Süddeutsche Zeitung

Bahn:Demut am Schalter

Die Bahn befördert mehr Passagiere denn je. Trotzdem schrumpfte im Pannenjahr der Gewinn.

Von Markus Balser, Berlin

Die Designer der Bahn hatten dem Vorstand bei seinem Auftritt ganz offensichtlich Demut verordnet. Graue Holzverkleidung, weiße Tresen: Bei der Bilanzpressekonferenz der Bahn am Donnerstag mussten die sechs Vorstände auf dem Podium hinter einer Art Schalter Platz nehmen. Vorstandschef Richard Lutz und seine Kollegen sollten vor Kameras und Journalisten so kundennah wie möglich auftreten. Die Botschaft war klar: Nach einem Pannenjahr mit rekordverdächtigen Verspätungen, Serviceproblemen auf vielen Strecken und so vielen Baustellen im Netz wie selten zuvor, wollte die Bahn auf ihre Kunden zugehen.

Das Ziel: In den nächsten Monaten für weniger Enttäuschungen an den Bahnhöfen sorgen. Im vergangenen Jahr kam jeder vierte Zug zu spät. Im Jahresdurchschnitt erreichten gerade mal 74,9 Prozent der ICEs, Intercitys und Eurocitys ihre Ziele pünktlich. Ein Zug gilt laut Bahnstatistik dabei noch als pünktlich, wenn er unter sechs Minuten verspätet eintrifft. Doch der Konzern machte am Donnerstag vor allem klar, wie schwer das wird. "Den einen Hebel, den man umlegt, und nach Ostern wird alles besser, den gibt es leider nicht", sagte Konzernchef Richard Lutz. Das System - Netz und Züge - reichten für den aktuellen Verkehr nicht aus. Es geht um langfristige Investitionen. Die sind auch nötig, weil die Zahl der Reisenden im Fernverkehr im vergangenen Jahr schon das vierte Jahr hintereinander deutlich gestiegen ist. Die Bahn zählte 148 Millionen Fahrgäste - 5,7 Millionen mehr als 2017. Der Konzern rechnet damit, dass sich dieser Trend weiter fortsetzt: "2019 werden wir im Fernverkehr erstmals über 150 Millionen Reisende begrüßen dürfen", erklärte Konzernchef Richard Lutz. Das Fernziel: 2030 sollen es nach Angaben der Bahn 200 Millionen Passagiere sein.

In der Bundesregierung dürfte man registriert haben, dass die von der Bahn erwartete Zahl deutlich von den eigenen Plänen abweicht. Denn die schwarz-rote Regierungskoalition hatte sich zu ihrem Start vor einem Jahr eigentlich eine Verdoppelung der Reisendenzahlen bis 2030 zum Ziel gesetzt. Das wären allerdings mindestens 260 Millionen Fahrgäste Ende des nächsten Jahrzehnts. Dafür sei jedoch ein massiver Ausbau der Kapazitäten und Hilfen des Bundes erforderlich, machte der Bahnchef am Donnerstag deutlich.

Die Zahlen machen deutlich: Aus eigener Kraft kann die Bahn das Wachstum kaum noch bewältigen

Die neuen Zahlen machen klar: Aus eigener Kraft kann die Bahn das Wachstum kaum noch bewältigen. Mehr Passagiere bedeuteten zuletzt nicht, dass die Bilanz besser ausfiel. Zwar stieg der Umsatz auf über 44 Milliarden Euro. Wegen diverser Sonderangebote schrumpfte das Ergebnis von 765 Millionen Euro 2017 auf zuletzt nur noch 542 Millionen Euro. Folge: Die Schulden des Konzerns stiegen bis Ende Dezember im Vergleich zum Vorjahresende um fast eine Milliarde auf inzwischen rund 19,5 Milliarden Euro. Damit bewegt sich die Bahn nur noch knapp unter der eigenen Schuldengrenze von 20 Milliarden Euro.

Nur weil der Staat seine Zahlungen an die Bahn jährlich um eine Milliarde Euro ausbauen will, bleibt die Bahn derzeit noch handlungsfähig. Zudem muss sie ihre Auslandstochter Arriva, die in ganz Europa Busse betreibt und einen Umsatz von fünf Milliarden Euro im Jahr erzielt, verkaufen oder an die Börse bringen. Drei bis fünf Milliarden Euro soll die Privatisierung für den Ausbau des Netzes und neue Züge bringen. Arriva hat seinen Sitz allerdings in Großbritannien. Im Aufsichtsrat hatte es wegen des noch immer drohenden harten Brexits zuletzt ernste Sorgen gegeben, der Verkauf könne in den kommenden Wochen in Gefahr geraten - und damit auch der Umbau der Bahn. Das wies der Vorstand am Donnerstag jedoch zurück. "Wir gehen davon aus, dass wir das Projekt in diesem Jahr abschließen könnten", sagte Finanzvorstand Alexander Doll. Wie die Bahn das eigene Angebot bis dahin ausbauen kann, ohne schon auf Milliardeneinnahmen zurückgreifen zu können? Der Konzern will sich in den nächsten Wochen erst mal auf dem europäischen Gebrauchtzugmarkt bedienen. Fernverkehrsvorstand Berthold Huber kündigte an, dass die Bahn 17 Züge der österreichischen Westbahn kaufen will. Nach Angaben aus Aufsichtsratskreisen geht es um eine Investitionssumme von rund 300 Millionen Euro. Die ersten Züge könnten demnach Ende des Jahres zum Fahrplanwechsel verfügbar sein. Allerdings ist die Deutsche Bahn nur einer von mehreren Bietern für die Züge. Die Westbahn ist ein überwiegend privates Bahnunternehmen in Österreich. Damit ist noch nicht sicher, ob die Bahn auch wirklich den Zuschlag bekommt.

Tief in der Krise steckt nach wie vor die Gütersparte der Bahn. Sie verdoppelte im vergangenen Jahr den Verlust auf fast 200 Millionen Euro, obwohl die Nachfrage der Wirtschaft groß war. Doch noch immer hat die Bahn Mühe, die georderten Züge auch wirklich fahren zu lassen. In den vergangenen Monaten hatte es immer wieder massive Staus auf den Güterstrecken gegeben. Bahnchef Lutz verwies unter anderem auf das Schienennetz, das immer stärker belastet werde. "Die Kapazität wird das zentrale Thema in den nächsten Jahren bleiben", sagte Lutz.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4386832
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.03.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.