Bahn gegen GDL:"Völlig realitätsfern"

Bei der Bahn eskaliert in der schwersten Krise des Konzerns seit Jahrzehnten der Streit zwischen Management und Lokführergewerkschaft GDL. Auch für Passagiere könnte das Folgen haben.

Von Markus Balser, Berlin

Nach hohen Forderungen und dem erneuten Platzen eines Verhandlungstermins eskaliert der Streit zwischen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL. Bahn-Personalvorstand Martin Seiler wies die Forderungen der Gewerkschaft um ihren Chef Claus Weselsky am Donnerstag scharf zurück und forderte ein Einlenken. Die Bahn stecke in der größten Krise seit Jahrzehnten. Die Corona-Pandemie habe Milliardenschäden hinterlassen. Dass die GDL nun "horrende Forderungen" stelle, sei "völlig realitätsfern" und "verantwortungslos", erklärte Seiler.

Die GDL hatte am Donnerstag ein für Freitag von der Bahn vorgeschlagenes Gespräch zu den Forderungen ausgeschlagen. Nach Angaben des Staatskonzerns hat die Lokführergewerkschaft insgesamt 58 Forderungen aufgestellt. Neben 4,8 Prozent mehr Lohn und einer Corona-Zulage von 1300 Euro für Beschäftigte geht es laut Bahn auch um deutlich mehr und unter dem Strich gut 60 Urlaubstage sowie die Bewachung jedes Zugbegleiters durch einen Sicherheitsmann. Laut Bahn würden die Personalkosten mit den Forderungen um 46 Prozent steigen. Die Bahn sei Corona-Verlierer und verbuche Milliardeneinbußen. Sie müsse die Kosten nun klein halten und nicht deutlich steigen lassen.

Die GDL hatte ihre Forderungen bereits am Freitag vorgelegt. Sie gehen deutlich über einen Tarifvertrag der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft hinaus, den die EVG bereits mit der Bahn abgeschlossen hat und der bis Anfang 2023 gelten soll. Darin sind unter anderem Lohnerhöhungen entlang der Inflationsrate vereinbart. Die GDL lehnt diesen Corona-Sanierungsvertrag ab. "Wir werden nicht zulassen, dass unsere Kollegen mit einem Sanierungstarifvertrag mit Reallohnverlust abgespeist werden", hatte Weselsky erklärt.

Die GDL kämpft in dieser Tarifrunde allerdings nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch gegen die Folgen des Tarifeinheitsgesetzes und den drohenden eigenen Bedeutungsverlust an. Das Gesetz, das bei der Bahn erstmals Anwendung finden soll, sieht vor, dass bei konkurrierenden Gewerkschaften der Vertrag mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft gelten soll. In den meisten Fällen wäre das bei der Bahn die EVG, die bei der Bahn auf deutlich mehr Mitglieder kommt als die GDL. Dennoch erheben beide Gewerkschaften aber formell den Anspruch, für praktisch alle 185 000 Beschäftigten der Bahn zu verhandeln. Um die Anwendung des Gesetzes doch noch zu verhindern, müssten sich EVG, GDL und Bahn auf eine andere Regelung einigen. Gespräche dazu lehnt die EVG bislang aber ab.

Der Konflikt könnte in den kommenden Wochen auch Folgen für die Passagiere der Bahn haben. Der bisherige Tarifvertrag ist Ende Februar ausgelaufen. Damit endet auch die Friedenspflicht, und es wären Warnstreiks möglich. Die GDL hat in den vergangenen Jahren mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie die Bahn auf diesem Weg lahmlegen kann. Bislang hat sie aber keine Streiks angekündigt. Für die Bahn wären sie wirtschaftlich ein bedrohliches Szenario. Ihre Züge sind wegen der Corona-Krise ohnehin oft leer. Sie leidet unter milliardenschweren Ausfällen bei Ticketverkäufen.

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