Bahn: Otto Wiesheu:Lobbyist ohne Fahrschein

Bayerns früherer Wirtschaftsminister Otto Wiesheu sollte die Privatisierung der Bahn politisch durchboxen. In der Nach-Mehdorn-Ära wird er nicht mehr gebraucht.

M. Bauchmüller, M. Beise und K. Ott

Als sich Bayerns Wirtschaftsminister Otto Wiesheu im Herbst 2005 aus der Politik verabschiedete und seinen Wechsel in den Vorstand der Deutschen Bahn (DB) verkündete, konnte er sich einen Seitenhieb auf seine Partei nicht verkneifen.

Bahn: Otto Wiesheu: Der frühere bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu wäre gern bei der Bahn geblieben.

Der frühere bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu wäre gern bei der Bahn geblieben.

(Foto: Foto: dpa)

In der CSU ging es damals drunter und drüber. Parteichef Edmund Stoiber hatte gerade einen Rückzieher gemacht und war als Regierungschef in München geblieben, statt als Minister nach Berlin zu gehen. Das kostete gleich mehrere CSU-Politiker das vorhandene oder erträumte Amt.

Wiesheu frohlockte, mit der Bahn fahre er da besser, er bekomme schließlich einen festen Fünf-Jahres-Vertrag. "Das gibt es in der Politik nicht."

Sichtlich überrascht

Doch auch in der Wirtschaft sind die Spitzenjobs unsicherer geworden. Nach nicht einmal dreieinhalb Jahren als Bahnvorstand muss Wiesheu vorzeitig gehen, weil der neue Konzernchef Rüdiger Grube nach dem Datenskandal kräftig aufräumt.

Damit hatte der frühere CSU-Politiker nicht gerechnet, er wäre gerne geblieben. Doch am Dienstag bestellte Grube alle Vorstände, von denen er sich trennen wollte, nach und nach in sein Amtszimmer im sogenannten Bahn-Tower in Berlin.

Darunter eben auch Wiesheu. Er ist der mit Abstand prominenteste Vorstand, der nun ausscheidet. Grube soll dem sichtlich überraschten Wiesheu gesagt haben, es gebe keine "persönlichen Vorwürfe" gegen ihn. Er, Grube, wolle aber einen "Neuanfang" bei der Bahn, mit anderen Leuten.

Einer der engsten Mehdorn-Vertrauten

Außerdem sei Wiesheu für die Konzernsicherheit zuständig gewesen, also jene Abteilung, die jahrelang heimlich den E-Mail-Verkehr der Belegschaft kontrolliert hatte. Dass diese Spähaktion bereits begonnen hatte, bevor der CSU-Politiker Bahnvorstand wurde, und dass er davon später nichts erfahren haben soll, half Wiesheu nicht.

Er soll geantwortet haben, er sehe keinen sachlichen Grund für ein Ausscheiden aus dem Vorstand, er wolle dem neuen Konzernchef aber nicht im Wege stehen. Aus Grubes Sicht gibt es keine andere Wahl.

Wiesheu war einer der engsten Vertrauten des alten Vorstandschefs Hartmut Mehdorn. Als der CSU-Politiker Anfang 2006 als "Vorstand Wirtschaft und Politik" zur Bahn kam, sollte er Türöffner für den damaligen Konzernchef werden.

Mehdorn hatte aus rot-grünen Regierungszeiten gute Kontakte in die SPD, brauchte aber mit dem Start der großen Koalition auch einen besseren Draht in die Union. Schließlich hatte die große Koalition einen neuen Anlauf für den Börsengang der Bahn beschlossen. Wiesheu selbst hatte die entsprechende Passage im Koalitionsvertrag mit ausgehandelt.

Auffällig unauffällig

Nun sollte er mit dafür sorgen, dass die Privatisierung ganz im Sinne Mehdorns geschähe, also mitsamt dem Schienennetz, den Zügen, allem drum und dran. "Die Bahn muss auf dem Weg zu mehr Eigenständigkeit viel mit der Politik verhandeln", sagte Wiesheu beim Amtsantritt. "Dass man jemanden, der dort die Abläufe kennt, dafür holt, ist doch plausibel." Und natürlich müsse alles, von den Gleisen bis zu den Zügen, im Konzernverbund bleiben. "Alles andere wäre unpraktikabel."

