Bahnchef im Verkehrsministerium:Was sich bei der Bahn ändern soll

Deutsche Bahn - Zugausfall in München

Die Bahn kommt nicht: Das soll in Zukunft seltener werden.

(Foto: dpa)
  • Am Mittwochnachmittag muss Bahnchef Lutz zum dritten Rapport beim Verkehrsminister innerhalb von gut zwei Wochen.
  • Er will dort ankündigen, den Vorstand um zwei Posten zu vergrößern. Auf anderen Führungsebenen soll hingegen ausgedünnt werden.
  • Um Verspätungen zu vermeiden, will Lutz menschliche Krisenkräfte an Problembahnhöfen einsetzen.

Von Markus Balser, Berlin

Enge Mitarbeiter erfahren in diesen Tagen ziemlich schnell, dass Bahn-Chef Richard Lutz mal wieder im Zug sitzt. Eine Viertelstunde Verspätung auf dem Weg nach Frankfurt? Das Bordbistro schon wieder dicht? Per SMS hake Lutz immer wieder bei Verantwortlichen in Konzernsparten nach, sagen Vertraute. Auch der Chef ärgere sich über die wachsenden Probleme seines Konzerns - und spüre sie bei den Dienstfahrten am eigenen Leib. Die Lage ist dramatisch. Und nur wenig Zeit bleibt dem Management für den Befreiungsschlag. Am Mittwoch Nachmittag muss Lutz mit führenden Bahnvorständen zum dritten Rapport innerhalb von gut zwei Wochen zum Verkehrsminister. Der Bahnchef soll Andreas Scheuer (CSU), Finanzstaatssekretär Werner Gatzer (SPD) und führenden Verkehrspolitikern der großen Koalition präsentieren, wie er die Bahn mit einem organisatorischen Umbau zuverlässiger machen will - und woher schnell fehlende Milliarden kommen sollen. Was der 54-Jährige laut Aufsichtsratskreisen präsentieren will, dürfte den Konzern wohl einige Monate in Atem halten.

Denn nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wird nicht nur der Vorstand umgebaut und um zwei neue Posten auf acht Topmanager erweitert. Gleichzeitig sollen nach Angaben aus Aufsichtsratskreisen im Rest des Unternehmens Führungspositionen wegfallen. Von mindestens einer Hierarchie-Ebene ist die Rede. Das Ziel: Mehr Macht für den Vorstand, um Vorgaben für die einzelnen Sparten besser durchsetzen zu können. Diverse Führungskräfte müssten dagegen um ihren Job fürchten, heißt es in Konzernkreisen. "Das könnte die Fronten bei der Bahn verhärten", warnt ein Insider.

Doch die Probleme sind enorm, der Handlungsdruck groß. Folge der Kleinstaaterei von hunderten Konzerngesellschaften sind groteske Pannen. Vor zwei Jahren etwa plante die Infrastruktur-Tochter DB Netz ausgerechnet während der Industriemesse in Hannover, einen Teil Schnelltrasse von Frankfurt nach Niedersachsen zu sperren. Für die Messe mit Hunderttausenden Besuchern war Chaos programmiert. Die Konzernzentrale erfuhr davon aus der Zeitung. Die Blamage war perfekt. Nur die schlimmsten Folgen ließen sich verhindern. Um den Zugverkehr künftig pannenfreier zu steuern, sollen neben dem Fernverkehr auch der Nah- und Güterverkehr im Konzernvorstand vertreten sein - die beiden neuen Posten sollen mit einem Mann und einer Frau besetzt werden. Bis Anfang März soll die Entscheidung fallen, wer zusätzlich in die Spitze des größten deutschen Staatskonzerns mit 300 000 Mitarbeitern und 42 Milliarden Euro Umsatz aufrückt.

