschäft. Die Zerschlagung des Unternehmens in zwei Teile wollten die Grünen schon bei den Verhandlungen zu einer Jamaika-Koalition durchsetzen - gegen den Widerstand der Bahn. Das Kalkül der Grünen: Wird das Netz unabhängig vom Rest des Konzerns geführt, gibt es mehr Wettbewerb. Bei den Finanzproblemen helfen soll eine Teilprivatisierung. "Der Verkauf von Tochterunternehmen wie Arriva und Schenker könnte frisches Geld in die Kasse bringen, um Zukunftsprojekte anzupacken", sagt Hofreiter. Dazu zählt laut Hofreiter vor allem, das Bahnnetz auszuweiten und den Wagenpark auszubauen. Auch um dem Auto, dem Lkw und dem Flugzeug stärkere Konkurrenz zu machen. Nötig sei auch ein transparentes und einfacheres Preissystem.

Die Bahnbranche kritisierte am Donnerstag den Kurs der Regierung heftig. Trotz aller Probleme und entgegen früheren Ankündigungen sollten die Investitionen in die Schieneninfrastruktur im kommenden Jahr um 50 Millionen Euro sinken, sagte Allianz-pro-Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege am Vortag der Verabschiedung des Bundeshaushaltes in Berlin. Die in der Koalitionsvereinbarung angekündigte Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis zum Jahr 2030 lasse sich "so auf keinen Fall realisieren", schließlich sei das Schienennetz an vielen Stellen "völlig überlastet und dringend ausbaubedürftig".

Aus der Politik werden dagegen Forderungen nach personellen Konsequenzen laut. Der Berichterstatter der Freien Demokraten für Bahninfrastruktur, Christian Jung, rief Verkehrsminister Andreas Scheuer als Eigentümer der Bahn dazu auf, "personell durchzugreifen". Auch im Aufsichtsrat heißt es: "Die neue Führung muss jetzt zeigen, was sie kann." Das nächste halbe Jahr werde klarmachen, ob das Management die Kurve kriege.

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