Süddeutsche Zeitung

Bahn:Ärgerlicher Streik

Gleiches Geld für alle: Die Bahngewerkschaften Transnet und GDBA treten mit einer zu starren Lohnforderung auf. Sie müssen sich bewegen - und zwar deutlich.

Daniela Kuhr

Bahnfahrer haben es nicht leicht. Entweder ist es der Winter oder der Sommer, oder es sind die Achsen. In den vergangenen Monaten gab es immer irgendetwas, das den Fahrbetrieb beeinträchtigt hat. Und ausgerechnet jetzt, da ein bisschen Ruhe eingekehrt ist, droht neues Ungemach: Warnstreiks.

Von diesem Dienstag an rufen die Bahngewerkschaften Transnet und GDBA im Regionalverkehr zu Arbeitsniederlegungen auf, es könnte alle Bundesländer treffen. Der genervte Kunde fragt sich, ob es wirklich so weit kommen musste. Hätte die Bahn das nicht verhindern können? Hätte sie sich nicht angesichts der mittlerweile wieder gut laufenden Geschäfte großzügig zeigen können, wie sie es bei den Fahrpreisen zuletzt doch auch getan hat? Dort hat sie erstmals seit Jahren auf die übliche Erhöhung verzichtet. Denn sie wusste, dass sie bei den Fahrgästen etwas gutzumachen hat. Das Problem ist: Darum geht es momentan überhaupt nicht.

Gleicher Lohn für alle

Dass die Verhandlungen ins Stocken geraten sind, liegt nicht an der fehlenden Bereitschaft der Deutschen Bahn zu Lohnerhöhungen. Über das Entgelt spricht man noch gar nicht. Denn erst wollen die Gewerkschaften ihre Kernforderung durchsetzen: einen Branchentarifvertrag. Alle Bahnangestellten im Nahverkehr, egal ob sie bei einem privaten Unternehmen oder beim Marktführer Deutsche Bahn arbeiten, und egal ob sie in Brandenburg oder in München im Einsatz sind, sollen gleiche Löhne erhalten. Momentan zahlen die privaten Konkurrenten ihren Angestellten bis zu 20 Prozent weniger als die Deutsche Bahn.

Ein Branchentarifvertrag ist in der Tat sinnvoll. Nur er kann den Trend beenden, dass sich die diversen Unternehmen bei Ausschreibungen im Regionalverkehr gegenseitig mit niedrigen Gehältern unterbieten. Auch die Deutsche Bahn macht bei diesem Unterbietungswettbewerb mit. Zwar ist der Konzern tarifgebunden, doch um bei Ausschreibungen mithalten zu können, hat er 14 Gesellschaften gegründet, die nicht an den Tarif gebunden sind. Nur so könne er verhindern, dass sein Marktanteil im Regionalverkehr unter 80 Prozent rutscht.

Diese Praxis muss ein Ende haben, und glücklicherweise leuchtet das auch den Bahnunternehmen ein. Im Grunde befürworten sie die Forderung der Gewerkschaften. Genau das aber ist das Absurde an der Situation. Eigentlich liegen die Positionen von Gewerkschaften und Arbeitgebern recht nahe beieinander. Alle wollen einen Branchentarifvertrag. Und doch soll jetzt gestreikt werden.

Starre Forderungen

Die entscheidende Frage ist, auf welchem Niveau der Tarifvertrag abgeschlossen werden soll. Die Gewerkschaften verlangen, alle sollten das zahlen, was die Deutsche Bahn ihren Mitarbeitern zugesteht. Diese Forderung aber ist viel zu starr. Sie würde die Privatbahnen eines wichtigen Wettbewerbsvorteils berauben. Zudem ist das Gehaltssystem bei der Deutschen Bahn unflexibel und ignoriert regionale Unterschiede. Wenn die Löhne bei allen gleich wären, wäre der Staatskonzern schon allein wegen seiner Größe immer im Vorteil, denn er würde bessere Konditionen bei Einkauf und Finanzierung erhalten. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die Privatbahnen Dumpinglöhne zahlen. Kein einziger Mitarbeiter verdient weniger als acht Euro die Stunde, die allermeisten bekommen deutlich mehr, vereinzelt sogar mehr als bei der Deutschen Bahn.

Ziel der Tarifgespräche sollte also sein, per Branchentarifvertrag ein Mindestlohnniveau zu vereinbaren. Arbeitgeber, die darüber hinausgehen wollen, können das gerne tun - freiwillig. Die Unternehmen haben bereits signalisiert, dass sie in eine ähnliche Richtung denken. Die Gewerkschaften aber sind von dieser Erkenntnis noch weit entfernt. Das macht die Streiks so ärgerlich. Normalerweise sorgen Arbeitsniederlegungen dafür, dass Arbeitgeber sich bewegen. Zum jetzigen Zeitpunkt aber sind es die Gewerkschaften, die sich am meisten bewegen müssen.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2010/mel
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