Um schnell an viel Geld für mehr Züge und Personal zu kommen, will die Bahn zudem auch an anderer Stelle massiv umbauen. Sie prüft den Verkauf der milliardenschweren Auslandstochter Arriva. Das könnte dem Konzern noch in diesem Jahr 3,5 bis vier Milliarden Euro in die Kassen spülen - genug, um Finanzlöcher zu stopfen und Investitionen in mehr Qualität zu stemmen. Die Pläne sehen vor, die britische Tochter, in der das Geschäft mit Bussen und Nahverkehrszügen im Ausland gebündelt ist, komplett oder in Teilen an Investoren abzugeben - vorausgesetzt, der Preis stimmt.

Es geht dabei um ein brisantes Vorhaben. Die in 14 Ländern tätige Bahntochter mit 60 000 Beschäftigten, 4,8 Milliarden Euro Umsatz und einem Firmensitz im englischen Sunderland ist einer der wenigen Bereiche der Bahn, die Gewinne erwirtschaften. Die Verträge in Schweden, den Niederlanden, Italien und Spanien bringen sogar hohe Renditen. Der Verkauf ist deshalb im Aufsichtsrat umstritten. Doch der Bund will die wachsenden Finanzprobleme der Bahn nicht allein dem Steuerzahler aufladen. In Berlin heißt es, der Konzern müsse selbst eine Beitrag liefern.

Neue Zahlen machten am Dienstag klar, wie groß die Probleme längst sind. Im vergangenen Jahr sind im Durchschnitt knapp zehn Fernzüge täglich ersatzlos ausgefallen. Im gesamten Jahr waren es 3500 Fernzüge, die vom geplanten Startbahnhof gar nicht erst losfuhren. Dennoch zeigen interne Daten, dass immer mehr Passagiere mit der Bahn fahren. Im vergangenen Jahr verbuchte der Konzern einen neuen Fahrgastrekord und übertraf den Rekordwert von 142 Millionen Reisenden von 2017. Der Umsatz im Personenfernverkehr stieg um fast 300 Millionen Euro auf rund 4,5 Milliarden Euro. Auch der Gewinn legte nach SZ-Informationen von 380 auf mehr als 400 Millionen Euro zu. Die genaue Bilanz veröffentlicht die Bahn im März.

Auf digitalisierter Neubautrasse sind die Züge pünktlicher

Doch im Konzern sorgt man sich, ob die Kunden der Bahn wirklich treu bleiben. Das eigentlich für dieses Jahr geplante Pünktlichkeitsziel von 82 Prozent aller Fernzüge wird nun wohl erst Mitte des nächsten Jahrzehnts erreicht. Für deutliche Verbesserungen müsste die Infrastruktur - vor allem die Strecken an den Engpässen im Land - ausgebaut und digitalisiert werden. So könnten die Abstände zwischen den Zügen kleiner werden und mehr Fernzüge fahren. Die bereits digitalisierte Neubautrasse Berlin - München zeigt, was möglich ist. Im Schnitt sind die ICEs hier zu 82 Prozent pünktlich - im Rest des Landes nur zu 75 Prozent.

Erstmal sollen menschliche Krisenkräfte an Problembahnhöfen Schlimmeres verhindern. Die Bahn will die so genannten Plan-Start-Teams dort aufstocken, wo besonders viele Züge fahren. Zwischen Würzburg und Nürnberg etwa und rund um Hamburg sollen sie dafür sorgen, dass die Züge wenigstens am Startbahnhof pünktlich abfahren. In Köln verdoppelten sich die Werte so von 42 auf 82 Prozent.

Die einflussreiche Bahn-Gewerkschaften EVG wies am Dienstag darauf hin, dass vor allem auch die Regierung handeln müsse. CDU, CSU und SPD hätten sich im Koalitionsvertrag verpflichtet, die Fahrgast- und Frachtzahlen auf der Schiene bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln, erklärte der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner. Die EVG ist die größte deutsche Bahngewerkschaft. Kirchner machte klar, dass die Gespräche auch für Scheuer nicht einfach werden. "Dafür brauchen wir jedes Jahr mindestens sechs bis acht Milliarden Euro, damit mehr Züge fahren können - und dann vor allem pünktlich."

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