Doch Wiesheu blieb in der neuen Position auffällig unauffällig. Einerseits sollte er das auch, schließlich agiert ein guter Polit-Lobbyist im Hintergrund.

Andererseits aber mehrten sich im Konzern die Zweifel, ob Wiesheus Wirken so wirkungsvoll war. Die Abgeordneten im Bundestag wurden durch Wiesheu nicht gefügiger, und in den Ländern hielt sich hartnäckig ein Lager, das auf die Abtrennung des Schienennetzes vom Rest des Konzerns pochte - eine Position, die insbesondere in der Union viele Freunde findet.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie glanzlos der Ausflug Wiesheus zur Bahn im Vergleich zu seiner politischen Karriere wirkt.

Episode ohne Glanz

Am Ende scheiterte der Börsengang kläglich. Immer neue, mitunter völlig untaugliche Gesetzesvorschläge verzögerten den Prozess, schließlich brachen die Weltbörsen ein. Das Ende des alten Bahnvorstandes begann de facto im Oktober 2008, als Mehdorn zerknirscht die Privatisierung abblies.

Letztendlich werden damit auch für Wiesheu die gut drei Jahre bei der Bahn zur Episode ohne Glanz. Die politischen Widerstände gegen die Privatisierung konnte er nicht überwinden. Und schließlich fiel auch in der Datenaffäre ein Schatten auf Wiesheu.

Andere Drähte in die Politik

Die Abteilung Konzernsicherheit, die in die Kontrolle von E-Mails und Festplatten verwickelt war, unterstand ihm direkt. Hinweise auf eine Verwicklung Wiesheus in die Causa freilich fanden die Ermittler nicht. Dennoch sucht der neue Bahn-Chef Grube nun andere Drähte in die Politik. Wiesheu wäre ohnehin im kommenden Jahr aus dem Amt geschieden.

Konnte Wiesheu als Bahn-Manager nicht reüssieren, so hat er dagegen in der bayerischen Wirtschaft einen ausgesprochen guten Ruf. Mehr als zwölf Jahre lang war er Superminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie.

Seine Zeit als Standortmanager wird in Unternehmens- und Verbandskreisen des Freistaates regelrecht verklärt; kaum jemand davor oder danach habe es ihm gleichtun können. Selbst die Gewerkschaften bedauerten seinen Abgang nach Berlin im Winter 2005/2006 ehrlichen Herzens.

Wiesheu punktete durch Fachkenntnis und robustes Handeln. Unermüdlich bereiste er das Land, half hier bei Firmenansiedlungen, verhinderte dort Werksschließungen, brachte Geld aus dem Landeshaushalt mit und vermittelte Deals mit der Staatskanzlei.

Freie Hand bei Stoiber

Dass die Wirtschaft in Bayern besser läuft als in anderen Bundesländern, hängt mit dem entschlossenen Strukturwandel zum Beispiel in der Ära Franz-Josef Strauß ebenso zusammen wie mit der wirtschaftlich glücklichen Hand des Nachnachfolgers Edmund Stoiber. Wer aber Stoiber sagte, meinte häufig Wiesheu.

Der "Otto" hatte bei Stoiber freie Hand, und das umso mehr, als er es vermied, sich gegen den Chef zu profilieren. Musste er auch gar nicht, diejenigen, die es anging, wussten ohnehin, wo der ökonomische Sachverstand der Regierung saß: in dem ehemaligen Nazi-Prunkbau Prinzregentenstraße 28 in München.

Mit Ordnungspolitik, die sein Chef Stoiber zumindest im Munde führte, hatte der promovierte Jurist Wiesheu dagegen wenig im Sinn: Er war kein Politiker, der Leitplanken zieht und ansonsten den Markt Markt sein lässt.

Wiesheu war ein Macher. Einer, der immer in Aktion trat, wenn es brannte. Maxhütte, Grundig, Dornier, Infineon, Wiesheu war da. Die Gewerkschaften dankten es ihm; sie gewann er für ein Bündnis für Arbeit. Zugleich entwickelte er die Hightech-Offensive mit, die Bayern Tausende neue Arbeitsplätze brachte. Als er damals zur Bahn wechselte, weinte man in Wirtschaftskreisen. Ausnahmsweise waren es keine Krokodilstränen.

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