Deutsche Bahn:Die Fahrplan-Revolution kommt früher als geplant - vielleicht

Verspätungen bei der Bahn

ICE-Züge sollen bis zum Jahr 2030 bundesweit öfter unterwegs sein und im Takt fahren.

(Foto: Christoph Soeder/dpa)

Der neue "Deutschland-Takt" soll bei der Bahn vieles besser machen. Schon im Dezember soll es zwischen Hamburg und Berlin losgehen. Doch ausgerechnet auf dieser Strecke könnte es dann noch diverse Baustellen geben.

Von Markus Balser, Berlin

Bahnfahrer kennen das Problem nur zu gut. Wer von einer Stadt in die nächste reisen will, aber noch nicht genau weiß, wann, der bewaffnet sich vor der Abfahrt besser mit den Abfahrtszeiten. 17.40 Uhr, 18.31, 19.54 Uhr: Der Fahrplan macht es Vielfahrern oft nicht leicht, den Überblick zu bewahren. Wenigstens auf ersten Fernstrecken könnte das bald ein Ende haben, wenn es nach Konzern und Politik geht. Die Lösung trägt einen sperrigen Namen: Deutschland-Takt.

Was technisch klingt, soll eine Revolution im Netz der Bahn auslösen. Der Takt wäre nicht nur das Ende des gelben Fahrplans an den Gleisen und in Bahnhofshallen. ICE sollen bis 2030 im ganzen Land wie S-Bahnen im Stadtverkehr immer zur gleichen Zeit abfahren. Zwischen den größten Städten plant die Bahn einen 30-Minuten-Takt und damit viel mehr Verbindungen als heute. Zwischen anderen ist ein 60 Minuten-Takt geplant. Auf Nebenstrecken wenigstens einer im Zwei-Stunden-Rhythmus. Vom "größten Projekt im Eisenbahnbereich seit der Bahnreform von 1994" sprach Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), als die Pläne im Herbst publik wurden. Seither tüfteln Fachleute an den Details.

Seit Dienstag nun ist klar, wann es losgehen soll. Scheuer traf sich mit Vertretern der Branche in seinem Ministerium, um einen Zukunftsplan für die Bahn zu unterzeichnen. Zentrales Element: Die Einführung des Deutschlandtaktes. Schon ab Ende dieses Jahres, genau zum Fahrplanwechsel Anfang Dezember, sollen in Deutschland erstmals Züge auf der Trasse zwischen Hamburg und Berlin im Halbstundentakt fahren. Und damit deutlich früher als bislang geplant. Eigentlich hatte die Bahn den Einstieg in den Taktwechsel erst für 2021 vorgesehen.

Doch offenbar machte Scheuers Verkehrsministerium Druck, den Einstieg vorzuziehen. Der Wandel müsse für die Kunden schnell erlebbar werden, forderte Scheuer am Dienstag. Schließlich wollen Konzern und Regierung die Kunden, die wegen der Corona-Krise den Zügen fern bleiben, rasch zurückgewinnen. Bis 2030 sollen sich die Fahrgastzahlen des klimafreundlichen Transportmittels von täglich sieben auf dann 14 Millionen schließlich verdoppeln.

Doch der Plan löst in der Branche gehörige Irritationen aus. Denn nach Ansicht von Experten ist die Infrastruktur noch gar nicht bereit für den Systemwechsel. Um die Strecke zwischen Hamburg und Berlin für den Mehrverkehr zu ertüchtigen, sind Ausbauten nötig. Die aber werden bis Ende des Jahres kaum zu schaffen sein, heißt es in Kreisen der Bahn. Zudem wird die Trasse nach bisherigen Plänen des Konzerns im kommenden Jahr für zehn Wochen gesperrt, um Bauarbeiten zu erledigen. Der Takt wird damit wohl schon nach wenigen Monaten ausgesetzt, weil die Züge über eine andere Strecke umgeleitet werden. Als wären das nicht schon Probleme genug, fürchten Fachleute auch negative Konsequenzen für den Güter- und den Nahverkehr auf der Strecke. Für Güterzüge drohten stundenlange Umleitungen, weil die Strecke zwischen Hamburg und Berlin für so viel Verkehr noch nicht ausgelegt sei, warnt etwa Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen und damit Vertreter der privaten Gütererbahnen. "Wir erwarten massive Kollateralschäden."

Die wichtigsten Routen sind schon heute überlastet

Der holprige Start in den Deutschlandtakt macht damit unfreiwillig klar, welche Dimension das Projekt hat - und wie schwer es wird, das System bundesweit einzuführen. Denn allein auf der Pilotstrecke werden im neuen Takt nach bisherigen Plänen der Bahn sechs ICE-Züge pro Tag und Richtung zusätzlich fahren. Die Kapazitäten steigen auf der schon heute oft befahrenen Strecke um 20 Prozent. Bei einer Umstellung des gesamten Fernverkehrs und der damit angepeilten Verdopplung der Fahrgäste braucht die Bahn nach früheren Berechnungen Hunderte ICE zusätzlich. Mit 200 Zügen rechnet die Bahn allein bis 2024. Noch mehr werden gebraucht, wenn auf allen Hauptachsen wie den Trassen Hamburg - Frankfurt - München, Berlin - München, Dresden - Mannheim - Basel und Hamburg - Köln - Stuttgart künftig alle 30 Minuten ein Zug fährt.

Doch nicht nur neue Züge müssen her, sondern eben auch der teure Ausbau von Strecken. Schließlich sind die wichtigsten Routen schon heute überlastet. Mehr Verkehr geht an vielen Stellen im Netz nicht. Zur Realisierung seien vor allem zusätzliche Kapazitäten im Bereich der stark ausgelasteten Korridore und Großknoten notwendig, heißt es in Bahnkreisen. Damit Taktknoten eingehalten werden, muss sich die Fahrzeit etwa zwischen Berlin und Düsseldorf auf rund dreieinhalb Stunden deutlich reduzieren. Zwischen Stuttgart und Hamburg sollen aus gut fünf Stunden Fahrzeit viereinhalb werden. Die Folge: Langsame Trassen müssen zu Schnellstrecken werden.

Mit dem künftigen System soll auch ein Paradigmenwechsel bei der Bahn eingeleitet werden. Bislang wurden die Fahrpläne je nach Belastungsgrenze der Bahn geplant. Nun soll das System für den geplanten Fahrplan ausgebaut werden. Bahnchef Richard Lutz erklärte am Dienstag, was er für die wichtigste Voraussetzung für den Start in das Zukunftssystem hält: "Fundamental ist erst mal der Ausbau der Infrastruktur."

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